Swifties, Swiffer und Pailetten: Taylor Swift beginnt ihre Tour in Gelsenkirchen, einer Stadt, die sonst wenig Glamour versprüht. Bericht aus einem Ort, an dem diese Woche selbst Polizisten Swift-Anhänger sind.
Pink statt Blau: Auf dem Gelände der Schalke-Arena in Gelsenkirchen stehen am frühen Mittwochvormittag schon Taylor-Swift-Fans in Glitzerkleidern und Cowboystiefeln vor einem Merchandise-Shop Schlange, gut hundert Menschen sitzen in einem abgesperrten Bereich auf dem Boden, um später die Ersten in der Halle zu sein. Manche erzählen, dass sie seit 6 Uhr morgens da sind, andere haben sicherheitshalber schon in der Nacht vor dem Gitter gecampt.
Die Fans kommen aus ganz Deutschland, Malta, Ungarn, Belgien, sogar aus den USA. Ein Ehepaar aus Atlanta hat zu Hause keine Tickets bekommen und ist Taylor Swift nun nach Gelsenkirchen nachgereist. „Wir machen einen Europa-Trip draus“, sagen sie. Alles für Tochter Lucy. Gerade haben sie der Neunjährigen ein T-Shirt gekauft. Sie strahlt.
Fransen, Leder und viel Glitzer: Swift-Fans mit gepimpten Klamotten beim Konzert in Gelsenkirchen
© Sandra Stein
An drei Abenden hintereinander tritt Taylor Swift in Gelsenkirchen auf, die Stadt ist seit Wochen im Swift-Fieber. 210.000 Menschen werden erwartet, Hotels und Privatunterkünfte sind seit Langem ausgebucht, auch in den Nachbarstädten. Um das Medieninteresse zu befeuern, hat sich die Stadt einiges einfallen lassen, ließ Selfie-Rahmen aufstellen, verschenkte lebensgroße Taylor-Pappfiguren an Klamottenläden und Eiscafés.
Aus dem Walk of Fame wird Taylor Swift später wieder rausgerissen
Im Stadtzentrum hängen Ortsschilder mit Taylor-Porträt und der Aufschrift „Swiftkirchen“ an Laternen über Blumenampeln. Auf dem Gelsenkirchener „Walk of Fame“ hat die Sängerin, zumindest vorübergehend einen Pflasterstein bekommen, reiht sich ein in Persönlichkeiten der Stadt wie Nobelpreisträger Harald zur Hausen und Rudi Assauer. Wenn der ganze Zauber vorbei ist, wird der Stein allerdings wieder herausgerissen, erzählt Stadtsprecher Markus Schwardtmann vorab am Telefon. Den größten Popstar aller Zeiten zu Besuch zu haben, das ist ein großes Ding für eine mittelgroße Ruhrpott-Stadt, aber doch nicht Anlass genug, um ihn für immer in Stein zu meißeln.
Davon bekommt kein Fan genug: Swiftie-Bänder mit bunten Perlen
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Schwardtmann ist dieser Tage ein sehr gefragter Mann, wirkt gehetzt, aber glücklich. Als die Nachricht die Runde machte, dass das Gelsenkirchener Ortsschild vorübergehend in „Swiftkirchen“ umbenannt werde, berichteten Medien aus den USA, Pakistan und Vietnam. „Wir sind einmal um die Welt gegangen“, sagt er. Dank Swift könne Gelsenkirchen zwischen fünf bis zehn Millionen Euro verdienen. Unschätzbar aber sei der Image-Push für die Stadt, die sonst vor allem wegen hoher Arbeitslosenquoten und Kinderarmut Schlagzeilen macht.
Auf dem Gelände der Schalke-Arena fährt Rentner Hans mit seinem Elektromobil an Paillettenröcken und Netzstrumpf-Beinen vorbei. Er wohnt in der Nähe, fährt zum Zeitvertreib öfter auf das Gelände der Arena um „zu schauen, was los ist“. Er freut sich über den Trubel, hofft, dass Swifts Besuch den Ruf der Stadt ein wenig aufpoliert. Dass ein britischer Fußball-Fan während der EM ein Video ins Internet stellte, in dem er Gelsenkirchen als „Drecksloch“ bezeichnete, hatte den 79-Jährigen sehr geärgert: „Es gibt auch schöne Ecken hier.“
Da wird auch der Vater zum „Swiffer“
Familie Fischer aus Coburg ist zu viert angereist, die 17-jährige Tochter Svenja hat alle mit dem Swift-Virus infiziert. Noch trägt Svenja Cowboystiefel, später wechselt sie ins Glitzerkleid. 160 Euro haben sie pro Ticket bezahlt, sie gehen auch zum Konzert in München. „Wir haben sie schon durch die Gabalier-Phase begleitet“, sagt Vater Fischer. Nun sei er zwar kein Swiftie, aber ein „Swiffer“ betont er und grinst.
