Auf der Treppe zum Übungsraum kommen so manche Sängerinnen und Sänger aus der Puste. Denn die Mitglieder des Chors „Lungenklänge“ eint dasselbe Problem. Kürzlich waren sie in Mainz zu hören.
Singen macht Spaß, hebt die Stimmung, wirkt gegen Stress, trainiert das Gedächtnis und fördert das Gemeinschaftsgefühl. Weil es jedoch auch die Lungenkapazität und Atemkontrolle verbessert, hat der Saarbrücker Lungenarzt Thomas Dapper mit seiner Frau Martina vor genau einem Jahr einen besonderen Verein gegründet: Die „Lungenklänge“ – einen Chor, der sich vor allem an Menschen mit Lungenerkrankungen wie Asthma, Lungenfibrose oder COPD richtet.
„Nicht jeder von ihnen kann an Geräten arbeiten, etwa, weil es orthopädische Einschränkungen gibt“, sagt der Mediziner und Hobbymusiker. Doch auch beim Singen können die Betroffenen etwas für ihre angeschlagene Gesundheit tun: weil dies die Atem-Hilfsmuskulatur, insbesondere das Zwerchfell, stärkt. „Es hilft dabei, Symptome wie Atemnot zu lindern und das im Alltag erforderlich Haushalten mit dem Atem zu erlernen“, sagt Dapper. Auch das Ventilieren, das tiefe Einatmen, transportiere Sauerstoff in vorher nicht belüftete Ecken der Lunge und sorge so dafür, dass dort keine Bakterien eindringen.
Auf den ersten Blick handelt es sich bei den „Lungenklängen“ um einen ganz normalen gemischten Chor: Mit rund 25 Frauen und Männern ab etwa 60 Jahren, die sich einmal in der Woche treffen, um gemeinsam Volkslieder zu singen oder sich auch an Taizé-Gesänge, Kanons und fremdsprachige Texte zu wagen. Nur wer genauer hinsieht, merkt, dass in diesem Ensemble die ausgeprägten Sopran-Stimmen fehlen, dass manche Chormitglieder einige Takte aussetzen und durchatmen oder einen Schluck Wasser trinken. Oder dass sie – wie Rudolf Becker – mit einem mobilen Sauerstoff-Gerät verbunden sind. „Früher hatte ich nie etwas mit Musik zu tun“, gibt er zu. Was das Schöne an diesem Chor ist? „Die Gemeinschaft“, sagt er. „Und dass ich etwas tue für mein Zwerchfell.“ Denn der 74-Jährige leidet an COPD, Stufe 4, der schwersten Form dieser chronisch obstruktiven Lungenerkrankung.
„Es tut mir einfach gut“
Und auch Ilse Justen, die eine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) hat, genießt die Zeit mit den Lungenklängen. „Es tut mir einfach gut“, sagt sie. „Hier ist alles wunderbar.“ Vor allem wegen des besonderen Zusammenhalts der Gruppe, weil man sich hier gut aufgehoben fühle und die anderen eben auch Probleme mit dem Atem hätten. „Ich habe schon immer gerne gesungen“, sagt die 74-Jährige. „Doch die meisten Chöre stellen hohe Ansprüche, und so gut war meine Stimme wohl nicht.“ Bei den Lungenklängen sei jedoch alles „sehr relaxt“.Was nicht bedeutet, dass die Chorleiterin und Opern- und Konzertsängerin Claudia Kemmerer nicht auch entsprechende Erwartungen an die musikalische Leistung ihres Ensembles hat. Aber eben mit Abstrichen. „Der Einstieg ist ganz niederschwellig, jeder kann bei uns mitsingen. Wesentlich ist die Freude und dass man überhaupt mitmacht!“
Einziger Unterschied zu einem anderen Chor sei vielleicht, dass hier mehr Atem- und Einsing-Übungen zu Beginn gemacht werden. Dann jedoch sind die Frauen und Männer so begeistert bei der Sache, dass sie sie manchmal in ihrer Lautstärke auch bremsen muss. Lungenfacharzt und Hobbymusiker Thomas Dapper hingegen setzt andere Schwerpunkte: „Ich sage immer: Mir ist nicht so wichtig, dass Ihr schön singt, sondern dass Ihr laut singt und den Ton lange haltet!“, sagt er lächelnd.
Guter Luftfluss für Lungenerkrankte
Dass die Lungenklänge nach einem Jahr beides beherrschen, stellten sie kürzlich auch bei ihrem ersten Auftritt unter Beweis: Auf Einladung des Pneumologen Prof. Michael Kreuter, Direktor des Lungenzentrums Mainz, nahmen sie an einem Konzert teil, zu dem sein Blasorchester „BlechArt“ eingeladen hatte. Bereits seit 15 Jahren veranstaltet Kreuter regelmäßige Benefizkonzerte für Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen, um auf diese Patienten aufmerksam zu machen, „die sehr an ihren Erkrankungen leiden, aber leider nicht immer gehört und gesehen werden.“ Konzerte wie das Ende Oktober sollen dazu dienen, das Bewusstsein in der Bevölkerung für Lungenerkrankungen zu stärken.
Als er von dem Projekt „Lungenklänge“ erfuhr, sei er sofort begeistert gewesen: „Denn wir wissen seit Jahren, dass sich ein guter Luftfluss durch das Singen und Blasmusikspielen erlernen lässt.“ Eine Untersuchung belege, dass sich Lungenerkrankte durch Musizieren „viel besser fühlen und deutlich weniger Probleme“ haben.
Auch in Krankenhäusern wird gesungen
In angelsächsischen Ländern ist diese Verbindung schon länger bekannt. Norbert Hermanns, Ehrenvorsitzender des bundesweiten Netzwerks „Singende Krankenhäuser“, ist nach eigenen Aussagen bereits 2011 nach Canterbury gereist, um die dort entwickelten Programme vor Ort kennenzulernen – darunter „Singen mit COPD“. Anschließend habe er diese in Deutschland initiiert und auch in das Ausbildungsprogramm aufgenommen. Viel hänge dabei auch von der Chorleiterin und dem geschützten Rahmen ab: „Wenn die Patienten ihr vertrauen, was offenbar der Fall ist, können sie sich leichter öffnen und Ängste und damit verbundene muskuläre Verspannungen sich lösen.“
Facharzt hofft auf Anerkennung durch Krankenkassen
Thomas Dapper hofft, dass ehrenamtliche Projekte wie „Lungenklänge“ künftig auch in Deutschland entsprechend gefördert werden. „In der jetzigen Situation wäre eine Vereinsgründung ohne ein Sponsoring durch zwei Pharmafirmen nicht möglich gewesen“, sagt er. Aktuell wird die professionelle Chorleiterin zudem durch den Monatsbeitrag der Mitglieder (10 Euro) finanziert. „Es wäre nur fair und folgerichtig“, findet Dapper, „wenn das Singen von den Krankenkassen anerkannt und künftig mit zehn Euro pro Monat unterstützt wird: so wie der Reha-Sport auch.“
Chor „Lungenklänge“ Netzwerk „Singende Krankenhäuser“