Der Politikwissenschaftler Thomas Poguntke erklärt, wie sich die NPD-Fälle von einem möglichen AfD-Verfahren unterscheiden – und warum  Parteienverbote so selten vorkommen.

GEO: Herr Professor Poguntke, bei der aktuellen Debatte um ein mögliches Parteiverbotsverfahren der AfD wird immer wieder auf die gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2003 und 2017 verwiesen. Lassen sich die beiden Fälle vergleichen?
Prof. Thomas Poguntke: Es ist sicher immer gut, sich vorige Urteile anzuschauen, aber hier gibt es deutliche Unterschiede. 2003 ist das NPD-Verbotsverfahren gescheitert, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig waren. Und 2017 hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass die NPD zwar verfassungsfeindlich, aber zu unbedeutend sei, um eine Gefahr für die Demokratie darzustellen. Davon, dass die AfD unbedeutend sei, kann heute keine Rede sein. Insofern hinkt der Vergleich zwischen den NPD-Verbotsverfahren und einem möglichen AfD-Verfahren.

Prof. Thomas Poguntke ist Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft and der HHU-Düsseldorf und Ko-Direktor des Düsseldorfer Parteienforschungsinstituts PRuF
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Welchen Einfluss haben Parteiverbotsverfahren auf die Gunst von Wählerinnen und Wählern?
Im Falle der NPD lässt sich das nicht so einfach sagen. Einerseits war es für die Partei ein Prestigegewinn, nicht verboten zu werden. Andererseits konnte sie keine gesteigerten Wahlergebnisse erzielen. Sie war bereits zu klein, um messbare Effekte bei Umfragen zu erreichen.

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Und was denken Sie, wie sich ein Verbotsverfahren auf die Umfragewerte der AfD auswirken würde, unabhängig vom Ergebnis?
Ein Verfahren könnte der AfD ungewollt einen Märtyrerstatus einräumen: Bereits jetzt erzählt sie das Narrativ, dass etablierte politische Kräfte sie angeblich vom Wettbewerb ausschließen wollten. Ein Parteiverbotsverfahren wäre Wasser auf den Mühlen dieses Arguments.

Aber könnte es nicht auch sein, dass ein Parteiverbotsverfahren Wählerinnen und Wähler davon abhält, eine solche schlecht beleumdete Partei zu wählen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. In den USA ist es so, dass gerichtliche Auseinandersetzungen und Beschlüsse die Umfragewerte von Donald Trump eher steigen lassen. Dass Wählerinnen und Wähler sich allein aufgrund von Gerichtsverfahren von Parteien oder Politikern abwenden, lässt sich nicht feststellen.

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es zwei erfolgreiche Parteiverbotsverfahren: 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Was lässt sich aus diesen erfolgreichen Parteienverboten ableiten?
Dass wir die Effekte von Parteienverboten nicht überschätzen sollten. 1968 wurde die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) gegründet – als eine Art Nachfolgeorganisation der KPD. Rechtsextreme Parteien gab es ebenfalls weiterhin, etwa die Deutsche Reichspartei. Wir müssen uns klarmachen: Auch die AfD-Wählerinnen und -Wähler würden im Falle eines Parteienverbots nicht einfach von der Bildfläche verschwinden. Deshalb lautet die entscheidende Frage aus politikwissenschaftlicher Sicht: Wie können die Parteien der Mitte diese Wählerschaft wieder überzeugen?

Eignen sich Parteienverbote dann überhaupt als Schutzschild der Demokratie?
Da bin ich skeptisch. International kennen die meisten Demokratien keine Parteienverbote. Das ist fast eine deutsche Besonderheit, die auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zurückgeht. Nur wenige andere demokratische Staaten haben bislang Parteien verboten, zum Beispiel Spanien. Das beste Mittel, die Wählerschaft radikaler Parteien zu verringern, ist ein attraktives politisches Angebot seitens der Parteien der Mitte. Daran mangelt es zur Zeit: Die CDU ist in den Augen vieler Wähler noch nicht vollständig als glaubwürdige Oppositionspartei aufgestellt und die Ampelkoalition ist, wie alle Umfragen zeigen, in großen Schwierigkeiten.