Das Altersvorsorgedepot freut vor allem den Finanzvertrieb, meint Verbraucherschützer Niels Nauhauser. Es werde weiterhin verkauft, was Provisionen bringt und nicht das, was bedarfsgerecht ist.

Disclaimer Capital

Herr Nauhauser, das Bundesfinanzministerium hat jetzt seine Pläne für ein privates Altersvorsorgedepot vorgelegt. Als Verbraucherschützer: Was waren Ihre ersten Gedanken?
Für Menschen, die ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen, gibt es ein paar Verbesserungen. Allerdings löst das Gesetz das zentrale Problem bei der privaten Altersvorsorge nicht. Denn die allermeisten Verbraucher sind auf Beratung angewiesen. Sie vertrauen dem Banker oder Versicherungsmakler, den sie zum Beispiel aus dem Sportverein kennen. Deren Beratung ist aber ein Problem, weil sie nicht bedarfsgerecht ist. 

Inwiefern?
Verbrauchern wird weiterhin verkauft, was Provisionen bringt und nicht das, was bedarfsgerecht ist. Das ist seit der Einführung der Riesterrente ein ungelöstes Problem. Der Gesetzgeber hat versucht, das mit Transparenzpflichten zu lösen – mit Beipackzetteln für Kosten, Risiken und Chancen. Aber mehr Transparenz adressiert das Problem nicht, weil Altersvorsorge ein Vertrauensgut ist. Es gibt eine wahnsinnige Vielfalt an komplexen Produkten. Durch das neue Gesetz wird diese Vielfalt sogar noch größer, was den Beratungsbedarf erhöht. Die Vertriebsteams wird es freuen.

Niels Nauhauser leitet den Themenbereich Altersvorsorge bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg
© Privat

Hätte man das Altersvorsorgedepot also sein lassen sollen?
Nein, eine Reform ist dringend notwendig. Wir haben aber stets ein staatliches Standardprodukt nach schwedischem Vorbild gefordert. Das hätte Fehlanreize durch den provisionsgesteuerten Vertrieb aus der Gleichung rausgenommen. Ein Standardprodukt ist kostengünstig und einfach. Die Sparer könnten je nach Risikobereitschaft ihre Aktienquote festlegen. Da reichen schon drei Stufen, weil die Anlage verbindlich global breit diversifiziert ist. Stattdessen kann jetzt jeder mit staatlicher Förderung auf Einzelaktien spekulieren. Das könnte die Szene dubioser Finanzinfluencer vergrößern. 

Nach dem Motto: „Mit dieser Aktie gehen sie reich in Rente. Alles dazu in meinem Trading-Seminar“?
Genau. Schon heute boomen derartige unseriöse Angebote. Da wird den Leuten erzählt, wie sie angeblich den Markt garantiert schlagen werden. De facto schaffen das nur die allerwenigsten, und so gut wie niemand langfristig. Eine Teilhabe an den Erträgen des Aktienmarktes ist ein zentraler Erfolgsfaktor beim Vermögensaufbau. Einzelaktien sind dabei unnötig riskant, da ist ein breit gestreuter ETF die erste Wahl.

Was sollen die Menschen also machen, wenn ihr Berater Sie bald anruft, um über das neue Altersvorsorgedepot zu reden?
Auflegen und erst einmal selbst unabhängig informieren. Ganz einfach. Berater sind hierzulande keine Berater, sondern Verkäufer. Schon jetzt ist absehbar, dass viele Versicherer ihre Vertriebsteams losschicken werden, um alte Riesterverträge mit Garantiezinsen von 3,25 Prozent loszuwerden und in neue vermeintlich chancenorientierte Verträge mit 80 Prozent Auszahlungsgarantie umzuwandeln. So wird man die Verpflichtung zu hohen Garantieleistungen los und kann Provisionen fürs Neugeschäft kassieren. Es wird im Einzelfall durchaus bedarfsgerecht sein, ins neue Altersvorsorgedepot zu wechseln. Aber solange es da draußen keine unabhängige Beratung gibt, sollte man sich vorab gut informieren oder die Anlage selbst in die Hand nehmen.

