Die Bundesregierung beweist im Übernahme-Krimi Planlosigkeit und Dilettantismus. Der zuständige Finanzminister hat es vermurkst– wie einst Habeck beim Heizungsgesetz.

In der langen Reihe der Pleiten und Pannen dieser Bundesregierung hat der Umgang mit der Commerzbank wahrscheinlich einen besonders prominenten Platz verdient. Gut 16 Jahre hatten diverse Finanzminister und Bundeskanzler Zeit, sich zu überlegen, was sie mit den hastig in der Finanzkrise 2008 eingekauften Anteilen an der zweitgrößten deutschen Privatbank Sinnvolles anstellen könnten.  

Eine Neuordnung des kleinteiligen deutschen Bankensektors wäre eine Option gewesen; oder eine grenzüberschreitende Fusion mit einem starken europäischen Wettbewerber, das wäre auch ein wichtiges Signal zur Schaffung eines europäischen Finanzmarktes gewesen; und überdies eine Stärkung des Finanzplatzes Deutschland. Gut 25 Prozent hielt der Bund einst an der Commerzbank, zuletzt waren es immer noch mehr als 16 – damit konnte man einiges anstellen. Doch nichts davon passierte.  

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Zu ihrer Verteidigung lässt sich sagen, dass viele Finanzminister und Kanzler in ihren Amtszeiten andere Probleme zu lösen hatten, die Commerzbank und der Finanzsektor waren da nicht so wichtig. Zudem hatten sie qua Parteizugehörigkeit nicht ganz so ein großes Interesse an einer Re-Privatisierung. Aber spätestens mit dem ersten liberalen Finanzminister im Bund seit mehr als 50 Jahren, mit Christian Lindner, hätte man erwarten können, dass sich das Finanzressort frühzeitig ein paar Gedanken macht. 

Lindners liberale Grundsätze

Immerhin wurde Lindner nie müde, seine liberalen Grundsätze gerne vor sich herzutragen, der Staat habe bei einer privaten Bank nichts zu suchen: „Ich habe immer gesagt, der Staat hat ein ordnungspolitisches Interesse daran, wieder zu privatisieren“, erklärte er noch wenige Tage, bevor der Bund in einer nächtlichen Auktion vor zwei Wochen tatsächlich ein erstes Paket von 4,5 Prozent der Aktien zum Verkauf stellte. Mag die Ampel-Koalition noch so desolat dastehen, wenigstens der liberale Finanzminister hält an seinen Prinzipien fest und liefert – das war Lindners Botschaft. 

Planlosigkeit und Dilettantismus

Wie die Sache ausging, ist bekannt: Statt aus eigener Kraft eine Perspektive für die Commerzbank zu entwickeln, ist Deutschlands zweitgrößte Privatbank nach der nächtlichen Privatisierungsaktion ein getriebener Übernahmekandidat, dessen Zukunft vollkommen ungewiss ist. Und zur offensichtlichen Planlosigkeit in der Bundesregierung kommt auch noch Dilettantismus dazu.

Dieses ungute Gefühl hatte man schon am Morgen nach der Auktion, als der Bund offen einräumte, man sei vom Gebot der italienischen Großbank Unicredit in der Nacht überrascht worden. Dabei hatte Unicredit-Chef Andrea Orcel seit Jahren mehr oder weniger offen sein Interesse an einem Einstieg oder gar einer Fusion mit der Commerzbank signalisiert, war damit jedoch in Berlin stets abgeblitzt. Nun aber hatten die Italiener sich nicht nur die 4,5 Prozent des Bundes gesichert, sondern auch noch 4,5 Prozent am Markt dazu. Das war eine Ansage – und ein erstes Desaster für Lindner.

Doch was machte die Bundesregierung und allen voran der Finanzminister? Sie tauchten weitgehend ab. Und als sie wieder auftauchten, hatten sie einen Plan, der keine 72 Stunden hielt.  

