Der „Tatort“ aus Kiel mit Borowski und Sahin versucht sich an einem gewagten Gedankenexperiment, scheitert jedoch an der Glaubwürdigkeit. Warum er sich trotzdem lohnt.
Worum geht’s?
Als die Kieler Polizei die Leiche der 19-jährigen Clara am Strand findet, geht sie von einer Beziehungstat aus. Es gibt genügend Indizien gegen Claras eifersüchtigen Freund, der im Verhör mit Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik) Streit zugibt, das Tötungsdelikt aber bestreitet. Stattdessen erzählt er von Claras Faszination für eine Influencerin. Als noch zwei weitere Tote am Strand gefunden werden, verdichten sich die Anzeichen auf eine Mordserie. Alle Toten waren Klimaaktivisten und in einem nischigen sozialen Netzwerk aktiv. Bald erhärtet sich der Verdacht, dass es sich um Suizide handeln könnte: Die Opfer, in den Tod getrieben von einer Influencerin. Doch wie können Borowski und Sahin dagegen ankämpfen, vor allem, wenn die Täterin in der digitalen Welt verankert ist?
PAID Warum ich seit 50 Jahren „Tatort“ gucke – und es auch weiter tun werde_15.30
Warum lohnt sich der „Tatort: Borowski und das ewige Meer“?
Der „Tatort“ steigt poetisch mit dem Gedicht „Der Tod des Meeres“ der chilenischen Lyrikerin Gabriela Mistral ein, kombiniert dazu wirklich tolle Naturaufnahmen von der Kieler Bucht. Auch das philosophische Gedankenspiel rund um den freien Willen und die Klimakatastrophe hat Charme – wenn es nur etwas logischer und weniger überfrachtet daher käme. Denn das Problem ist: Die wunderschönen Bildern sorgen allein für Stimmung und Emotionen in diesem Krimi, die menschlichen Schicksale berühren hingegen kaum.
Was stört?
Ohne zu viel zu verraten: Ja, es ist genau das, was Sie denken. Dass der vermeintliche Clou des Films bis zur Hälfte unausgesprochen bleibt, ist eine der vielen Schwachstellen des Krimis. Zusätzlich mangelt es schlicht an Glaubwürdigkeit. Etwa, wenn sich eine junge Klimaaktivistin vorbehaltlos mit einem Boomer wie Borowski spontan am Strand anfreundet. Oder wenn die High-Tech-Oma lässig das Tablet zückt, um zu hacken. Doch vor allem, warum die eigentlich intelligenten Aktivisten und Aktivistinnen alle der Influencerin verfallen, wird nicht schlüssig erklärt. Eine Portion authentische Emotionen hätten dem Krimi gut getan. Dass das eigentlich spannende und wichtige Thema Klimapolitik und die Fronten zwischen Jung und Alt ausgerechnet ein Finale mit erhobenem Zeigefinger bekommen hat, nimmt dem Ganzen zusätzlich an Wucht.
Die Kommissare?
Borowski zeigt Verständnis für die Verzweiflung der jungen Generation, versucht, sich in sie einzufühlen und mischt sich als väterlicher Freund unter die Jungen, die am Strand Müll aufsammeln. Genau das bringt ihn auch in den Ermittlungen voran. Sahin agiert in „Borowski und das ewige Meer“ eher im Hintergrund, ermittelt mit Hilfe der IT-Spezialistin Paula von der Polizeidienststelle aus – die übrigens so hochmodern digitalisiert ist, dass Borowski im Aufzug noch nicht einmal mehr einen realen Knopf drücken muss.
Ein- oder ausschalten?
Einschalten, die Bilder genießen, die zu gewollte Handlung ignorieren und von einer Legende Abschied nehmen: Nach diesem „Tatort“ gibt es nur noch zwei weitere Folgen aus Kiel mit Kommissar Borowski, Ende 2025 geht er in den Ruhestand.