Der Grünen-Landesverband in Berlin will Bahnfahren für Frauen sicherer machen – und denkt über Frauenabteile nach. Was nach Schnapsidee klingt, hat eine lange Geschichte.
An einem Freitagabend im Februar, es ist kurz nach Mitternacht, wird eine Frau vergewaltigt. Tatort: Die Berliner U-Bahnlinie U3 Richtung Zehlendorf. Ein Mann soll sie nach Polizeiangaben erst sexuell genötigt und anschließend vergewaltigt haben. Danach steigt der Täter aus der Bahn und verlässt den Bahnhof in Richtung Bus, als wäre nichts gewesen.
Der Übergriff im Februar 2024 ist einer von hunderten in Berliner Bussen und Bahnen, die offiziell erfasst werden. 2023 waren es laut dem Sicherheitsbericht der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) rund 4200 Körperverletzungen, Nötigungen, Raubüberfälle und Sexualdelikte. Der höchste Wert seit zehn Jahren, bei rund einer Milliarde Reisenden im Jahr. Allein 392 Sexualdelikte erfasste die Berliner Polizei im öffentlichen Nahverkehr. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Die Opfer: zu fast 90 Prozent weiblich.
Berliner Grüne wollen mit Frauenabteilen Gewalt vorbeugen
Die Hauptstadt hat das Problem bei weitem nicht exklusiv. Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt. Häufig zuhause, aber auch in der Öffentlichkeit. Die Grünen-Sprecherin für Verkehrspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, sorgt nun mit einem Vorschlag für Aufmerksamkeit: Bahnwaggons nur für Frauen. „Hier haben sie einen Schutzraum, der es ihnen ermöglicht, auch in der Rushhour, auch bei großem Gedränge ohne Antatschen oder Übergriffe mit der U-Bahn zu fahren“, sagt Kapek der Nachrichtenagentur DPA.GewaltimZug 13.40
Was für manche absurd klingt, wird in anderen Ländern längst praktiziert. Japan hat seit 1912 Frauenabteile, die insbesondere zu Hauptverkehrszeiten Schulmädchen und Frauen vor Übergriffen schützen sollen. Das heutige System, mit Hinweisen auf dem Bahnsteig und zusätzlichem Personal, gibt es seit Anfang der 2000er Jahre. Damals erlebten laut der Tokio Metropolitan Polizei etwa zwei Drittel der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren Übergriffe im öffentlichen Nahverkehr – so häufig, dass die Taten mit „chikan“ einen eigenen Begriff bekamen.
Die Wagen funktionieren durch das Prinzip der sozialen Erwartung. Steigt ein Mann ein, wird ihn keine juristische Strafe erwarten. Doch zeigt zum Beispiel eine Befragung von 2018, dass 70 Prozent der weiblichen Reisenden in Tokio die Frauenabteile gut finden. Die Lösung für Deutschland?
Frauen fühlen sich in Bus und Bahn häufig nicht sicher
In einer Befragung des Bundeskriminalamts 2022 gab mehr als die Hälfte der Frauen an, sich nachts ohne Begleitung im öffentlichen Personennahverkehr nicht sicher zu fühlen. Innenministerin Nancy Faeser sagte damals: „Dass sich viele Frauen nachts nicht frei bewegen, dass sie sich einschränken, weil sie sich bedroht fühlen, können wir so nicht hinnehmen.“ Helfen könnte theoretisch das von Faeser zuletzt angestoßene Messerverbot, wenn dies auch mit anderer Motivation eingeführt wurde. Doch müssen nicht immer Waffen im Spiel sein, damit Frauen sich unsicher fühlen – oder belästigt werden.
Andere Parteien äußerten sich eher kritisch zu dem neuen Vorschlag der Grünen. Frauenwägen seien „absurd“ und gingen „am Problem vorbei“, heißt es aus der Berliner AfD. Der Berliner FDP-Generalsekretär Peter Langer spricht von einer „Bankrotterklärung“ und fordert zusätzliches Sicherheitspersonal in den Abend- und Nachtstunden, zitiert der RBB. Auch die Linke-Fraktion setzt sich dem Sender zufolge für „dauerhaft mehr Sicherheitspersonal“ ein.
Zurückhaltend äußern sich auf stern-Anfrage sowohl die BVG als auch die Berliner Polizei. Die BVG empfiehlt in gefährlichen Situationen den direkten Kontakt mit dem Personal, zum Beispiel via Not- und Informationssäulen: „Drücken ist ausdrücklich erlaubt!“ Der Sicherheitsdienst sei in den vergangenen Jahren zudem ausgebaut und speziell geschult worden. Die Polizei möchte keine Einschätzung zu dem Vorschlag geben und verweist zusätzlich auf regelmäßige Seminare zum „Umgang mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum“, die für Bürgerinnen und Bürger angeboten werden.
Gewalt gegen Frauen – das zeigen sämtliche Statistiken – ist ein strukturelles Problem. Die Humangeografin Mary Dellenbaugh-Losse von der Berliner Beratungsagentur Urban.Policy. nennt die Idee in der „NZZ“ deshalb eine Ausweichmöglichkeit, aber keine langfristige Lösung. Wichtig sei es vor allem, „die Männer mit ins Boot zu holen.“
Quellen: RBB, BBC, West Japan Railroad, Japan Experience, Berliner Morgenpost, „NZZ„