Manche Boomer verwenden das Erbe ihrer Kinder für Kreuzfahrten und All-inclusive-Urlaube. Ist das okay? Ein Pro & Contra aus der stern-Redaktion von zwei Millennials.

Es ist ein Thema, das Familien zerstört, Habgier entfacht und manche Menschen sogar zum Töten treibt: das Erbe. Rund 60 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland weitergegeben. Aber was, wenn die Eltern nichts abgeben wollen – und das Familienvermögen einfach selbst verprassen, bevor es überhaupt vererbt werden kann?

In der Diskussion um angeblich verschwenderische Boomer, geboren zwischen 1946 und 1964, kommen hier zwei junge Millennials zur Wort – sie zählen zur Generation derer, die zwischen 1980 und 1995 das Licht der Welt erblickten. Die stern-Redakteur:innen Jacqueline Haddadian und Leon Berent haben allerdings zwei sehr unterschiedliche Standpunkte.

Erbe Gen x 17:04

Pro: Nicht für Geld über Leichen gehen

Meine Eltern haben nie etwas geerbt. Alles, was sie besitzen und erreicht haben, haben sie sich selbst hart erarbeitet. Da steht es ihnen auch zu, frei über ihren Besitz zu verfügen, ohne den plagenden – und meiner Meinung nach irrwitzigen – Gedanken, sie müssten mich bis zu ihrem Tod und darüber hinaus versorgen.

In Deutschland leben wir in einer Leistungsgesellschaft, nach deren Logik jeder die Möglichkeit hat, sich durch eigene Bemühungen ein Vermögen zu erarbeiten. In der Realität führen aber dieselben Bemühungen zweier Menschen niemals zu denselben Erfolgen. Wer erbt, verschafft sich einen relevanten ökonomischen Vorteil gegenüber anderen. Manche erben sogar mehr, als andere zu Lebzeiten jemals erarbeiten können.

Die Erbenrepublik Deutschland ist ohnehin eines der ungleichsten Länder Europas. Diversen Studien zufolge ist die hiesige Vermögensungleichheit stärker verfestigt als vielerorts sonst. Laut der Hans Böckler Stiftung besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland etwa 60 Prozent des Nettovermögens, während die unteren 20 Prozent gar kein Vermögen besitzen. Dieses System trägt dazu bei, dass die Allgemeinheit verarmt, während einige Wenige noch reicher werden, als sie es ohnehin schon sind. 

Jährlich werden in Deutschland etwa 400 Milliarden Euro vererbt. Die Schere zwischen arm und reich wird dadurch immer größer. Wenn wir jetzt auch noch unsere Eltern moralisch in die Pflicht nehmen, ihr Erspartes nicht auszugeben, um gefälligst etwas vererben zu können, verschärfen wir nur diesen Effekt der Ungleichheit.

Manch einer glaubt, ein unausgesprochenes Geburtsrecht auf ein Erbe zu haben. Hier herrscht der Irrglaube, an der Größe des Nachlasses die Liebe der eigenen Eltern messen zu können. Im Zweifel wird sogar vor Gericht mit Geschwistern und Angehörigen darüber gestritten. Ich hingegen will nicht für Geld über Leichen gehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Eltern haben mich zu einer selbständigen Person erzogen, die es glücklicherweise schafft, für sich selbst zu sorgen. Auch sind sie weder mir noch irgendjemand anderem etwas schuldig. Ich will kein Geld oder Besitztümer von ihnen. Ich will sie glücklich sehen, wie sie ihr Vermögen dazu nutzen, ihr Leben voll auszukosten – und hoffentlich mein vermeintliches Erbe verjubeln.

Jacqueline Haddadian

Millionenerbin17h

Contra: Boomer denken, ihre Kinder dürfen es nicht besser haben

Nein, es ist nicht okay, wenn Boomer-Eltern das Familienvermögen verprassen. Die Denke dahinter: Ich gönne meinen Kindern kein leichtes Leben – ich hatte ja auch keines. Ich hab‘ bis zum Ruhestand geklotzt – meine Kinder müssen das auch. Dieses neoliberale Leistungsprinzip ist krankhaft und toxisch.

Welche Mutter, welcher Vater sagt nicht mindestens einmal im Leben: „Meine Kinder sind mir das Wichtigste auf der Welt, ich würde alles für sie tun.“ Niemand fordert eine solche Selbstaufgabe, aber spart euch diese Heuchelei. Lasst eure Kinder an eurem Wohlstand teilhaben, anstatt ihn sinnlos zu verballern.

Die Ironie an der Debatte: Es ist gerade die Mittelschicht, die so denkt. Die Reichen planen ihre Tode und Erbschaften Jahrzehnte im Voraus, schenken Immobilien und andere Vermögenswerte scheibchenweise an ihre Kinder. Die können dann spätestens zur Lebensmitte finanziell unabhängig sein.

Was macht die Boomer-Mittelschicht? Sie lässt ihre Millennial-Kinder für sich selbst kämpfen und wieder bei null anfangen. Selbstsüchtig ziehen sie eine All-Inclusive-Luxus-Kreuzfahrt dem Aufstieg und der Stabilität der eigenen Familie vor. Es herrscht ein „Wir“ gegen „Euch“ zwischen den Generationen, anstatt die eigene „Sippe“ als eine Art Dynastie zu verstehen, deren Bedeutung länger gilt als 80 Jahre.

Das asoziale Verhalten der Boomer wird im schlimmsten Fall an die Millennials weitergegeben. Diese verfahren dann mit den eigenen Kindern auf die gleiche Weise, denken nur an kurzfristige Befriedigung und pressen den maximalen Lustgewinn in die letzten Lebensjahre. Ein Teufelskreis und am Ende: einfach traurig.

Leon Berent

Hinweis: Dieses Stück erschien zuerst im März 2024.