Viele Unternehmen und Hochschulen beschäftigen sich intensiv mit Biotechnologie und Künstlicher Intelligenz. In Rheinland-Pfalz soll eine Plattform Firmen und Wissenschaftler enger zusammenbringen.
Nichts gehe ohne Teamwork, sagt Stefan Kramer. Er ist Hochschullehrer für Data Mining und Machine Learning – maschinelles Lernen – an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und einer von mehreren vom Land Rheinland-Pfalz ernannten Lotsen für Künstliche Intelligenz (KI). Eckhard Thines wiederum ist der rheinland-pfälzische Landeskoordinator für Biotechnologie – und er sagt, für die Entwicklung einer App genügten zwei Rechner und ein Schreibtisch. „In der Biotechnologie geht das nicht.“ Biotechnologie sei wahnsinnig teuer.
Diese zwei Aussagen fassen grob zusammen, warum in Rheinland-Pfalz eine neue Plattform namens „BioVation RLP“ entstehen soll. Sie soll Akteure aus der KI und Biotechnologie stärker vernetzen und vor allem die drei Technologiestandorte Mainz, Kaiserslautern und Ludwigshafen enger zusammenrücken lassen. Es geht im Endeffekt auch darum, Geld effektiver einzusetzen, Anlagen und Ressourcen gemeinsam zu nutzen und gegenseitig voneinander zu lernen und zu profitieren.
Studie empfahl engere Verzahnung
Die neue Plattform ist Teil der Strategie der rheinland-pfälzischen Ampel-Regierung, das Land als Biotechnologie-Standort im Fahrwasser des Booms durch das mit seinem Corona-Impfstoff berühmt gewordene Mainzer Unternehmen Biontech gezielt voranzubringen. Eine vom Land in Auftrag gegebene Studie zur Biotechnologie hatte vor einiger Zeit empfohlen, die in Kaiserslautern stark etablierte Künstliche Intelligenz (KI) noch stärker mit der medizinischen Biotechnologie in Mainz zu verzahnen – dazu soll die Plattform nun beitragen.
In Mainz ist neben Biontech die Johannes Gutenberg-Universität ein wichtiger Akteur, hier sitzt unter anderem auch das Tron, ein Forschungsinstitut, das sich Wirkstoffen zur immuntherapeutischen Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten widmet. Außerdem entsteht in der Landeshauptstadt gerade ein Biotechnologie-Campus, in den unter anderem der niederländische Wissenschaftspark- und Netzwerkbetreiber Kadans investieren wird.
In Kaiserslautern sitzen die Rheinland-Pfälzische Technische Universität (RPTU) sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). In Ludwigshafen widmet sich der Chemie-Riese BASF schon lange der industriellen Nutzung von Biotechnologie, in Ludwigshafen investiert auch der US-Pharmakonzern Abbvie. Unweit der drei Zentren gibt es unter anderem noch den Stammsitz des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, im rheinhessischen Alzey steckt der US-Pharmakonzern Eli Lilly Milliarden in eine neue Produktionsstätte.
Ministerin erhofft sich einen „Boost“
Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) sieht ein „dynamisches Ansiedlungsverhalten“ und ein „rühriges Gründerverhalten“. Hinzu komme eine lange Tradition der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Das Netzwerk solle all dies noch dichter zueinanderrücken, wie ein „Booster“ wirken. Es gehe nicht nur um große Unternehmen – Mittelständler oder landwirtschaftliche Betriebe müssten sich auch fit für die Zukunft machen und sollten von neuen Erkenntnissen profitieren können.
Die neue Plattform, die mit einer Veranstaltung in Mainz offiziell ihren Anfang nahm, soll dazu beitragen, wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in die praktische Anwendung zu bringen oder Start-ups unterstützen. Es soll explizit um rote, weiße und grüne Biotechnologie gehen, Biotechnologie für medizinische, industrielle und landwirtschaftliche Zwecke. Hier kann KI Entwicklungen erheblich beschleunigen.
Und was soll das Netzwerk ganz konkret bringen? DFKI-Geschäftsführer Andreas Dengel würde sich Investitionen in Technik wünschen, möglicherweise hin zu einem zentralen Rechenzentrum. Forschung in der Biotechnologie sei sehr datenintensiv, es werde mit enormen Datenmengen gearbeitet, wofür es entsprechende Hardware brauche. Die Technik am DFKI beispielsweise sei mittlerweile aber am Anschlag.
Skalierung ein großes Thema
Birgit Härtle, Vorstandsvorsitzende des Vereins InnoNet HealthEconomy, einer Art Dienstleistungsplattform der Gesundheitswirtschaft, ergänzte, mit dem neuen Netzwerk könne der Aufbau unnötiger Doppelstrukturen vermieden werden. Eva Wilke, Vize-Präsidentin für Forschung an weißer Biotechnologie beim Chemiekonzern BASF, sagte, vielversprechende Projekte scheiterten an der Skalierung, also dem Übergang vom Labormaßstab hin zu einer größeren Produktion. Auch hier könne das neue Netzwerk ansetzen.
Ähnlich argumentiert Biotechnologie-Koordinator Thines. Nach seiner Einschätzung braucht es Pilotierungsanlagen für neue Entwicklungen – um vom Level eines 100-Milliliter-Kolbens zunächst zum Level eines 100-Hektoliter-Fermenters – eine Art Bioreaktor – zu kommen. Einen Flaschenhals sieht Thines darüber hinaus nach wie vor bei technischen Berufen. Es fehle an Laboranten und technischen Assistenten. Er erhofft sich, dass das Netzwerk die Ausbildung nicht nur von Akademikern, sondern auch von technischen Berufen voranbringt.