Ein paar Meter weiter steht Julia aus Krefeld in einer der Selfie-Boxen. Die 27-Jährige liebt Taylor Swift seit Kindertagen, ist heute mit ihrer Verlobten und deren Kindern angereist. Zu Hause hört die Familie ausschließlich Swift. Julia mag die Sängerin, weil sie trotz Megastar-Status bodenständig zu sein scheint, Katzen hat und Schokocookies backt. Die Taylor-Message, die Julia durchs Leben trägt, ist: „Sei wie du bist, es ist egal, was andere von dir denken.“ Geht unter die Haut: Ultra-Fan Lara lässt sich ein neues Taylor Swift-Tattoo stehen
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Ein Abstecher in die Innenstadt. Auf dem Heinrich-König-Platz findet das Event „Taylor Town“ statt. Paillettenstimmung trotz Regen, Pommes-Duft weht über den Platz, aus den Boxen dröhnt, Überraschung, Taylor Swift. Vor einer Bühne mit DJ-Pult stehen junge Frauen und singen voller Inbrunst: „We are never, ever, ever getting back together.“ An Stehtischen, an denen auf Volksfesten sonst Menschen bei Bier und Bratwurst stehen, tragen sich weitere Frauen Glitzerschminke auf.
Taylor-Tattoo: Ein unsichtbares Band unter der Haut
In einem Zelt liegt Lara auf der Liege, bekommt gerade zwei Hände auf ihren rechten Oberarm tätowiert, zwischen denen eine Schnur schwebt: „Ich mag die Vorstellung, dass es ein unsichtbares Band gibt, dass uns alle verbindet“, sagt sie. Die 39-Jährige trägt bereits zwei Titel ihrer liebsten Swift-Songs auf der Haut. Sie ist seit Jahren Ultra-Fan, liebt die Musik, die Texte. Damit sie Taylor Swift näher sein kann als andere, hat sie 500 Euro für ein VIP-Ticket nahe der Bühne ausgegeben.
Zwei junge Frauen verschenken selbstgemachte Freundschafts-Armbänder an Polizisten, die schauen skeptisch: „Sind wir jetzt auch Swifties?“ – „Ganz klar“, antwortet die eine und stülpt dem Mann beherzt ein Perlenarmband über die Hand. Die Armbänder, man sieht sie überall, werden großzügig verschenkt, auch an die Autorin dieses Textes. In Gelsenkirchen wird man zum Swiftie, zwangsläufig. Pink statt Gelsenkirchen-Grau: Swifties machen die Stadt bunt
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Wo man hinschaut, Mädchen, junge Frauen. Nur vereinzelt sind auch Männer zu sehen, einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „My Girlfriend is a Swiftie (and so am I)“. Barbara und Susanne schlendern vorbei, sind überwältigt von den Menschenmassen in ihrer Stadt. Beide arbeiten für ein Mädchenzentrum, beraten zu Problemen wie Mobbing und Essstörungen. Es sei schön, dass mal die Frauen im Fokus stehen, finden sie. Das Stadtbild sei bei Großevents sonst eher männlich geprägt, Fußball, viel Alkohol. „Die Atmosphäre ist ganz anders heute. Alle haben sich toll gestylt, haben gute Laune und Spaß“, sagt Susanne. Vielleicht sollte Swift öfter kommen, findet sie.
Schon jetzt ist klar, dass Taylor Swift dem Gelsenkirchen-Grau ein wenig Pink beigemischt hat. Und um es Swift-typisch optimistisch zu denken: Wenn die Ortsschilder wieder abgenommen werden und der Pflasterstein entfernt ist, werden an vielen Orten trotzdem ein paar Pailletten kleben bleiben, ganz sicher.