Der Wahlkampfexperte Frank Stauss hat die SPD schon in viele Schlachten geführt. Im Interview verrät er, wie die Sozialdemokraten doch noch gewinnen könnten. 

Frank Stauss kennt Wahlkämpfe, die SPD und vor allem Olaf Scholz. Er führte 2005 die schon verloren geglaubte Kampagne des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder fast zum Sieg, verhalf Scholz 2011 in Hamburg zu einer absoluten Mehrheit. Im Interview erklärt der Kampagnenexperte, wie die Sozialdemokraten bei dieser vorgezogenen Wahl doch noch gewinnen könnten und warum Boris Pistorius nicht mehr Kanzlerkandidat wird.

Die SPD steht in Umfragen gerade bei 15 Prozent. Gibt es für die Sozialdemokraten überhaupt noch eine Chance, das Kanzleramt zu behalten? 
Es gibt eine minimale Chance. Ein Wahlkampf kann eine hohe Dynamik entfalten. Bei der letzten Bundestagswahl stand die SPD auch schon mal bei 15 bis 16 Prozent. Am Ende erhielt sie über 25 Prozent der Stimmen. Wir haben auch bei den vorgezogenen Neuwahlen 2005 erlebt, dass es innerhalb von wenigen Wochen – sogar innerhalb von 14 Tagen – dramatische Wählerverschiebungen gab. Die Kampagne hat es gemeinsam mit Gerhard Schröder geschafft, acht Prozentpunkte aufzuholen.

Schröders Wahlkampf haben Sie damals mit Ihrer Werbeagentur begleitet. Wo sehen Sie Unterschiede zu heute?
Die Ausgangslage ist anders. Schröder hatte persönlich relativ gute Umfragewerte, obwohl die SPD als Partei – für die damaligen Verhältnisse – sehr schlecht dastand. Heute ist die Regierung beschädigt, Scholz auch. Und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die SPD das Kanzleramt hält. Stärker als jetzt kann sie aber werden.

Zur Person Stauss

Und wie kann Scholz seine Chancen verbessern?
Ich denke, der Wahlkampf ist in den Grundzügen schon angelegt. Es wird mehr als in den letzten Wahlen um wirtschaftliche und soziale Fragen gehen. Wir haben in diesem Land einen Investitionsstau, den jeder Bahnreisende leidlich kennt. Die Message der SPD könnte lauten, dass man gerade jetzt einen starken, handlungsfähigen Staat braucht. Dass die Menschen sich gerade in Zeiten von Umbrüchen auf eine soziale Sicherheit in diesem Staat verlassen können. Dass wir die großen Themen bei Gesundheit und Pflege auch anpacken. Und deswegen glaube ich, dass die SPD mit diesen Projekten ein starkes Paket schnüren kann. 

Das steht im Gegensatz zur Union, die sich eher auf wirtschaftliche Themen fokussiert.
Es kann sein, dass es ein klassischer Lager-Wahlkampf wird. Das führt dann dazu, dass sich die Wähler um die stärkste Partei im jeweiligen Lager versammeln. Und dann rücken die anderen Parteien neben SPD und Union in den Hintergrund. 

Das klingt beinahe so, als müsste die SPD den Grünen und den Linken Stimmen abwerben?
Die SPD könnte ein paar Stimmen aus dem linken Lager gut gebrauchen. Aber ich glaube, auch bei den Konservativen sind Stimmen zu holen. Friedrich Merz ist ein Kandidat, der viele Unionswähler und vor allem Unionswählerinnen, die sich von Merkel angesprochen fühlten, nicht anspricht. Die CDU ist männlicher, konservativer, härter geworden und hat dadurch bereits bei der letzten Bundestagswahl Stimmen verloren.

Ist es denn überhaupt noch so wichtig, welchen inhaltlichen Fokus die Parteien setzen? Geht es nicht viel mehr um den Kanzlerkandidaten?
Wir haben in den beiden großen Parteien Kandidaten, die nicht sonderlich beliebt sind. Scholz nicht, aber Merz auch nicht. Da kann es sein, dass am Ende tatsächlich der thematische Fokus den Ausschlag gibt.

Sie rieten der SPD einmal in einem Wahlkampf: „Das muss eine Schlacht werden, die alle wachrüttelt, mit Pauken, Trompeten, Flugzeugträgern, Helikoptern, Furzkissen und Konfetti.“ Man hat das Gefühl, der Kanzler hat das am Abend, als die Koalition platzte, beherzigt zieht Olaf Scholz in die Schlacht? 
Ich denke, wir haben schon an dem Abend, als die Koalition platzte, einen Scholz im Angriffsmodus erlebt. Der Mann hat über die letzten zwei Jahre sehr viel persönlich einstecken müssen, wovon er vielleicht das eine oder andere verdient hat, aber sicherlich nicht alles. Es tut ihm ganz gut, wenn er auch mal härter auftritt.

STERN PAID 47_24 Olaf Scholz

Und hat der Scholz, der im Angriffsmodus war, mehr Chancen als der ruhige Kanzlerkandidat, der er 2021 war? 
Die Chancen sind geringer, und deshalb muss er aktiver aufspielen. Er ist nicht mehr der Kandidat, von dem man glaubt, dass er es am besten kann, weil diese Ampel-Regierung einfach nicht funktioniert hat. Aber er ist den Menschen immer noch vertrauter als Merz – und dieser ist fehleranfälliger. Die Union will sicher auch deshalb so schnell wählen, weil sie Angst vor dem Kandidaten Merz hat. 

Ein anderer Genosse hat hingegen hervorragende Umfragewerte. Mittlerweile fordern die Ersten in der SPD, Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten zu machen.
Die Debatte gibt es, seitdem Pistorius im Kabinett sitzt und die besten Umfragewerte aller Politiker in Deutschland hat. Aber es macht zu diesem sehr späten Zeitpunkt keinen Sinn, Scholz noch zu ersetzen.

Warum? 
Erstens hat sich Boris Pistorius nicht um diesen Job beworben. Er unterstützt Olaf Scholz. Zweitens würde es die Wähler noch viel mehr irritieren, jetzt noch mit einem neuen Kandidaten um die Ecke zu kommen. Wir wählen ja in etwa vier Monaten. Diese Debatten gibt es immer wieder, wenn ein Kandidat schwächelt. So etwas muss man aussitzen. Warten wir mal die ersten Fettnäpfchen von Merz ab, und dann wird sich auf Unionsseite sicher Herr Söder in Erinnerung bringen.