Lydia Litvyak war nicht so ausgebildet und so versiert wie die deutschen Piloten. Doch sie war kühn und errang 17 Luftsiege. Über dem Kursker Bogen verlor sie ihr junges Leben. Ihre Reste wurden erst 1979 gefunden.
In der Zeit zwischen den großen Kriegen elektrisierte die Luftfahrt die Welt. Man staunte über tollkühne Piloten und immer neue Rekorde. Nichts verkörperte den Aufbruch in eine neue Zeit nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung mehr als das Fliegen. Die Begeisterung erfasste auch Frauen. Am bekanntesten sind im Westen Amelia Earhart, die bei dem Versuch der Weltumrundung spurlos verschwand, und die Deutsche Hanna Reitsch, die mit einem selbstmörderischen Einsatz 1945 auf der Straße „Unter den Linden“ in Berlin landete und Hitler aus der brennenden Stadt ausfliegen wollte.
Auch Lydia Litvyak gehörte zu diesen Pionierinnen. Schon im Alter von 15 Jahren unternahm sie den ersten Alleinflug, 1940 wurde sie Fluglehrerin. Sie wurde gefördert, obwohl ihr Vater in den stalinistischen Säuberungen hingerichtet wurde. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wollten diese Pilotinnen ihren Ländern dienen. Die West-Alliierten setzten einige Frauen ein, aber sie durften nur Maschinen überführen. Kampfeinsätze waren tabu. Damit gab sich die sowjetische Flugpionierin Marina Raskowa nicht zufrieden. Sie hatte in den 1930ern mehrere Langstrecken-Weltrekorde aufgestellt. Es gelang der bekannten Frau, Fürsprecher bei Stalin zu gewinnen. Angeblich wegen ihrer Verbindungen zum NKWD. Schon am 8. Oktober 1941 ordnete Stalin an, drei Fraueneinheiten aufzustellen.
Fiel mit Extravaganzen auf
Sofort meldete Litvyak sich freiwillig. Doch sie war eine extravagante junge Frau und das stieß dem Militär sauer auf. Sie schlich sich heimlich aus dem Schlafsaal, um mit männlichen Soldaten tanzen zu gehen. Sie widersetzte sich dem Drill und wollte ihre langen Haare behalten. Als die Locken fallen mussten, blondierte sie ihre Frisur. Sie ging nicht, sie schritt – die Männer drehten sich nach ihr um. Die Uniform verschönerte sie mit einem Pelzkragen. Gemacht aus dem Kaninchenfell ihrer Stiefel. Das war kein Einzelfall. Die Stalinzeit förderte in gewisser Weise die Emanzipation. Darum wurden Mädchen umworben, in die Flug-Clubs einzutreten. Dazu lockerten sich die Sitten. Dem Militär missfiel das. Auch die berühmteste Scharfschützin des Krieges, Ljudmila Pavlichenko, eckte wegen ihrer Affären und Model-Allüren an.FS Lilie
Am Ende sah man Litvyak alles nach, selbst dass sie in ihren Bewerbungspapieren mächtig übertrieben hatte, denn sie war die beste Pilotin in ihrer Gruppe. Ihre ersten Einsätze an der Steppenfront flog sie noch in einer reinen Fraueneinheit. Dann wurden die drei besten Frauen zu Männerregimentern an der Front versetzt. Nun sollte Litvyak Stalingrad verteidigen.
Flugzeug für den Dogfight
Lydia Litvyak wurde mit der Jakowlew Jak-1 berühmt. Die Jak-1 gilt als einer der besten sowjetischen Jäger der ersten Kriegsjahre. Die Maschine war gut bewaffnet und sehr wendig. Sie wurde von Beginn an mit einem MG im Kaliber 20 Millimeter gebaut. Im Dogfight – Kurvenkampf – konnte sie sich mit der deutschen Messerschmitt 109 messen. Unter Beschuss geriet sie allerdings schnell in Brand.
Zwei Abschüsse über Stalingrad
Schon der erste Einsatz der 20-Jährigen war ein Paukenschlag. Ihre Staffel traf auf drei deutsche Bomber vom Typ Ju-88 und Messerschmitts des Jagdgeschwaders 53. Litvyak fiel durch ihre Kühnheit auf, sie stürzte sich auf die Bomber, die planlos ihre Bomben abwarfen, um zu entkommen. Einen Bomber schoss sie ab, dann hängte sie sich hinter eine Me-109. Dabei holte sie das deutsche Flieger-Ass Erwin Maier vom Himmel. Er überlebte und wurde gefangen genommen. Maier bekam einen Schock, als er auf seine Gegnerin traf. Er konnte es nicht glauben, von einem Mädchen abgeschossen worden zu sein. Erst als Litvyak ihm die Einzelheiten des Luftkampfes schilderte, ließ er sich überzeugen.
Trotz weiterer Erfolge war sie als Frau im Regiment nicht gut gelitten. Die Anwesenheit von Frauen war ungewohnt. Männer weigerten sich, mit einer Maschine zu starten, die von einer Frau gewartet wurde, und murrten, wenn eine Pilotin ihrer Gruppe zugeteilt wurde. Das besserte sich erst, als eine weitere Pilotin, Katya Budanova, zu dem Verband kam. Dazu begann eine stürmische Romanze zwischen Litvyak und ihrem Staffelführer, Alexey Salomatin.