Anpalagan Grüne 12.19

Am vergangenen Freitag erklärte Berlin, man lehne eine Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit ab und werde vorerst keine weiteren Aktien mehr verkaufen. Das klang stark und setzte die Aktie zunächst unter Druck, weil nun die Übernahmefantasie aus dem Kurs entwich. Am Montag dieser Woche dann kam die freundliche Antwort aus Mailand: Vielen Dank für die Nachricht, und übrigens, wir halten jetzt 21 Prozent an der Commerzbank. Einer der Beteiligten kann sich das Desaster nun von außen anschauen: Commerzbank-Boss Manfred Knof scheidet zum Monatsende aus seinem Amt aus. 

Parallelen zu Habecks vermurkstem Heizungsgesetz

Nun ist der Umgang mit einer Bank wie der Commerzbank immer auch Chef-, also Kanzlersache. Ganz kann man Olaf Scholz nicht freisprechen. Aber man muss schon festhalten: Der Finanzminister führt in diesem Fall die Geschäfte, die Finanzpolitik und die Verfassung des deutschen Finanzmarkts sind sein ureigenstes Terrain. Aber so, wie Lindner dies gerade anstellt, hat die Commerzbank das Potenzial, für ihn ein Debakel zu werden wie für den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck vor anderthalb Jahren sein vermurkstes Heizungsgesetz: ein Projekt, das Lindners Ansehen dauerhaft beschädigt.

Egal, ob SPD, FDP oder Grüne – man möchte keine Regierung, bei der man das Gefühl hat, sie lerne die Finessen des Amtes erst nach dem Jobantritt. Learning by doing mag bei Azubis funktionieren, aber nicht bei den wichtigsten Regierungsjobs der drittgrößten Volkswirtschaft der Erde. Lindner kann von Glück sagen, dass Banken für den Boulevard nicht so viel Bumms bieten wie Habecks „Heizungs-Hammer“. Zudem sind alle Parteien nach den Landtagswahlen mit sich selbst beschäftigt. Doch das Missmanagement unter seiner Führung ist atemberaubend.

Eine Perspektive jenseits der Unicredit hat die Commerzbank immer noch nicht, sie wird zudem immer schwieriger, je mehr Anteile sich die Italiener auf dem freien Markt sichern. Wenn man ehrlich ist, hatte die Commerzbank auch nie eine andere Aussicht als den Zusammenschluss mit einem anderen, mutmaßlich stärkeren Partner. Und da bleiben nach der Deutschen Bank, die zuletzt 2019 freundlich ablehnte, eben nur noch Banken in Frankreich, Spanien und Italien (alles Länder, in denen die Banken heute weit besser dastehen als in Deutschland).

Lindner könnte es retten – und auf den Unicredit-Chef zugehen

Wenn Christian Lindner noch etwas retten wollte, müsste er jetzt auf Unicredit-Boss Orcel zugehen. Er könnte zum Beispiel die verbliebenen zwölf Prozent des Bundes nutzen und gleichsam aktiv als Hebel ansetzen: Ihr bekommt die Commerzbank und den Segen des Bundes, aber dafür verlangen wir einen Preis – etwa den Haupt- oder wenigstens einen wichtigen Zweitsitz der neuen Bank in Frankfurt. Ein starkes Argument hätte Lindner auch: Mit dem deutschen AAA-Rating wird eine Bank automatisch als sicherer betrachtet als mit dem italienischen BBB-Rating. Mit einem zahlungskräftigen Staat im Rücken kann sie sich günstiger refinanzieren und ist wettbewerbsfähiger. Win Win also für Unicredit und Deutschland.

Auf diesem Weg käme die Regierung wenigstens wieder ein bisschen in Vorlage. Oder sie arbeitet aktiv an einer Alternative, etwa doch mit der Deutschen Bank.  

Schafft sie dies jedoch nicht, bleibt nur ein Urteil: Einen Finanzminister, für den Privatisierung nur Parteifolklore ist und der eine Kernaufgabe seines Amtes so verdaddelt, hat dieses Land nicht verdient.