Die konservative Strömung der SPD-Fraktion will die arbeitende Mitte stärken. Teil der Offensive ist nach stern-Informationen auch ein „modernes Steuerkonzept“.

Der konservative Flügel der SPD-Bundestagsfraktion will den Spitzensteuersatz in einem Zweiklang reformieren: Für Gering- und Normalverdiener soll dieser später greifen, für Topverdiener angehoben werden. 

Der Seeheimer Kreis schlägt vor, den aktuell geltenden Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer von 42 Prozent für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen später einzuziehen: bei Singles ab einem Jahresbruttoeinkommen oberhalb von 80.000 Euro, bei Verheirateten oberhalb von 175.000 Euro. Dadurch würden 95 Prozent der Steuerzahler entlastet. Für Topverdiener würde es dafür teurer, der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent angehoben. Der Höchststeuersatz, der aktuell bei 45 Prozent liegt und ab knapp 278.000 Euro greift, werde auf 48 Prozent angepasst. 

„Wir sind die Partei der arbeitenden Mitte“, heißt es in dem Strategiepapier mit dem Titel „Die arbeitende Mitte stärken“, das dem stern vorliegt. Zu viele Menschen würden sich von der Sozialdemokratie abwenden, in der Vergangenheit seien Themen oft aus „falsch verstandener Rücksichtnahme“ nicht angesprochen worden, die aber die Menschen in Deutschland offensichtlich bewegen würden. „Wir erkennen an: Viele Menschen haben derzeit ein Störgefühl gegenüber der Bundespolitik“, heißt es weiter.

„Politischen Kompass der SPD wieder stärker auf arbeitende Mitte richten“

Die Seeheimer fordern vor diesem Hintergrund auch weitere Erhöhungen des Kindergeldes sowie Entlastungen bei den Freibeträgen, täglich ein bundesweit kostenfreies Mittagessen an Schulen und Kitas für alle Kinder, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro, milliardenschwere Investitionen in die Wirtschaft und ein Bürgergeld, das „treffsicherer“ sei. Auch die Bürgergeldzahlung an neu ankommende ukrainische Flüchtlinge soll perspektivisch auf den Prüfstand gestellt werden.   

„Mit diesem Strategiepapier wollen wir unseren Beitrag dazu leisten den politischen Kompass der SPD wieder wahrnehmbar stärker auf die arbeitende Mitte dieses Landes zu richten“, sagte Esra Limbacher dem stern. Der stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion hat das Strategiepapier gemeinsam mit Dirk Wiese, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, federführend geschrieben. Limbacher bringt den Vorstoß der Seeheimer auf diese Formel: „Machen statt Meckern – das ist unser Weg.“

Esra Limbacher, der stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion
© Fionne Grosse

Die Vorschläge sollen offenkundig das Profil der SPD als Partei der Arbeiter- und Mittelschicht wieder schärfen. Rund ein Jahr vor der Bundestagswahl sind die Sozialdemokraten auf 15 bis 17 Umfrageprozent geschrumpft. Angesichts der angespannten Haushaltslage erhöht der SPD-Fraktionsflügel insbesondere den Druck auf den liberalen Koalitionspartner. Die FDP lehnt einen höheren Spitzensteuersatz ab, besteht überdies auf Einhaltung der aktuell geltenden Schuldenregeln. Auch SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz wird in die Pflicht genommen, sich bei Finanzhilfen für die strauchelnde Wirtschaft zu bewegen. 

Die Seeheimer plädieren für eine „grundlegende“ Reform der Schuldenregeln oder etwa die Schaffung eines milliardenschweren Sondervermögens für Investitionen in die „Modernisierung und die Zukunftsfähigkeit“ des Wirtschaftsstandortes Deutschlands. Um wieder in allen Bereichen wettbewerbsfähig und mit Planungssicherheit für die Betriebe und Unternehmen produzieren und investieren zu können, müssten die Stromkosten für Betriebe mit einem Industriestrompreis gedeckelt werden. Zudem müssten Maßnahmen ergriffen werden, damit die steigenden Netzentgelte nicht weiter Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden würden. Zuletzt hatte SPD-Chef Lars Klingbeil eine deutlich stärkere finanzielle Förderung des Netzausbaus und einen vergünstigten Industriestrompreis ins Spiel gebracht. 

Bürgergeld für neu ankommende Ukraine-Flüchtlinge auf Prüfstand stellen 

Beim Bürgergeld sprechen sich die Seeheimer für mehr Mitwirkungspflichten, Kürzungen bei Arbeitsverweigerung und Konsequenzen bei Schwarzarbeit aus. Darüber hinaus unterstütze man die Initiative vieler Bundesländer, die Bürgergeldzahlungen an neu ankommende ukrainische Flüchtlinge perspektivisch zu überprüfen. „Was zu Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine sinnvoll war, um schnell handlungsfähig zu sein, erscheint nun überprüfungsbedürftig auch um eine Gleichbehandlung sicherzustellen“, sagte Limbacher dem stern. Gleichzeitig sei es klarer Auftrag des Staates und der Wirtschaft, stärker für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt Sorge zu tragen. 

SPD Klingbeil Investitionen 6.15

Zudem dürfe Arbeit nicht höher besteuert werden als Nichtarbeit, schreibt der SPD-Flügel in dem Papier. Daher müsse Schluss sein mit der Besteuerung von Kapitalerträgen mit 25 Prozent, während normale Arbeitnehmer auf ihr Arbeitseinkommen einen höheren Steuersatz für ihre Lohnarbeit zahlen müssten. Flankiert wird der Vorschlag von einem „modernen Steuerkonzept“, also das Update für den Spitzensteuersatz. Wirtschaftspolitiker Limbacher: „Die SPD muss ihre Politik auf die vielen Fleißigen in unserem Land ausrichten, die für Rekordbeschäftigung in Deutschland sorgen.“