Die Grünen in Nordrhein-Westfalen werben in einem Video mit dem „Kanzlerbabe“ Robert Habeck. Das kann man für unseriös halten – oder für einen schlauen Schachzug.
Der Wahlkampf zur Bundestagswahl ist in vollem Gange – offline und online laufen die Kampagnen auf Hochtouren. Nun werben die Grünen in Nordrhein-Westfalen in einem Video auf Instagram mit dem „Kanzlerbabe“ Robert Habeck. Der Landesverband lässt eine junge Mitarbeiterin, die sich eben noch schnell die Lippen nachzieht, auf Instagram erklären, warum natürlich Robert Habeck der beste Kandidat sei.
Er sei nicht nur ein „Kanzlerbabe“, sondern auch einer, „der weiter denkt, als von der Tapete bis zur Wand“, sagt sie in die Kamera. Sei er mal nicht unterwegs für die Demokratie, dann sei er „Fangirl Number One“ für sein Handballteam in Flensburg.
Was soll dieses Video – ist das ganz furchtbar? Oder taktisch klug? In anderen Worten: cringe oder clever?
„Kanzlerbabe“ Habeck: Cringe!
Robert Habeck sitzt am Küchentisch, ist in seiner „Kanzler-Era“ (in Anlehnung an Taylor Swift) und jetzt ein „Kanzlerbabe“. Zumindest in dem Video, mit dem die Grünen in NRW auf Instagram für ihren grünen Kanzlerkandidaten werben. Da gibt es nur eines zu sagen: Bitte hört auf damit! Das ist nicht zielführend. Und cringe. Die Strategie hinter dem Video des Landesverbands ist schnell durchschaubar: Jungen Menschen soll signalisiert werden, Habeck sei modern, nahbar, humorvoll.
Klar, es scheint zu passen, denn Robert Habecks gesamter Wahlkampf fußt auf folgender Erzählung: Die Welt ist schlimm, wird schlimmer – und er ist der Einzige, der das sagt, der die Probleme anspricht. Das Problem: Die popkulturellen Auflockerungen machen seine Warnungen zur Lachnummer. Auch wenn Habeck in diesem Video nicht selbst vor der Kamera steht und es die Grünen in NRW zu verantworten haben: Einer Kassandra in ihrer Kanzler-Era hört man nicht nur nicht zu – es ist auch peinlich.
Es soll zeigen, dass Habeck der nette Kumpel von nebenan sei (was allein schon cringe ist: Der Mann ist 55 Jahre alt). Das „Fangirl Number One“, das Deutschland aus der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit führen will. „Ein Mensch, ein Wort, ein Bündnis“ – meint er die Nato, weil er 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben will?
Habeck gesteht Rechtschreibschwäche 7.47
Mal ehrlich: Wen wollen die Grünen eigentlich verkackeiern? Robert Habeck ist nicht der nahbare Kumpel von nebenan. Das ist gut so – weil der Kumpel von nebenan nicht unbedingt dafür bekannt ist, die Probleme der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt lösen zu können. Wenn die Grünen ihren eigenen Anspruch nicht ernst nehmen, warum sollten es dann die Wähler tun?
Erwin Hitzler
„Kanzlerbabe“ Habeck: Clever!
Robert Habeck als „Kanzlerbabe“ – warum nicht? Immer wieder wird den Parteien der demokratischen Mitte vorgeworfen, sie erreichten „die jungen Leute“ nicht, bemühten sich noch nicht einmal um sie. Dann drehen sie eifrig Tiktok-Videos oder Instagram-Reels, und es ist auch nicht recht? Klar, da ist noch Luft nach oben, das zeigt schon allein die nervtötende musikalische Unterlegung.
Doch es erklärt sich von selbst, im Wahlkampf (und in der Politik) geht es nie nur um Inhalte, es geht auch um Aufmerksamkeit. Schlecht schlagen sich die Grünen da bislang nicht: Diskutiert wurde unter anderem bereits ein Wollpullover, mit dem Habeck bei seiner „Küchentisch“-Tour auftauchte, ein Armbändchen in Anlehnung an Taylor Swift (Stichwort: „Kanzler-Era“), und eine überdimensionale Habeck-Projektion auf dem Münchner Siegestor (O-Ton Habeck: „Es hat ein bisschen was Piratiges“). Man könnte hämisch anmerken: Besser ist es, denn mit inhaltlichen Vorstößen haben die Grünen zuletzt nicht allzu gute Erfahrungen gemacht.
Selbst wenn man vom Debakel um eine Forderung nach Versicherungsbeiträgen auf Aktieneinnahmen mal absieht, wissen die Grünen, dass man derzeit mit ihren Inhalten nicht allzu gut punkten kann. Die Kampagne setzt deshalb auf den „Menschen“ Robert Habeck. In anderen Zeiten wäre das erstaunlich gewesen für eine Partei, der der Personenkult zuwider ist. So aber könnte das ein vielversprechender Weg sein.
Denn vielleicht ist das ein grüner Vorteil in diesem Wahlkampf: dass man einen Kandidaten hat, den man zumindest geradeso noch als „Babe“ verkaufen kann. Das hätte ich vor wenigen Wochen noch nicht gesagt. Aber dann besuchten zwei Freundinnen die Berliner Philharmonie, ein paar Reihen weiter lauschte Habeck samt Personenschützern dem Konzert. „Er ist soo sexy, hahaha“, habe ich danach in unserem Gruppenchat gelesen. Hätten sie das über Friedrich Merz oder Olaf Scholz auch gesagt? Ich denke nicht. Aber ich frage sie noch mal.
Lisa Becke