Der Kinderwunsch von Eva T. stößt bei ihrem Mann auf taube Ohren. Nun hängt der Haussegen schief. Ist die Ehe gescheitert oder kann eine Paartherapie helfen?
Liebe Frau Peirano,
ich bin 38 und lebe seit neun Jahren mit meinem Mann Sebastian, 44, zusammen. Als wir uns kennenlernten, befand er sich gerade in der Trennung von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hatte: Zoe (jetzt 17 und Joel jetzt 15). Ich habe meinem Mann sehr viel zugehört und ihm geholfen, sich von seiner Frau Naomi zu trennen und mit den Kindern klarzukommen. Als wir ein Paar wurden, waren die beiden ja noch sehr klein (8 und 6). Ich habe mich um sie bemüht, aber auch immer eine gewisse Fremdheit gespürt, da ich ja nicht ihre leibliche Mutter bin. Wir sehen auch sehr unterschiedlich aus, da die Mutter schwarze Brasilianerin ist und ich blond bin.
Die leibliche Mutter ist Modedesignerin und Model, viel in der Welt unterwegs und hat sich wenig um die Kinder gekümmert. Sie hatte öfter neue Liebhaber, trinkt viel, geht viel aus, und oft hat sie die Kinder vernachlässigt und wir mussten einspringen.
Sebastian hat auch viel gearbeitet und ich habe mich viel um Zoe und Joel gekümmert, aber es blieb immer der Gedanke, dass ich auch gerne eigene Kinder hätte. Sebastian und ich wollten auch immer eigene Kinder, bzw. ich sprach, wie es mir im Nachhinein auffällt, von „Kindern“, er sprach von „einem Kind“. Dann wurde ich schwanger und bekam Matilda (jetzt 6). Schon in der Schwangerschaft merkte ich, dass mein Interesse an Sebastians Kindern deutlich weniger wurde. Ich gab mir große Mühe, sie es nicht merken zu lassen. Peirano November 1
Während Matildas erstem Jahr hatte Sebastian eine Krise. Er fühlte sich mit drei Kindern, der Arbeit und den Spannungen mit seiner Ex-Frau überfordert. Er konnte keine Musik mehr machen, was immer sein Ausgleich gewesen war. Er versuchte stets, es allen recht zu machen, verzettelte sich komplett und wurde gereizt und ungeduldig. Wenn nur das kleinste bisschen schiefging, z.B. Kakao verschüttet wurde oder ein Kind zu laut redete, verdrehte er die Augen und verzog sich in sein Zimmer oder ranzte die Kinder an.
Ich war selbst völlig überfordert mit allem: meiner Arbeit, einem gereizten Mann und drei Kindern, von denen zwei von der Scheidung und ihrer unzuverlässigen Mutter geschädigt waren und einerseits von mir Nähe und Sicherheit wollten, andererseits aber bei jeder Gelegenheit betonten, dass ich nicht ihre Mutter sei. Sie waren launisch und stritten viel.
Mir fehlte zudem, dass Sebastian Begeisterung für Matilda zeigte. Für ihn waren ihr erstes Lächeln, der erste Schritt, das erste Wort keine so neuen und wundervollen Meilensteine wie für mich, sondern er erlebte das ja alles zum dritten Mal.
Ich zog mich zurück und wollte weniger Sex und Berührungen von ihm. Dennoch hielt mich das nicht davon ab, ihn öfter zu fragen, wann wir denn ein zweites Kind haben könnten. Ich fühlte mich als zweite Frau irgendwie unterlegen: Er hatte zwei Kinder mit der ersten Frau und verbrachte gefühlt viel mehr Zeit damit, sich mit ihr zu streiten, als mich zu lieben. Ich hatte nur ein Kind mit ihm und kümmerte mich um die ersten beiden, ohne dass es mir jemand dankte.
