Es läuft nicht für die Grünen, ganz und gar nicht. Sollte sich die Partei im Abschwung die K-Frage lieber gleich klemmen? Bloß nicht. Sie könnte ihre einzige Rettung sein.
Stellen Sie sich vor, dass Sie einmal schwer angesagt waren, Ihnen alles zugetraut wurde, sogar das Kanzleramt. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass niemand mehr etwas mit Ihnen zu tun haben will, wirklich niemand. Haben Sie? Dann haben Sie eine Idee davon, wie sich an diesem 19. September 2024 die Grünen fühlen. Ratlos, verstummt, und dennoch merkwürdig unbekümmert. Wird schon? So nicht, nein.
Die Grünen müssen jetzt weitreichende Entscheidungen treffen, besser gestern als heute, um aus dem Umfragetief zu kommen. Sie müssen dem toxischen Image der dogmatischen Klientelpartei, das ihnen von allen Seiten aufgedrückt wird, ein Signal der Entschlossenheit entgegensetzen. Die erste Maßnahme muss daher lauten: Robert Habeck ist ab sofort der offizielle Kanzlerkandidat der Grünen.
Habeck Griechenland Migration 12.37
Es wissen doch sowieso alle, auf wen es hinausläuft. Hochoffiziell und ordnungsgemäß gekürt werden kann der Vizekanzler auf dem Parteitag im November immer noch. Jetzt braucht es Pragmatismus und das grüne Gesicht dazu. Andernfalls wird sich der Abwärtstrend für die Partei fortsetzen, überdeutlich zu sehen in einer aktuellen Allensbach-Umfrage für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung„. Die Ergebnisse, zugespitzt in einem Satz: Die Wähler haben fertig mit den Grünen.
Demnach sind sie den Bürgern gleichermaßen sympathisch wie FDP und AfD (jeweils 21 Prozent), nur 16 Prozent sähen die Grünen gern in der nächsten Regierung, satte 35 Prozent wollen das unter keinen Umständen – letzteres sagen mehr Menschen lediglich über die AfD (54 Prozent). Die Grünen, in der Sonntagsfrage auf kümmerliche zehn Prozent gestürzt, blicken derzeit in viele tiefe Abgründe.
Keine Kanzlerkandidatur wäre eine Kapitulation der Grünen
Das liegt auch an der politischen Konkurrenz, die sich mit bizarrem Eifer auf die Grünen eingeschossen hat. Allen voran Friedrich Merz. Kaum zum designierten Unions-Kanzlerkandidaten erkoren, setzte er nochmal einen drauf – gegen die angebliche „Regulationswut“ der Grünen und natürlich ihre angebliche „Technikfeindlichkeit“. Letzteres ist schon deswegen lustig, weil ausgerechnet die Union Zweifel an der E-Mobilität sät und gegen die Wärmepumpe pestet.
Schwarz-Grün, eine Option? Mal gucken, winkt Merz diebisch ab, auf jeden Fall nicht mit den Grünen von 2024.
Ein durchschaubares Manöver, keine Frage, aber zur Wahrheit gehört auch: Die Grünen von 2024 setzen dem gerade wenig entgegen. Sie lassen die Anwürfe aus einem falschen Selbstverständnis heraus stehen – auf sträfliche Weise, wie die Zahlen zeigen. Denn als Regierungspartei von Verantwortung und Vernunft, die mit rhetorischer Zurückhaltung und politischer Tatkraft aus der Dauererregung in Berlin hervorsticht, wird die Partei offenkundig nicht wahrgenommen.
Grüne Basis Migrationspolitik 19.05
Auch deswegen führt kein Weg an Habeck als Kandidaten vorbei, bei all seinen Schwächen (Stichwort: Heizungsgesetz). Wie niemand sonst in der Partei steht der Wirtschaftsminister für einen Politikansatz, der sich breite Mehrheiten in der Mitte sucht – und dafür auch die Migrationspolitik verschärft, Flüssigerdgas-Terminals bauen lässt und Waffen in Kriegsgebiete liefert. Ist doch gar nicht so außergewöhnlich? War für die Grünen von 2021 aber noch unvorstellbar. Nicht zuletzt Robert Habeck hat das geändert.
Er könnte die Grünen wieder anschlussfähig machen. Nicht nur für einen demonstrativ skeptischen Unions-Kanzlerkandidaten, sondern auch für Wählermilieus, die sich von Ricarda Lang und Omid Nouripour offensichtlich nicht abgeholt fühlen. Schließlich war die Partei am erfolgreichsten, als sie noch Annalena Baerbock und Habeck (in die Mitte) geführt hatten.
Angesichts der mauen Umfragewerte auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten, kann auch nicht die Lösung sein – es käme einer Kapitulation gleich, der Aufgabe von jeglichem Macht- und Gestaltungswillen. Die Partei muss nun klare Verhältnisse schaffen und den Kampf offiziell aufnehmen, den die Mitbewerber schon längst kämpfen. Dann klappt es vielleicht auch mit den Grünen von 2025.