Das Mega-Bahn-Projekt Stuttgart 21 ist ein zeitfressendes Milliardengrab. Nun müssen Stadt und Land fürchten, dass mit der Opernsanierung ein weiteres Vorhaben zum Fass ohne Boden werden könnte.

Irgendwann bricht es am Abend aus der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin heraus. „Wir haben alle Angst, das ist doch klar“, sagt Petra Olschowski (Grüne) mit Blick auf die nächste konkretere Kostenschätzung zum Mega-Projekt Opernsanierung. In den kommenden Jahren wird sich zunehmend konkreter zeigen, wie viel Geld es insgesamt kosten wird, die maroden Staatstheater in Stuttgart auf Vordermann zu bringen. Fest steht nun schon, dass es deutlich länger dauern wird als geplant. Und auch die Kostenschätzung von einer Milliarde Euro aus dem Jahr 2019 dürfte nicht mehr zu halten sein. Nun wächst die Sorge, dass das ganze Projekt zum Fass ohne Boden werden könnte. Es wäre nicht das erste Milliardengrab in Stuttgart. 

Die wichtigsten Fragen dazu – und die Antworten:

Was gibts Neues zur Opernsanierung?

Die Projektgesellschaft ist nach ihrer Übernahme der Planungen tiefer in das Vorhaben eingestiegen und hat dem Verwaltungsrat der Württembergischen Staatstheater (WST) am Montagabend eine „belastbare Grobterminplanung“ für die Ausweichspielstätte vorgestellt. Demnach kann mit dem Bau der Ausweichstätte, in der die Opern während der aufwendigen Sanierung aufgeführt werden sollen, erst Ende 2028 und damit zwei Jahre später begonnen werden als angenommen. Erst im Herbst 2033 soll das neue Gebäude in Betrieb genommen werden können. Entsprechend würde sich der Umzug des Ensembles in den Interimsbau an den sogenannten Wagenhallen verzögern, derzeit wird sogar von vier Jahren Verspätung ausgegangen. 

Was soll das kosten?

Bislang war offiziell von bis zu einer Milliarde Euro die Rede – inklusive Risikopuffer und im ungünstigsten Fall. Schon vor zwei Jahren hatten Regierungskreise aber eine Verdopplung der Kosten nicht ausgeschlossen. Zu den Mehrkosten für das ganze Mega-Projekt über die einst veranschlagte eine Milliarde Euro hinaus soll es nun erst in mehreren Jahren Angaben geben. Schätzungen könnten erst aufgestellt werden, wenn eine bestimmte Planungstiefe erreicht sei, hieß es. „Wir wagen keine Kostenschätzung“, sagte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). Bauprojekte dieser Größenordnung seien „eine gefahrgeneigte Tätigkeit“.   

Wann soll es denn Zahlen geben?

Derzeit geht die Projektgesellschaft davon aus, dass die Kosten für einen ebenfalls geplanten Anbau an das Kulissenlager auf dem Cannstatter Zuckerfabrikareal im Sommer feststehen können, die Schätzungen für den Interimsbau erst Ende 2026. Zum eigentlichen Kostentreiber, der Sanierung des Littmann-Baus, soll es erst 2030 Angaben geben. Dann erst muss auch das Land darüber entscheiden – das Interim wird zu diesem Zeitpunkt aber bereits gebaut. 

Ist das überraschend? 

Nicht unbedingt. Die Entwicklungen kennt man schon etwa aus Köln, wo sich die Kosten für die deutlich verzögerte Sanierung des denkmalgeschützten Opern- und Schauspielhauses zuletzt auf mindestens 800 Millionen Euro erhöht haben – von 253 Millionen Euro. Auch am Nationaltheater in Mannheim und beim Badischen Staatstheater in Karlsruhe liegen die Kalkulationen deutlich über den anfangs veranschlagten Summen. Überraschend am Stuttgarter Ausmaß ist die Tatsache, dass die Kosten des Projekts trotz des langen Anlaufs erst in einigen Jahren umrissen werden können; also wenn ein Teil des Projekts schon angelaufen ist. Olschowski betonte, Stadt und Land planten die Finanzierung „so transparent und so sauber wie möglich“. 

Wie kam die alte Kostenschätzung von rund einer Milliarde zustande?