Der Kinderwunsch besteht nur einseitig
Sebastian reagierte sehr ablehnend auf meinen Wunsch nach einem zweiten Kind. Er hielt mir vor, dass ich nicht sehe, wie überfordert und belastet wir jetzt schon waren, unsere Kräfte am Ende, dauernd Streit, kein Sex, kaum Zeit für uns, auch finanziell reichte es hinten und vorne nicht. Wenn wir ein zweites Kind hätten, wäre es dann endgültig aus mit seinem letzten Rest von Freiheit und der Musik, er würde das nicht schaffen.Peirano Oktober 6
Ich verstand diese Argumente irgendwie, aber sie drangen nicht zu meiner Seele vor. Mein Wunsch nach einem zweiten Kind war schon seit meiner Kindheit so tief in mir verankert, ich hatte immer von zwei Kindern geträumt. Und ich konnte mich nicht damit abfinden. Ich bettelte, argumentierte, machte ihm Vorwürfe, und irgendwann fiel von ihm der Satz: du bist ja genau so verrückt wie Naomi!
Er hörte ganz auf, mit mir zu schlafen.
Ich war verletzt und nahm auf den Rat einer Freundin eine andere Arbeit an, die mich mehr interessierte und stürzte mich da rein. Matilda war mittlerweile in der Kita, und ich dachte mir: Wenn Sebastian nur an sich denkt, dann soll er sehen, wie er seine Kinder betreut. Aber ich sorge für mich. Es war eine Flucht.
Das war vor zwei Jahren, und mittlerweile denke ich, dass ich sehr verbohrt gewesen bin. Ich machte einen Schritt auf Sebastian zu und bemühte mich auch mehr um seine Kinder, kochte mehr, half ihnen bei der Schule und versuchte, eine gute Stiefmutter zu sein. Sebastian bemerkte das und näherte sich mir wieder an, auch körperlich. Wir fanden eine neue Ordnung: Sebastian fand eine besser bezahlte Stelle und konnte wieder Musik machen. Er war besser gelaunt. Und ich hatte mich arrangiert mit meiner Situation und genoss auch meine Freiheiten, seit Matilda älter geworden war.
Dann plötzlich, beim Frühstück, aus dem Nichts, sagte Sebastian zu mir: „Wenn du immer noch ein zweites Kind willst, können wir das machen.“ Ich konnte es nicht fassen, dass er das einfach so alleine entschieden hatte, nach all den Jahren, in denen er mir meinen Wunsch verweigert hat und mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen hat. Ich habe so viel für ihn und seine Kinder getan, und dann spielt er sich auf als der Entscheider, der mir erst ein Kind verweigert und Jahre später „großzügig“ eines erlaubt? Als hätte ich nicht extrem unter seinem „Nein“ gelitten und mich mühsam mit meiner Resignation abgefunden? Das war vor zwei Monaten, und ich bin immer noch völlig durcheinander und verletzt und wütend.
Was soll ich bloß machen? Ich weiß, dass ich manchmal überreagiert und nicht sachlich sein kann, aber das ist ja nun auch wirklich kein sachliches Thema. Gerade stelle ich die ganze Beziehung infrage.
Viele Grüße
Eva T.
Liebe Eva T.,
das klingt nach einer sehr komplexen, spannungsreichen Situation, in der Sie und Ihre Patchwork-Familie sich befinden! Ich betrachte die Situation ja, im Gegensatz zu Ihnen, von außen, während Sie als Betroffene natürlich näher an Ihrer eigenen Gefühls- und Gedankenwelt sind.
Von außen sehe ich folgendes Bild: Es gibt eine Patchwork-Familie, in denen Sie die zweite Frau eines Mannes sind, der bereits zwei Kinder aus erster Ehe im Teenager-Alter hat. Und die erste Frau, Naomi, ist keine zuverlässige Mutter, sondern wirkt unreif und auf ihre eigenen Bedürfnisse fokussiert. Das heißt, dass sie in der Welt herumreist, wie es ihr passt, möglicherweise ein Alkoholproblem hat, was die Unzuverlässigkeit verstärken würde, und sie hat wechselnde Liebhaber, mit denen sie kein Zuhause schafft, das ihren Kindern eine stabile emotionale Basis bietet.
