Nur wenige Stunden nach dem Ampel-Aus kündigt Verkehrsminister Volker Wissing seinen Austritt aus der FDP an. Als Minister will er weitermachen.

In aller Frühe hat Volker Wissing zum Pressestatement geladen. In sein Ministerium. Schon der Ort macht stutzig. Denn theoretisch ist der 54-jährige FDP-Politiker zwar noch Verkehrsminister. Praktisch hat aber sein Parteichef Christian Lindner vor weniger als zwölf Stunden bestätigt, dass die FDP nicht mehr Teil der Regierung ist. Schon an diesem Donnerstag sollen die Nachfolger benannt werden.

Doch Wissing wird bleiben. Das ist die Nachricht, mit der an diesem Morgen ans Mikrofon tritt. Blass sieht er aus, aber gefasst. Der Kanzler habe ihn am Vorabend „in einem persönlichen Gespräch“ gefragt, ob er bereit sei, das Amt „unter den neuen Bedingungen fortzuführen“, sagt Wissing: „Ich habe darüber nachgedacht und das bejaht.“ 

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In der FDP bleibt er hingegen nicht. „Ich möchte mit dieser Entscheidung keine Belastung für meine Partei sein“, sagt Wissing. Er habe deshalb Lindner seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt. Er wolle mit diesem Schritt „sich selbst treu bleiben“, sagt Wissing. Es ist sein Martin-Luther-Moment: Hier stehe ich und kann nicht anders.

Wissing wollte die Ampel nicht verlassen. Um eine Lösung im Haushaltsstreit zu finden, soll er noch auf den letzten Metern gemeinsam mit Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) einen Vorschlag vorgelegt haben, wie man die Finanzierungslücke im Haushalt lösen könnte. Doch dafür habe er umgehend eine Abfuhr von Lindner kassiert, wird in Koalitionskreisen erzählt.

Volker Wissing will nicht der Verräter sein

Im Ministerium am Donnerstagmorgen nimmt Wissing nach seinem Statement Journalisten-Fragen entgegen. Er will sich erklären, will nicht als Verräter dastehen. „Ich distanziere mich nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte auch nicht in eine andere Partei eintreten“, sagt er und räumt damit Spekulationen ab, er werde vielleicht Mitglied der SPD. Es sei eine „persönliche Entscheidung“.

26 Jahre lang hat Wissing der Partei angehört, hat sie lange als Landeschef in Rheinland-Pfalz angeführt. Mit seinem Schritt verliert er auch seine politische Heimat.

Wie Lindner auf diese reagiert hat? „Ich habe keine Rückmeldung“, räumt Wissing ein. Und will dieses Zeichen eines kompletten Kontaktabbruchs dann nicht so nackt und brutal im Raum stehen lassen. Lindner bekomme jetzt bestimmt viele Nachrichten, fügt er schnell hinzu. Er messe der fehlenden Rückmeldung daher „kein Signal oder keine Bedeutung bei“.

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Es müsse möglich sein, „die Dinge in einem guten Stil und in einem gegenseitigen Verständnis“ zu Ende zu bringen, sagt Wissing. Das klingt wie ein frommer Wunsch, ohne Aussicht auf Erfüllung. Wissing, evangelischer Christ und ausgebildeter Kirchenorganist, glaubt immer noch an die FDP und die Ampel. Aber nicht mehr an Christian Lindner.

Sein Schritt komme „nicht überraschend“, verteidigt sich Wissing noch. Das ist richtig. Als Lindner nach dem Ampel-Aus umgeben von seinen Getreuen vor die Presse trat, fehlte Wissing. 

Vor wenigen Tagen hatte er einen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ geschrieben. Überschrift: „Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän“. Nur Stunden vorher hatte der stern das Wirtschaftspapier publik gemacht, mit dem Christian Lindner die Ampel zum Beben brachte. 

Es war nie Männerfreundschaft

Schon da war klar, dass das Tuch zwischen dem Verkehrsminister und seinem Parteichef endgültig zerschnitten war. Eine große Männerfreundschaft war es ohnehin nie gewesen, eher eine pragmatische Partnerschaft. Trotzdem muss Christian Lindner Wissings Schritt nun als Treulosigkeit empfinden: Schließlich hatte er ihn 2020 als Generalsekretär der Bundes-FDP nach Berlin geholt. Wissing war damals Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, regierte gemeinsam mit einer Ministerpräsidentin von der SPD, Malu Dreyer, sowie den Grünen. Ein Ampel-Mann. So wurde das auch damals in Berlin verstanden.

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Schmerzhafter als der persönliche Verlust eines Parteifreundes ist für Lindner das Signal, das Wissings Schritt in die FDP sendet: Ihr müsst nicht blind folgen.

Weitere Mitglieder, prominent und nicht-prominent, könnten folgen. Lindner braucht nun aber Geschlossenheit, wenn die FDP bei vorgezogenen Neuwahlen nicht an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern will. 

Staatssekretäre stellen sich gegen Wissing

Unterstützung bekam er am Donnerstag aus Wissings eigenem Haus. Dessen drei Staatssekretäre, Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker, veröffentlichten am Vormittag ein Statement. Man habe Wissing um sofortige Entlassung gebeten, heißt es darin. Und weiter: „Unser Land braucht schnell einen Neuanfang und geordnete politische Verhältnisse. Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing.“