Griechenland greift an der Grenze zur Türkei gegen unerwünschte Migration hart durch – zu hart? Richter finden nun deutliche Worte in einem außergewöhnlichen Fall.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte Griechenland wegen der illegalen Zurückweisung einer aus der Türkei geflüchteten Frau. Die Straßburger Richter entschieden, dass es zum Fluchtzeitpunkt „Anzeichen für eine systematische Praxis“ von Pushbacks gegeben habe und Griechenland mit seinem Vorgehen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Pushbacks, also Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Außengrenzen, sind nach internationalem Recht gänzlich illegal.

Die Frau wurde 2019 in der Türkei wegen der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verurteilt. Ihre Strafe betrug sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis. Die Gülen-Organisation wird von der Türkei als Terrororganisation betrachtet. Istanbul macht sie unter anderem für den gescheiterten Putschversuch von 2016 verantwortlich. 

Griechenland zu 20.000 Euro verurteilt

Nach der Verurteilung wollte die Frau über den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros in Richtung Griechenland fliehen. Die Türkin gab an, dass sie im Anschluss auf griechischem Boden in der Nähe des Flusses aufgegriffen wurde. Ein Asylantrag sei nicht geprüft worden. Sie habe ihre persönlichen Gegenstände abgeben müssen und wurde von vermummten Personen zunächst in einen Transporter gebracht. Anschließend sei sie mit einem Schlauchboot wieder auf die türkische Seite des Flusses gebracht und dort inhaftiert worden.Syrer verklagt Frontex

Entscheidend sei in dem Fall gewesen, dass die Klägerin belegen konnte, dass sie tatsächlich nach Griechenland eingereist war und sich auf griechischem Boden befand, wie der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka im Interview mit der Tagesschau erläutert. Die Frau hatte nach der Ankunft ihren Standort per WhatsApp an ihren Bruder geschickt, womit bewiesen war, dass sie sich in Griechenland aufhielt. Griechenland wiederum habe laut Hruschka nicht beweisen können, dass es in ihrem Fall keinen Pushback gab.

Der Gerichtshof, der von der EU unabhängig ist, entschied nun, dass eine unmenschliche Behandlung vorlag; die Behörden hätten sie nicht zurückschicken dürfen, ohne über einen Asylantrag zu entscheiden oder die Gefahren in ihrem Heimatland zu überprüfen. Das Land muss der Türkin daher 20.000 Euro zahlen.

Unwort des Jahres 2021

Bereits in der Vergangenheit wurde Griechenland für seine Abschiebepraxis kritisiert. Der Europarat hat Athen im Sommer 2024 aufgefordert, Pushbacks zu stoppen. Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Europarats forderte die griechischen Behörden auf, „die Lebensbedingungen in den Auffanglagern des Landes zu verbessern“ und „sicherzustellen, dass ausländische Staatsangehörige mit Würde und Menschlichkeit behandelt werden“.

Pushback wurde 2021 „Unwort des Jahres„. Mit dem Begriff werde ein menschenfeindlicher Prozess des Zurückdrängens von Flüchtenden an den Grenzen beschönigt, begründete eine Jury aus Sprachwissenschaftlern seinerzeit die Wahl.

Quellen: EGMR, Initiative „Unwort des Jahres“, CPT, mit Nachrichtenagenturen DPA und AFP