Es handelt sich dabei um eine Kostenschätzung aus dem Jahr 2019. Darin enthalten ist die Grundsumme von 550 Millionen Euro für die Sanierung, außerdem sind 450 Millionen Euro für die Abfederung von Risiken und für Baukostensteigerungen vorgesehen. Allein die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre zeigen aber, dass diese Rechnung bei weitem nicht mehr aufgeht. Obendrein sind die Kosten für den Interimsbau darin nicht enthalten, weil dieser in weiten Teilen weiterverwendet werden kann.

Warum muss die Oper denn überhaupt saniert werden?

Die Sanierung des mehr als 110 Jahre alten Opernhauses im Stuttgarter Schlossgarten steht außer Frage. Das Haus ist schlicht heruntergewirtschaftet, es platzt zudem aus allen Nähten. Unter anderem wird mehr Platz zum Beispiel für Proberäume benötigt. Das Dach ist marode, die Bühnentechnik veraltet und die Gastronomie nicht mehr zeitgemäß. Die Intendanten der Staatstheater rufen zunehmend verzweifelt und lautstark nach schnellen Lösungen. 

Wo sollen in der Zeit Opern aufgeführt werden?

Für etwa zehn Jahre soll die neue Bühne in den sogenannten Wagenhallen als Übergangsquartier für die Staatstheater dienen. Die Oper könnte dann also erst in den frühen 2040er Jahren zurück in den Littmann-Bau ziehen – statt wie bislang gedacht zum Ende der 30er-Jahre. Zeitgleich sollen die angrenzenden Verwaltungs- und Kulissengebäude abgerissen und neu gebaut werden, zudem ist der Anbau in Bad Cannstatt geplant. 

Was passiert später mit dem Interimsbau?

Die Interimsspielstätte soll im künftigen Stuttgarter Stadtteil Rosenstein stehen. Der Bau an den Wagenhallen im Stuttgarter Norden soll auch der Einstieg sein in das dort geplante Quartier „MakerCity“, das als Pilotprojekt für Wohnen, Arbeiten und Kultur geplant ist. Ein großer Teil der Ausweichspielstätte soll später erhalten bleiben.

Wer ist verantwortlich für das ganze Projekt?

Stadt und Land teilen sich als Träger des größten Dreispartenhauses der Welt die Kosten, allerdings übernimmt die Stadt die Baukosten für die Ausweichstätte. Für die Planung und Umsetzung des Gesamtprojekts haben die beiden Partner die gemeinsame Projektgesellschaft Württembergische Staatstheater Stuttgart GmbH, kurz ProWST, gegründet. Das Land stimmt erst später ab, ob und wie es bei der Sanierung des Opernhauses definitiv einsteigt. 

Was sagen Kritiker dazu?

Sie befürchten, die Sanierung könnte zu einem ähnlichen Milliardengrab werden wie der benachbarte Stuttgart 21-Tiefbahnhof. Es werden ein Innehalten und alternative Ideen wie zum Beispiel ein Neubau gefordert. Ähnliche Stimmen sind seit längerem aus der CDU zu vernehmen – und die Landtagswahl steht vor der Tür. Da wird das ganze Projekt erneut und immer lauter infrage gestellt. Stadt und Land lehnen einen Neubau aber ab. „Es gibt keine Denk- und Sprechverbote“, sagte OB Nopper. „Dennoch sollten wir die Grundsatzdebatten der Vergangenheit nicht wieder von vorne beginnen.“ 

Aber Neubau klingt doch gut. Was spricht dagegen?

Grundsätzlich zunächst wenig. Aber die Vor- und Nachteile eines Neubaus haben Stadt und Land, Bauverwaltungen und Staatstheater jahrelang abgewogen. Zum einen muss das historische Opernhaus auch bei einem Neubau erhalten und saniert werden, denn es steht unter Denkmalschutz. Ein Neubau muss aus Sicht der Stadt auch nicht preiswerter sein, im Gegenteil. Sie hat einen fiktiven Neubau und seine Konsequenzen durchgerechnet und kam in der Summe aller Teilprojekte im Jahr 2019 auf Kosten von 1,2 bis 1,4 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass beide Spielstätten unterhalten werden müssten.