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Die Grünen sollen offenbar noch auf Kostendeckelungen im Vertrieb drängen. Ist das eine Lösung?
Nein, das ist nur ein Herumdoktern an Symptomen. Die Kosten sind hoch, weil der Vertrieb die Produkte gegen hohe Provision verkauft. Setzt man einen Deckel auf die Kosten, wird statt Riester etwas Anderes verkauft, wo mehr verdient wird. Wie gesagt: Man hätte es ähnlich wie in Schweden machen und das Produkt durch gesetzliche Vorgaben standardisieren müssen.

Wäre es dann ein Produkt für die breite Masse geworden, wenn niemand auf die Produkte aufmerksam macht?
Wenn man alle erreichen will, muss man eine verpflichtende private Altersvorsorge einführen. Oder den Mittelweg gehen, der auch in der zuständigen Fokusgruppe diskutiert wurde: eine Opt-Out-Variante. Wer das Standardprodukt nicht möchte, widerspricht. Wir fordern weder Zwang noch Opt-Out, weil es uns nicht zusteht, über das knappe Geld der Verbraucher zu entscheiden. Das heutige System produziert Vertriebskosten und Fehlanreize und die Leidtragenden sind die Sparerinnen und Sparer.

Versicherer sagen, dass der geringere Verwaltungsaufwand und der zunehmende Wettbewerb zu geringeren Kosten bei Rentenpolicen führen werden. Eine chancenorientierte Rentenpolice gibt es in Zukunft wohl schon für 1,1 Prozent TER. Glauben Sie daran?
Nein, dann wären die Kosten im Versicherungsvertrieb schon in den letzten Jahren gefallen. Der Wettbewerbsdruck durch ETFs besteht seit vielen Jahren. Und trotzdem sind nur die die Kosten für ETFs sukzessive gefallen, die der Versicherer hingegen kaum. Und selbst 1,1 Prozent jährliche Kosten fressen über 35 Jahre mehr als ein Viertel der Erträge auf.

Die Versicherer wollen immer noch die Verrentungspflicht ins endgültige Gesetz durchdrücken. Damit würden Beiträge bis zum Lebensende statt bis zum 85. Lebensjahr ausgezahlt werden. Was halten Sie davon?
Das Ende der Verrentungspflicht ist eine der wenigen lobenswerten Verbesserungen dieser Reform. Es ist doch gut, den Verbrauchern die Wahl zu lassen, wie sie ihre Rentenauszahlung gestalten wollen. Besser wäre nur noch eine zusätzliche Option gewesen, das Geld auch bei Bedarf komplett zu entnehmen. Das Ende der Verrentungspflicht ist auch eine konsequente Reaktion auf die Geschäftspolitik der Versicherer. Da werden aktuell satte 30 Prozent des Guthabens eines 67-Jährigen als Prämie kassiert, nur um daraus eine mögliche Rente ab 85 abzusichern. Die Versicherer kalkulieren mit eigenen Sterbetafeln, bei denen man schon 94 Jahre oder älter werden muss, bevor man über die Rentenzahlungen die Prämie zurückerhält.

Viele Menschen fragen sich bereits, was sie mit ihren alten Riesterverträgen machen sollen – und wie sie diese in die neue Welt übertragen können, beziehungsweise zu welchen Kosten. Was erwarten Sie? 
Die Wechselkosten für die Übertragung bestehender Guthaben sind schon jetzt auf 150 Euro gedeckelt und dabei bleibt es. Allerdings können Anbieter für neue Verträge neue Kosten verlangen, und das werden sie. Deshalb muss man die Angebote abwarten und sich dann unabhängig informieren.