Bei der letzten Bundestagswahl war die SPD ganz früh dran mit der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten. Diesmal scheint sie zu zögern. Und in der Basis scheint die einstige Geschlossenheit Geschichte.

Trotz Beteuerungen aus der Parteispitze wächst in der SPD der Druck für eine Auswechslung ihres designierten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Immer mehr Basis-Gruppierungen rufen inzwischen laut nach Verteidigungsminister Boris Pistorius. Sonst drohe eine dramatische Niederlage bei der Bundestagswahl, warnte zuletzt der Unterbezirk Bochum – Teil der einflussreichen NRW-SPD. 

Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte Unterbezirks-Chef Serdar Yüksel dem „Stern“. „Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius.“ Der Verteidigungsminister ist Umfragen zufolge in der Bevölkerung deutlich beliebter als Scholz, weswegen ihn manche für den aussichtsreicheren Kanzlerkandidaten halten. Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung, betonte Yüksel. „Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt.“ 

Für die Parteispitze gilt Scholz als gesetzt – das haben die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, aber auch Generalsekretär Matthias Miersch in den letzten Tagen immer wieder beteuert. Scholz selbst hat auch bereits klargemacht, dass er antreten und Kanzler bleiben will. Dass die Parteiführung gegen seinen Willen einen anderen Kandidaten nominiert, gilt als nahezu ausgeschlossen. Für einen Wechsel müsste der 66-Jährige also wohl selbst zurückziehen.

Scholz setzt auf Aufholjagd

Yüksel appellierte an den Kanzler, den Weg noch vor Weihnachten freizumachen – und damit eine Art Befreiungsschlag zu ermöglichen. Scholz selbst antwortete in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ nur ausweichend auf die Frage, ob er sich unter bestimmten Umständen vorstellen könnte, die Kandidatur zu überdenken. „Na ja, die Umstände der nächsten Wahl sind doch ziemlich klar“, sagte er. Auf die Nachfrage, wie es bei einer Verschlechterung der Umfragewerte wäre, fügte er hinzu: „Die Zuverlässigkeit solcher Umfragen ist überschaubar, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, auch wenn das manche schnell vergessen haben.“

2021 hatten Scholz und die SPD zweieinhalb Monate vor der Wahl bis zu 16 Prozentpunkte hinter der Union gelegen. Ein Lacher von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Flutgebiet drehte die Stimmung – die SPD gewann und Scholz wurde Kanzler der ersten Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene. Jetzt liegt die SPD 100 Tage vor der Wahl in den Umfragen 16 bis 18 Prozentpunkte hinter der Union auf Platz 3 – noch hinter der AfD.

Pistorius: „Hypothetische Fragen“ 

Pistorius erklärte, er wolle in einer künftigen Regierung Verteidigungsminister bleiben. „Ich habe wirklich einen Haufen Arbeit in meinem Ressort. Die möchte ich gerne weitermachen, denn sie ist noch nicht abgeschlossen“, sagte er. 

Und er betonte: „Wir haben einen hervorragenden Bundeskanzler, der entschieden hat, weitermachen zu wollen.“ Er gehe fest von Scholz‘ Nominierung aus. „Und auf hypothetische Fragen, ob ich für irgendwas auch immer zur Verfügung stünde, antworte ich grundsätzlich nicht, weil, ich müsste etwas ausschließen, wonach mich keiner gefragt hat oder mich für etwas bereiterklären, wonach mich niemand gefragt hat.“

Entscheidung in nächsten Wochen erwartet

Viel Zeit hat die SPD nach dem Bruch der Koalition nicht mehr für die Nominierung ihres Kanzlerkandidaten. Am 23. Februar soll gewählt werden – und die Kampagnen werden üblicherweise sehr auf den Kandidaten zugeschnitten. 

Eine Entscheidung der Parteiführung wird bis zu einer sogenannten „Wahlsieg-Konferenz“ am 30. November erwartet. Für den 11. Januar ist ein Parteitag angesetzt, auf dem die Personalie dann noch bestätigt werden könnte.

Rückendeckung aus der erweiterten Führungsriege

Unterstützung bekam Scholz von Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. „Der Bundeskanzler tritt noch einmal an. Damit ist klar, wer der Kanzlerkandidat der SPD ist“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach schloss einen Kandidatenwechsel aus. „Olaf Scholz ist der richtige Bundeskanzler für das Land in diesen schweren Zeiten und er sollte deswegen weiter im Amt bleiben nach den Wahlen“, sagte er der „Rheinischen Post“. 

Esken gibt Medien Mitschuld für Debatte

SPD-Chefin Saskia Esken räumte Debatten in ihrer Partei zur K-Frage ein. Das sei aber angesichts der Umfragewerte und des „medialen Dauerfeuers“ auch wenig verwunderlich, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie bekräftigte: „Für mich bleibt es dabei, dass wir mit Olaf Scholz in den Wahlkampf ziehen.“ Er sei auf internationaler Bühne erfahren, erfolgreich im Schmieden von Bündnissen und habe bewiesen, dass er Herausforderungen bewältigen könne. Man dürfe nicht glauben, der Austausch von Personal löse alle Probleme.