Weltweiter Ruhm
Ihr größter Kampf katapultierte die junge Pilotin in den Olymp der stalinistischen Propaganda. Ganz allein stellte sie sich sechs Messerschmitts entgegen und schoss zwei von ihnen ab. 15 Minuten kurvte und kämpfte sie mit den deutschen Maschinen, bis sie sich lösen konnte. Litvyak erlitt schwere Verletzungen in diesem Luftkampf. Dennoch brachte sie ihre Maschine nach unten. Ein Mädchen, das Kleider aus den Fallschirmen der abgeschossenen Piloten nähte, attackierte sechs deutsche Maschinen! Darüber berichtete selbst die „New York Times“.
Tod des Geliebten
Wieso Lydia Litvyak die „Weiße Lilie von Stalingrad“ genannt wurde, ist unklar. Vermutlich wegen ihrer Schönheit und der blondierten Haare. Ihre Jak trug jedenfalls kein Emblem, wie es bei deutschen Piloten üblich war. So wie etwa die schwarze Tulpe von Erich Hartmanns Maschine. Nun wurde sie auch an der Front geachtet und befördert. Doch dann stürzte ihr Geliebter ab und starb. Am Grab habe sie Rache geschworen, erinnerte sich ihre Mechanikerin Inna Pasportnikova. „Lydia wollte nicht am Boden bleiben. Sie wollte nur fliegen und kämpfen, und sie flog verzweifelt in den Kampf.“ Nicht untypisch für die Zeit. Die Panzerfahrerin Mariya Oktyabrskaya ging an die Front, weil die Deutschen ihren Mann getötet hatten. Sie schrieb ihrer Schwester, dass sie häufig so von Wut erfüllt war, dass sie kaum atmen konnte.
Litvyaks ohnehin kühner Stil wurde immer aggressiver. Immer wieder wurde sie verwundet, einmal musste sie aus der brennenden Maschine aussteigen. Vermutlich hatte sie keine Wahl. Im Jahr 1943 war die Luftwaffe noch nicht besiegt. Im Westen nicht und schon gar nicht im Osten. Die sowjetischen Flieger traten mit dem Mut der Verzweiflung an, schwere Verluste waren an der Tagesordnung. Von einer Überzahl der Gegner konnten sie sich nicht abhalten lassen.
Lebenslange Suche
Am 1. August stürzte sich Litvyak auf eine Gruppe deutscher Bomber und wurde dabei von Messerschmitts überrascht. Dann verschwand Lydia Litvyak vom Himmel und von der Welt. Ihre Kameraden konnten die abgestürzte Maschine nicht finden, daher galt Litvyak als vermisst. Inna Pasportnikova hat sie nie vergessen. Sie wusste, dass bösartige Gerüchte, ihre Freundin sei desertiert, nicht wahr sein konnten. Solche Zweifel verhinderten, dass Litvyak den höchsten Titel der Sowjetunion bekam. Diese Ungerechtigkeit ließ Pasportnikowa keine Ruhe, ihr ganzes Leben lang suchte sie ihre Kommandantin. Sie ging jeder Spur nach und entdeckte 90 unbekannte Absturzstellen und grub dabei unzählige Piloten aus. Nur von Lydia gab es keine Spur. 1979 exhumierte Pasportnikowa eine Tote – endlich eine weibliche Pilotin, 34 Jahre nach dem Absturz hatte sie ihre Freundin gefunden. Doch die Rote Armee hatte immer noch keine Eile. Erst 1988 wurde Litvyak von „vermisst“ zu „im Einsatz getötet“ umgestuft. Ein Jahr später erhielt sie den Titel „Heldin der Sowjetunion“. Pasportnikowa hatte ihr Ziel erreicht.
Wie sind Litvyaks Siege zu bewerten?
Keine Frau hat so viele Luftsiege errungen und vermutlich wird es auch nie wieder eine Frau schaffen. Gegenüber den Zahlen der deutschen Asse, wirken ihre 12 oder nach anderen Angaben 13 Einzelabschüsse plus 4 Gruppenabschüsse überschaubar. Erich Hartmann verbuchte 352. Der berühmte alliierte Pilot Chuck Yeager kam auf 13. Doch Litvyak musste unter ganz anderen Bedingungen antreten. Yeager flog eine North American P-51 Mustang – eines der besten, wenn nicht das beste Jagdflugzeug des Krieges. Die deutschen Piloten waren erfahrener, in dieser Phase des Krieges immer in Überzahl und ihre Maschinen – die Me Bf 109 G und erst recht die Focke Wulff 190 – der Jak-1 eigentlich überlegen. Litvyak war keine eiskalte Taktikerin, sie machte diese Nachteile mit ihrem Mut und ihrem Zorn wett.
Sie war eine geborene Kämpferin, auf sie traf der Satz des deutschen Generals der Jagdflieger Adolf Galland zu: „Nur der von einem kämpferischen Herzen getragene Angriffsgeist wird die Jagdwaffe zu Erfolgen bringen.“ Es wird gern behauptet, dass die weiblichen Heldinnen vergessen wurden. Von Leuten, die sich für den Krieg nicht interessieren. Über Lydia Litvyaks Taten gibt es Filme, Bücher – auch in englischer Übersetzung. Ihre Einsätze werden in Simulatoren nachgestellt, Enthusiasten können sogar sie und ihre Yak-1 als Spielfigur erwerben.