In Familien ist es so, dass Kinder im Mittelpunkt stehen sollten mit ihren Bedürfnissen. Sie können schließlich nicht selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen und für sich sorgen, sondern sie sind auf die betreuenden Erwachsenen angewiesen. Das wünschen Sie sich ja auch für Ihre eigene Tochter. Können Sie die Situation einmal von außen betrachten und sich vorstellen, Zoe und Noel wären Ihre Nichte und Ihr Neffe und hätten eine unzuverlässige, ggf. alkoholkranke Mutter und einen Vater mit einer neuen Frau? Was würden Sie sich für die beiden wünschen? Was würden Sie von dem Vater und der Stiefmutter erwarten, wie sie sich um die beiden kümmern?Peirano Oktober 5 21.25
Ihr Mann ist ein verantwortungsbewusster Mensch, der es allen recht machen möchte. Das bedeutet, dass er es sowohl Ihnen als auch Zoe, Noel, Matilda und auch sich selbst recht machen möchte. Das ist ein riesiges Paket! Ich würde jetzt auch einmal ganz realistisch die Hypothese aufstellen, dass dieser Anspruch, allen gerecht zu werden, zumindest in den ersten Jahren Ihrer Ehe nicht zu erfüllen waren.
Stellen Sie sich einmal ganz nüchtern vor, Sie verdienen 1000 Euro im Monat und haben drei Kinder, von denen jedes 500 Euro benötigt. Und Sie selbst brauchen auch noch einmal 800 Euro für sich selbst. Das ist ganz klar eine Rechnung, die nicht aufgeht und zu einem monatlich wachsenden Soll führt.
Manchmal ist es hilfreich, sich Ressourcen wie Zeit, Geduld, Care-Arbeit, Hingabe, Kochen, Haushalt etc. genau so nüchtern wie die finanzielle Rechnung oben vorzustellen. Und dann stellt man bei Sebastian fest: Er muss und möchte arbeiten, er hat zwei Kinder aus erster Ehe, die ihn brauchen und deren Mutter unzuverlässig ist und die Kinder mit ihren Problemen auch stark belastet, sodass er sie auffangen und stabilisieren muss.
Dann hat er eine neue Frau, mit der er Zeit verbringen und eine gute Beziehung führen möchte, und er hat ein kleines Kind mit der neuen Frau, das auch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen möchte und darf. Möglicherweise hat er auch Schuldgefühle gegenüber Ihnen, seiner zweiten Frau, weil er spürt, dass Sie mehr von seinen Aufgaben und Problemen schultern als er von Ihren. So eine Schieflage fühlt sich für einen Mann, der allen gerecht werden möchte, bestimmt nicht gut an.
Das nagt an ihm. Insbesondere, wenn Sie ihm vorhalten, wie unzufrieden Sie sind und dass er Ihren Wunsch nicht erfüllt. Hinzu kommt, dass ihm durch sein Bemühen, alles unter einen Hut zu bringen, die Zeit für seine Erholung und sein Auftanken fehlt. Er muss auf die Musik verzichten, die ihm sehr wichtig ist. Und er hat auch mit Ihnen Reibereien, Distanzierung und Streit erlebt und dadurch kein Auftanken in der Beziehung, sondern eine weitere Belastung.Peirano Oktober 4. 20.45
Genau das ist ja auch Ihr Lebensgefühl: Die Beziehung ist eine Art Minusgeschäft. Sie stecken viel hinein, kümmern sich um seine Kinder, sind enttäuscht, weil er sich nicht so über Matilda freut, wie Sie es erwartet hätten, und Ihre Paarbeziehung erleben Sie auch nicht als ein Auftanken oder An-einem-Strang-Ziehen, sondern als Quelle von Enttäuschung.
