Stoppen die Bundesländer die Krankenhausreform? Dann hätte Karl Lauterbach in seiner Zeit als Gesundheitsminister außer der Legalisierung von Cannabis nicht viel erreicht.
Im Spätsommer linst Karl Lauterbach kurz in die Zukunft. Die rosige Zukunft, wie er sie sich vorstellt. „Genau solche Häuser brauchen wir“, sagt der Bundesgesundheitsminister nach seinem Rundgang durch die kleine Klinik im brandenburgischen Bad Belzig. Dann faltet er zufrieden die Finger ineinander: „Wir wollen, dass die Häuser das machen, was sie besonders gut können.“ Neben der Routineversorgung ist das Krankenhaus auf die Lungenheilkunde und die Behandlung des Lipidödems spezialisiert.
So wie in Brandenburg soll es überall laufen. Durch die Krankenhausreform sollen sich mehr Häuser auf bestimmte Eingriffe fokussieren. Bislang bieten die Kliniken in Deutschland zu viele unterschiedliche Leistungen an, so sieht es jedenfalls der Minister. Führten Ärztinnen und Ärzte eine bestimmte Operation nur wenige Male im Jahr durch, sei das Ergebnis nur suboptimal bis schlecht – weil die Routine fehlt. „Wir machen das ja nicht zum Spaß“, sagt Lauterbach. Die Qualität der Versorgung sei nicht überall „unglaublich gut“.
Dem SPD-Mann schwebt ein gewaltiger Umbau der Krankenhauslandschaft vor. Doch das Vorhaben ist umstritten. Und es könnte nun auf den letzten Metern scheitern. Zwar hat der Bundestag dem Gesetz bereits zugestimmt. Doch am Freitag ist der Bundesrat am Zug. Die Bundesländer könnten die Reform in den Vermittlungsausschuss befördern. Dann wäre das Vorhaben wohl Geschichte. Denn jeder Kompromiss, der im Vermittlungsausschuss gefunden würde, müsste im Anschluss wieder in den Bundestag. Nach dem Scheitern der Ampelregierung dürfte das Gesetz dort wohl keine Mehrheit mehr finden.
Lauterbach kämpft um sein politisches Vermächtnis
Für Lauterbach geht es jetzt um alles oder nichts. Er ist angetreten als der große Reformer, der die grundlegenden Probleme im Gesundheitssektor durchdringt und gegen mächtige Lobbyinteressen schmerzhafte Strukturreformen durchsetzen will. Das zumindest ist sein Anspruch. In seinem ersten Amtsjahr war er vor allem mit der Bewältigung der Corona-Pandemie beschäftigt. Danach ging er zahlreiche große Vorhaben an.
Mit dem vorzeitigen Aus der Ampel aber wird weder die Notfallreform noch die Apothekenreform, die Hausärztereform oder die Pflegefinanzreform mehr kommen. Die Krankenhausreform ist seine letzte Chance, als Gesundheitsminister wenigstens ein großes Projekt umzusetzen. Ansonsten wird von seiner Amtszeit nur bleiben, dass er Cannabis teilweise legalisiert hat – und das war nun wirklich nicht sein Lieblingsvorhaben. Lauterbach kämpft um sein politisches Vermächtnis.
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Seit Wochen versucht er, die Landesregierungen zu überzeugen, das Gesetz nicht aufzuhalten. Doch gerade die unionsgeführten Bundesländer wollen nicht mitmachen. In einer Probeabstimmung im Gesundheitsausschuss des Bundesrates stimmten acht Länder für den Vermittlungsausschuss, acht dagegen. Es wird am Freitag extrem knapp werden. Bayern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt tendieren nach Informationen des stern dazu, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Sachsen und Hessen wackelten zuletzt noch. Einige Länder fürchten Klinikschließungen, monieren einen zu weitreichenden Eingriff des Bundes in ihre eigene Planung und wollen die Qualitätsvorgaben abschwächen.
Manche Krankenhäuser sollen schließen
Lauterbachs Gesetz sieht vor, die Häuser zur Spezialisierung zu zwingen, etwa indem der Staat ihnen vorschreibt, wie viele Fachärzte sie haben müssen, um einen bestimmten Eingriff anbieten zu dürfen. Außerdem soll die bisherige Form der Finanzierung der Krankenhäuser umgestellt werden: Die Vergütung über Fallpauschalen setzt Fehlanreize, weil sie dazu führt, dass Kliniken beispielsweise besonders häufig Knieoperationen durchführen, selbst wenn diese vielleicht gar nicht nötig wären – nur um diese dann abrechnen zu können. Künftig soll eine sogenannte Vorhaltepauschale 60 Prozent der Kosten abdecken. Derzeit schreiben rund ein Drittel der Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen. Auch das soll sich durch die Reform ändern.
In der Konsequenz bedeutet die Reform, dass einige der derzeit rund 1700 Krankenhäuser in Deutschland schließen würden. Doch welcher Landesminister oder Landrat will den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort schon erklären, dass das Krankenhaus in der Gegend dichtmacht? Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt bereits vor Schließungen „in ohnehin schon schlechter versorgten Regionen“. Lauterbach hingegen argumentiert, dass in ländlichen Gebieten durch die Reform keine Standorte wegfielen, sondern eher in überversorgten städtischen Regionen, etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Mit der nahenden Entscheidung steigt der Druck, der Minister wird zunehmend ungehalten. „Wollen wir die Patienten retten, oder wollen wir jede kleine Klinik retten?“, fragt Lauterbach am Donnerstag in der ARD. „Worum geht es uns? Ist das ein Wirtschaftszweig, wo es um so viele Kliniken wie möglich geht, oder wollen wir die Patienten besser behandeln?“
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Immerhin, von den SPD-Parteikollegen in den Ländern bekommt Lauterbach Schützenhilfe. Zwar sei die Reform „nicht perfekt“, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, „aber mit ihr können viele für die Grundversorgung wichtige Krankenhäuser in eine stabilere wirtschaftliche Situation überführt werden.“ Er warnt seine Länderkollegen: Ein Vermittlungsausschuss würde nicht nur „die notwendige Weiterentwicklung“ der Gesundheitsversorgung ausbremsen, sondern auch „notwendige Einrichtungen gefährden“. Offen ist, ob der Appell doch noch den einen oder anderen Kollegen zum Umsteuern bewegt.
Selbst in der Klinik in Bad Belzig, die Lauterbach zum Vorzeigeprojekt auserkoren hat, sind sie nicht voller Begeisterung für die Krankenhausreform, auch hier sorgen sie sich. Weil sie nicht genügend Fachärzte in der Kardiologie haben, könnten die neuen Vorgaben dazu führen, dass man dort keine Herzkatheter und Herzschrittmacher mehr legen darf. 80-jährige Patienten seien aber „froh, wenn sie hier behandelt werden“, stellt die ärztliche Direktorin bei Lauterbachs Besuch klar, „weil die Verwandtschaft sie dann besuchen kann und sie nicht eine Stunde bis nach Potsdam fahren müssen.“
Aber trotz dieser Befürchtung ist es für Simone Rousseau „unverzichtbar“, dass die Reform kommt. Denn so wie jetzt könne es nicht weitergehen: „Wir sitzen in einem Hamsterrad, und so manches Mal haben wir den Eindruck, dass der Patient zu kurz kommt, weil wir einfach nur gucken müssen, wie können wir den Kopf über Wasser halten.“ Hier hoffen sie, dass sich durch Lauterbachs Pläne für sie etwas zum Besseren wendet. Falls die Länder das Projekt nicht stoppen.