Die Gespräche über eine Regierungsbeteiligung des BSW in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden konkreter. Doch der Preis für die CDU und die SPD wird hoch sein.

Noch sind Herbstferien in Sachsen. Und weil dies so ist, wird dort gerade nicht geredet über eine mögliche neue Landesregierung, zumindest nicht offiziell. Die sogenannten Kennenlerngespräche zwischen der CDU, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD pausieren für zwei Wochen. Erst am kommenden Montag, pünktlich zum Schulbeginn, soll es endlich wieder losgehen. 

Immerhin nutzte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer die Unterbrechung. In einem Gastbeitrag in der „FAZ“ forderte er von der Bundesregierung „mehr erkennbare Diplomatie“ für einen Waffenstillstand in der Ukraine. Außerdem hätte die Ampel die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland „besser erklären und breiter diskutieren müssen“.

Nun war daran wenig neu. Kretschmer hatte zum Leidwesen der CDU-Führung in Berlin schon mehrfach Ähnliches verlautbart. Interessant daran wirkte jedoch, dass auch die Namen des Brandenburger SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und des Thüringer CDU-Landeschefs Mario Voigt über dem Text standen. So wie Kretschmer sind die beiden auf das BSW angewiesen, um eine Landesregierung bilden zu können. 

Geste gegenüber BSW – Woidke, Kretschmer und Voigt fordern Ukraine-Verhandlungen 7:41

Die Bildung dieser ganz besonderen Bedarfsgemeinschaft ließ keinen Zweifel daran zu, dass es sich um einen politischen Liebesgruß an Wagenknecht handelte. Schließlich hatte die Parteigründerin schon im Wahlkampf das Nein zu Waffenlieferungen und zur Raketenstationierung zur Bedingung für mögliche Regierungsbeteiligungen genannt.

Das Signal von Kretschmer, Woidke und Voigt stieß beim BSW auf die erwünschte freundliche Resonanz, nicht nur bei Wagenknecht, sondern auch bei der sächsischen BSW-Chefin Sabine Zimmermann. Der Text sei „eine gute Grundlage für mögliche Gespräche über eine Regierungsbeteiligung“, sagte sie dem stern. „Allerdings muss das für einen Koalitionsvertrag mit dem BSW noch präziser formuliert werden“, fügte sie an. „Das kann nur ein Anfang sein.“

Das ist auch die Sicht in der Parteizentrale. Das, was Kretschmer, Woidke und Voigt formuliert hätten, seien noch keine BSW-Positionen, hieß es in Berlin. Es reiche nicht, allein die fehlende Debatte zur Raketenstationierung zu kritisieren. Die Mehrheit der Menschen im Osten lehne die Aufrüstung insgesamt ab, und dies müsse sich auch in späteren Koalitionsverträgen wiederfinden.

Vor allem in Sachsen wird noch gestritten

Das strategische Kalkül dahinter bleibt so offenkundig wie in den vergangenen Monaten: Realpolitische Kompromisse in den Ländern könnten den radikalpopulistischen Kurs im Bund gefährden – und damit den längst nicht sicheren Erfolg bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr.  

Somit ist auch noch keine Regierungsbeteiligung des BSW gewiss, schon gar nicht in Sachsen. Denn obwohl dort gemäß Verfassung die neue Landesregierung bis Ende Dezember stehen muss, nehmen sich die Beteiligten reichlich Zeit. Und sie streiten. 

Erst musste die BSW-Landesvorsitzende Zimmermann, um an die Spitze der Landtagsfraktion zu gelangen, in eine Kampfabstimmung gegen ihren Co-Parteichef. Dann brachte ihre Fraktion einen Antrag für einen Corona-Untersuchungsausschuss ein, ohne das Papier final mit CDU und SPD abgestimmt zu haben. Und schließlich, bei der Konstituierung des Parlaments, brauchte der BSW-Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten zwei Wahlgänge – und der Bewerber der SPD sogar drei.

Sondierungen BSW 17.50

Die Schuld dafür sieht Zimmermann bei der Partei von Ministerpräsident Kretschmer. „Die CDU hätte sich die Machtspielchen um den Vizepräsidenten sparen können“, sagt sie. „Wir brauchen in Sachsen einen neuen Politikstil.“ Gleichzeitig verbreitet sie aber Optimismus: „Die Kennenlerngespräche laufen besser, als es manchmal den Anschein hat.“

Dass sich Zimmermann um den Anschein sorgt, dürfte auch damit zu tun haben, dass es in den anderen beiden Ländern, in denen das BSW an die Macht drängt, etwas besser läuft. Sogar in Brandenburg, wo der Landtag drei Wochen später als in Sachsen gewählt wurde, sind die Möchtegernpartner weiter. Das erste Sondierungsgespräch zwischen SPD und BSW hat stattgefunden – und alle halten sich an die verabredete Geheimhaltung.

Und ausgerechnet im politischen Chaosland Thüringen könnte es sogar schon im November zur Regierungsbildung kommen. Obwohl CDU, BSW und SPD nur die Hälfte der Landtagssitze besitzen und somit keine echte Mehrheitsregierung bilden können, sollen die Sondierungsgespräche in dieser Woche enden, um danach mit formalen Koalitionsverhandlungen zu beginnen. Nebenbei wurde der Antrag für einen Corona-Untersuchungsausschuss gemeinsam von BSW und CDU in den Landtag eingebracht. 

Thüringens SPD-Chef Maier steht unter Druck

Allerdings steht Thüringens SPD-Chef Georg Maier noch unter dem Druck des linken Parteiflügels, der dem BSW skeptisch begegnet. Die Jusos sprachen sich sogar per Beschluss gegen eine Regierungsbeteiligung aus. Entsprechend laut beklagte Maier den Text von seinem Parteikollegen Woidke sowie Kretschmer und Voigt als „nicht sinnvoll“.

Dass sich der Preis des BSW nicht auf einige schwammige Formulierungen in der Präambel des Koalitionsvertrages beschränken wird, wissen CDU und SPD inzwischen ziemlich gut. Und dann gibt es ja auch noch die Linke, die in der Thüringer Pattsituation zumindest mitgedacht werden muss. Ihr geschäftsführender Ministerpräsident hat eine eigene These dazu entwickelt, was Wagenknecht in den drei Ländern vorhat.

07: Erste Kratzer bei Brombeerverhandlungen  Sondierung stockt – d307f1eb826dbca6

Natürlich könne niemand etwas gegen Frieden oder mehr Diplomatie einwenden, sagte Bodo Ramelow dem stern. Doch die zentrale Frage sei eine andere: „Was genau hat eine Landesregierung mit dem Thema Verteidigung und Bündnisfragen oder Abstimmungen im Bundesrat zu tun?“

Seine Antwort: „Im Kern nichts.“ Es sei denn, sagt Ramelow, das BSW plane dieselbe Strategie wie einst der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine in den 1990er-Jahren, als er eine sozialdemokratische Länderfront gegen die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung orchestrierte: „Man nimmt den Bundesrat als Geisel gegen die Bundesregierung.“

Natürlich ist das recht weit gedacht, zumal Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Bundesrat gemeinsam bloß auf 12 der 69 Stimmen kommen. Doch Ramelow dürfte bei seinen Überlegungen nicht nur die Abstimmungsmathematik im Sinn haben. Schließlich heißt bekanntlich Wagenknechts Ehegatte und wichtigster Berater: Oskar Lafontaine.