Das türkische Parlament hat eine Gesetzesänderung beschlossen, die zur massenhaften Tötung von Straßenhunden führen könnte. Und das, während auf der ganzen Welt die Rassehundezucht zum Vergnügen betrieben wird. Wir müssen über Tierschutz reden.
„Hunde sind die besten Freunde des Menschen“, heißt es. Treue Begleiter, tröstende Gefährten schon seit Jahrhunderten. Wer käme da nur auf die Idee, diesen besten Freund umzubringen? Die türkische Regierung, zu meinem und vieler anderer Leute Entsetzen.
Staatspräsident Recep Tayip Erdoğan hat sich persönlich für eine Gesetzesänderung eingesetzt, die den Umgang mit herrenlosen Hunden in seinem Land regeln soll. Wo bisher das Motto „Fangen, Kastrieren und Freilassen“ zu einer geringeren Population von Straßenhunden führen sollte, wird künftig drastischer agiert.
Denn nach einem aktuellen Beschluss des türkischen Parlaments sollen Kommunen verpflichtet werden, Straßenhunde einzufangen und in Tierheime unterzubringen. Wenn möglich, sollen die Tiere an Besitzer vermittelt werden. Hunde jedoch, die als aggressiv oder krank eingestuft oder als „Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier“, können eingeschläfert werden. Veterinäre sollen darüber entscheiden.
Die Abgeordneten in Ankara segneten am Montag mehrheitlich den fünften von 17 Artikeln eines Gesetzes ab. Die Verabschiedung des gesamten Gesetzes könnte in den kommenden Tagen erfolgen. Tierschützer befürchten, dass nun eine Großkampagne zur Tötung von Straßenhunden droht.
Eine katastrophale Nachricht. Der Mensch als Richter über Leben und Tod.
Ich selbst besitze einen Straßenhund aus Italien, der in der Hundehölle, wie es unter Tierschützern heißt, einem Canile, gefangen gehalten wurde. Das sind Lagerhallen voller Käfige, häufig mit mehreren Hunden in einem Verschlag, kein Bettchen, kein Napf, nichts. Die Vierbeiner leben auf ihren Exkrementen, das Futter wird ihnen auf selbige geschmissen. Warum? Weil es dafür sogar noch Geld von der italienischen Regierung gibt. Pro Tag und gefangengehaltenem Hund, damit die italienischen Straßen streunerfrei sind.
Die ersten Wochen und Monate mit meinem Hund aus der Hundehölle waren hart. Wochenlang ließ er sich nicht anfassen, nicht mal vor die Tür konnte ich mit ihm gehen. Er war nicht stubenrein, an das Leben in einer Wohnung nicht gewöhnt und heulte nachts nach seinen Artgenossen aus dem Canile.
Doch nach Wochen löste sich langsam, aber sicher der Knoten in ihm, er gewann mehr und mehr Vertrauen. Zu beobachten, wie er fast täglich einen kleinen Schritt in ein glücklicheres und vertrauensvolles Leben machte, war ein unglaubliches Gefühl. Für mich und für ihn. Dieser kleine Kerl hatte in den Abgrund gesehen und ließ sich doch darauf ein, ein neues Leben zu beginnen. Nach wenigen Monaten war er der liebste und tollste Hund, den man sich wünschen kann.
Nicht wir geben den Hunden eine zweite Chance, sondern die Hunde uns Menschen
Seit ich diese Erfahrung gemacht habe, frage ich mich vor allem: Warum züchten wir Menschen noch Hunde und Katzen, wenn es da draußen so viele kleine Wesen gibt, die sich ein Zuhause wünschen – und die gerettet werden wollen?
Wir predigen den ganzen Tag Toleranz und Vielfalt unter Menschen. Und das ist gut so, längst überfällig. Aber warum behandeln wir andere Lebewesen nicht genauso? Warum reduzieren wir unsere Appelle auf unseresgleichen? Warum fragen wir bei einem Hund nach, welchen Stammbaum er hat, welche Herkunft, welches Fell? Warum muss ein Hund äußerliche Merkmale erfüllen, um uns zu gefallen und, im schlimmsten Fall, das Leben zu verdienen? Ich habe dafür kein Verständnis.
Und ich frage mich auch, warum ich mir nicht schon damals, mit Mitte 20, statt eines Labradors vom Züchter einen Hund aus dem Tierschutz geholt habe? Meine Antwort, die zwar wahr ist, mich aber heute beschämt: Als ich die Labradorhündin kaufte, hat mein eigenes Selbstbewusstsein nicht für einen Mischling gereicht. Der schicke, vorzeigbare Rassehund musste es sein. Wie armselig.
STERN PAID Jagd und Hund Kontroverse 17.27
Die aktuellen Geschehnisse in der Türkei haben naturgemäß für Empörung unter Tierschützern gesorgt. Der Deutsche Tierschutzbund spricht von „einer Vorgehensweise, die nachweislich nicht zum Erfolg führt“. Denn das neue Tötungsgesetz der Türkei wurde bereits in Rumänien ausprobiert, an der Zahl der Tiere habe sich dort seitdem jedoch nichts geändert. Trotzdem zieht die Türkei, blind für jede Realität, den Massen-Hundemord in Erwägung.
Wir müssen mehr über Tierschutz reden
Vielleicht sollten wir alle mehr über Tierschutz reden, unsere eigenen Handlungen und Wünsche mehr hinterfragen. Was kann mir die französische Bulldogge vom Züchter mehr geben als der kleine, heimatlose Welpe aus der Türkei? Ich kann Ihnen versichern: nichts. Das Gefühl, einem Hund ein Zuhause zu geben, das er ansonsten nie bekommen hätte, ist unbezahlbar.
Ich wünsche mir, dass weltweit das Konzept der Hunde- und Katzenzucht überdacht wird. Ausgenommen Züchtungen, die als Servicedog, Spürhunde, Sporthunde oder andere Nutz- und Arbeitstiere gebraucht werden. Nein, es geht mir um Züchtungen, die nur der Optik dienen und das verhungerte Selbstwertgefühl eines Besitzers, der sich brüsten will, kompensieren sollen. So wie es einst bei mir war.
Denken Sie einfach daran: Immer, wenn wieder ein Hund vom Züchter gekauft wird, stirbt irgendwo der Traum eines Tierschutzhundes von einem schönen Zuhause. Und bald hängt das Leben der kleinen Fellnasen in der Türkei von der Einschätzung ab, ob sie „krank“ oder „gefährlich“ sind. Überlegen Sie sich also gut, ob nicht auch ein Welpe oder – falls man Erfahrung mit Hunden hat – auch ein erwachsener Hund aus dem Tierschutz Ihr bester Freund werden kann.
Es ist eine Entscheidung zwischen Wollen und Sein.
Und manchmal auch zwischen Leben oder Tod.
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