Das tut mir für Sie beide sehr leid! Ich kann Ihr Leid, Sebastians Leid und Ihr Leid als Paar gut nachfühlen. Können Sie das auch? Können Sie sich auch einmal, genau wie ich es natürlich kann, weil ich es von außen betrachte und nicht drinstecke, einmal meine Augen leihen und sich das Ganze von außen anschauen? Können Sie sich vorstellen, Sebastian wäre nicht Ihr Mann, sondern Ihr Bruder oder Ihr bester Freund? Wie würden Sie seine Situation sehen, wenn Sie nicht selbst davon betroffen wären? Könnten Sie so etwas spüren wie: „Oh Mann, du Armer, du hast ganz schön viel Verantwortung und kommst selbst zu kurz. Und dann fühlst du dich auch noch unwohl oder sogar schuldig, weil du siehst, wie viel deine Frau für dich tut, aber du ihr nicht den Wunsch nach einem zweiten Kind erfüllen kannst, weil es Ddch komplett überfordern würde.“
Mittlerweile wird in Therapien sehr stark daran gearbeitet, Mitgefühl zu entwickeln. Das ist in erster Linie Selbstmitgefühl: Man stellt sich die eigenen Schwierigkeiten, Gefühle und Verletzungen, die man als Kind hatte oder aktuell hat, aus einer Warte einer guten inneren Mutter bzw. eines guten inneren Vaters vor und lässt sich Raum, um Mitgefühl zu sich zu entwickeln.
Gleichzeitig ist Mitgefühl auch eine sehr wichtige Basis für eine Partnerschaft: Ich habe nicht nur das Gefühl, verletzt oder enttäuscht zu werden vom Verhalten meines Partners, sondern ich sehe auch seine Situation, seine Belastungen, seine Gefühle. (So wie in der Vorstellung, er wäre mein geliebter Bruder oder bester Freund).
Ich habe den Eindruck, dass Sie an dieser Verbindung als Paar arbeiten könnten. Es scheint beidseitig das Mitgefühl für den anderen zu fehlen, und dadurch fehlen auch Ausdrücke der Dankbarkeit (von Sebastian an Sie), des Mitfühlens der Belastung des anderen, des Mitfühlens, was ein eigenes Nein für den anderen bedeutet.
Mitgefühl für den anderen ist die Basis für seelische Verbundenheit, Fairness und offene Kommunikation. Eigentlich ist es die Basis für ein Wir-Gefühl.Peirano Oktober 3 18.30
Ich würde Ihnen beiden raten, gemeinsam in einer Paarberatung/Paartherapie an diesem Thema zu arbeiten, und zwar langfristig und gründlich. Einige Paare machen drei Sitzungen und lassen es dann schleifen, das bring natürlich nichts im Verhältnis zu neun Jahren und vielen Verletzungen. Von außen betrachtet würde das sehr viel ändern und viele Verletzungen aus der Welt schaffen, wenn Sie einander aufmerksam und einfühlsam zuhören und mitfühlen würden, wie der andere sein Leben empfindet.
Bezogen auf die realen Schwierigkeiten Ihrer Patchwork-Familie würde ich sagen, dass sich einige Probleme von alleine lösen, wenn die Kinder älter und selbstständiger werden. Sie haben weniger Care-Tätigkeit, mehr Zeit für sich selbst, mehr Zeit als Paar und möglicherweise auch mehr Geld.
Da ist als Eltern eine gehörige Portion Akzeptanz nötig, um die Anstrengung der ersten intensiven Jahre eines Kindes abzupuffern und zu sagen: So ist es halt jetzt.
Ich hoffe, dass Sie mit Ihrem Mann wieder das Mitgefühl füreinander ins Fließen bringen können. Das wird mehr Milde und Weichheit in Ihre Beziehung bringen.
Herzliche Grüße
Julia Peirano