Schockstarre in Berlin und Magdeburg: Der US-Chipriese Intel legt seine Milliardenpläne für Deutschland auf Eis. Ökonom Reint Gropp erklärt, warum das eine gute Nachricht ist.
Capital: Herr Gropp, Intels Milliardeninvestition in Magdeburg ist auf Eis gelegt. Trauern Sie?
REINT GROPP: Nein, im Gegenteil. Wir können fast dankbar sein, dass die Probleme von Intel jetzt schon aufgetaucht sind – bevor die richtig großen Beträge gezahlt wurden. Stellen Sie sich vor, die Fabrik wäre schon halb fertig und wir hätten bereits fünf oder zehn Mrd. Euro gezahlt. Das zeigt: Der Staat spielt da mit Steuergeldern Lotto. Er fällt unternehmerische Entscheidungen, die er aber notorisch schlecht treffen kann. Er ist da einfach nicht gut drin. Die Gefahr ist, dass man auf ein Pferd setzt, was gewaltig hinkt.
Mit der Subvention sollte ja auch der Aufbau einer eigenen Chipindustrie befördert werden. Trotzdem waren Sie von Anfang an dagegen. Warum?
Man muss sich schon ehrlich die Frage stellen, ob man mit solchen Subventionen wirklich eine geostrategische Unabhängigkeit erreichen kann. Und nach meinem Verständnis kann das mit einer Chipfabrik in Magdeburg oder auch in Dresden einfach nicht gelingen, weil immer noch sehr viele Vorprodukte aus China und Taiwan eingeführt werden müssen. Es ist unmöglich, die gesamte Lieferkette für Chips nach Europa oder sogar nach Deutschland zu verlagern. Das heißt, wir geben sehr viel Geld dafür aus, die geostrategische Abhängigkeit von einer Ebene auf eine andere zu verlagern, aber wir eliminieren sie nicht. Nicht zuletzt widerspricht eine Subvention der Produktion unserem komparativen Vorteil.
Wieso?
Wir können bei der Entwicklung von Chips wettbewerbsfähig sein, auch im Vergleich mit Amerikanern und Chinesen – aber nicht bei der Produktion, genauso wenig wie das bei Solarzellen der Fall war. Unsere Löhne sind einfach zu hoch. Wenn wir unbedingt subventionieren wollen, sollten wir besser zehn Milliarden in die Forschung zu KI-Chips stecken, meinetwegen in ein riesiges Forschungszentrum in Magdeburg. Obwohl aufgrund der existierenden Unternehmen und Infrastruktur so ein Forschungszentrum in Dresden wahrscheinlich besser aufgehoben wäre. In Magdeburg sollte man eher die schon existierende Forschung in der Medizintechnik unterstützen.
Die Hoffnung bei der Unterstützung von Ansiedlungen wie bei Intel ist ja immer, dass damit auch das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden kann. Ist das realistisch?
Sven Schulze, der Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts, ging davon aus, dass jeder Euro Subvention für Intel das Fünf- bis Sechsfache für die Region einbringen würde. Die Evidenz aus ähnlich gelagerten Fällen ist allerdings extrem gemischt. In Israel beispielsweise hat es funktioniert, da wurde etwas das Anderthalbfache daraus. In Irland aber ist überhaupt nichts passiert. Warum? Es funktioniert dann, wenn ein existierendes Ökosystem und lokale Unternehmen aus dem Bereich gibt, die schon da sind. In Dresden ist das so, da gab es früher schon das Kombinat Robotron. Magdeburg aber hat keinerlei Tradition in der Elektronikherstellung – da gibt es Stärken in anderen Bereichen, der Medizintechnik etwa. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kann so eine Ansiedlung sogar negative Externalitäten für andere, möglicherweise zukunftsträchtigere Unternehmen haben, die mit der subventionierten Firma nicht mithalten können, keine Arbeitskräfte finden und vielleicht dann gar nicht gegründet werden oder nicht wachsen können.
Stimmt denn der Eindruck, dass solche Einzelsubventionen zunehmen?
Ja, da ist ein bisschen die Unschuld verloren gegangen. Eigentlich hatten wir in der EU immer Beihilferegeln, die derartige Subventionen unmöglich gemacht haben. Im Zuge der Coronakrise wurde das aufgeweicht – und im Fall der Pandemie auch vollkommen zurecht. Es hat aber eine Art Mentalitätswechsel des Staates herbeigeführt. Dort glaubt man nun dirigistisch in die Wirtschaft eingreifen zu können: Du sollst überleben, du bist ein wichtiger Sektor, du kriegst Geld – und du nicht. Diese Hybris des Staates, zu wissen, wer überleben soll und wer nicht, die gab es lange nicht. Und ich denke, sie wird sich auch als grundfalsch herausstellen, wie schon in der Vergangenheit.
Wir haben es mit einem anderen Staatsverständnis zu tun?
Ich nehme zunehmend eine regelbasierte Idee eines allwissenden Staates wahr, der eigentlich alles kontrollieren will. Das kann in normalen, gutlaufenden Zeiten gut gehen und nicht so dramatisch sein. Aber im Moment schlägt das tatsächlich auf die wirtschaftliche Entwicklung durch.
Sie meinen die Bürokratiebelastung?
Bürokratie ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, aber wir haben einen Hang zu sehr komplexen, sehr detaillierten Regeln. Das ist durchaus ein deutsches Phänomen – und es kann sich in Bürokratie niederschlagen. Gerade kleine Unternehmen kann der Aufwand dann wirklich entmutigen. Ich sehe das als einen wichtigen Grund für unsere Gründungsschwäche und dafür, dass Start-ups nicht so schnell wachsen wie in anderen Ländern. Wir haben noch immer in Deutschland sehr wenige Unicorns, also junge Unternehmen mit einem Marktwert von über 1 Mrd. Euro.
Ist das der einzige Grund?
Nein, es gibt auch eine langfristig-strukturelle Erklärung: Wir können in Deutschland mit radikalen Veränderungen nicht gut umgehen. Es gibt wenig von dieser kreativen Zerstörung à la Schumpeter, es gibt sehr wenige Neueintritte von Unternehmen und auch immer noch relativ wenige Austritte. In disruptiven Zeiten ist das ein wichtiger Faktor – wichtiger als in einer Merkelschen Periode, wo sich alles so vor sich hin entwickelt. Deswegen ist die deutsche Wirtschaft für die gegenwärtige, sich schnell ändernde Welt nicht besonders gut aufgestellt.
Wie viel Schuld trägt die Ampel-Koalition an der aktuellen Wachstumsschwäche?
Wir haben eine sehr schwache Bundesregierung – also schwach im Sinne von sehr uneinig und sehr unstrategisch – und das wirkt als Unsicherheitsfaktor. Unter Merkel wurden Probleme zwar auch nicht wirklich gelöst, aber sie hat zumindest eine gewisse Ruhe ausgestrahlt, eine gewisse Sicherheit vermittelt. Im Moment tut die Regierung das genaue Gegenteil: Wärmepumpe hier, Industriestrompreis da und so weiter. So etwas ist wirklich Gift für die konjunkturelle Entwicklung – wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht, investiere oder konsumiere ich nicht. Es sind sowieso unsichere Zeiten. Aber die Ampel hat es geschafft, diese Unsicherheit noch einmal zu amplifizieren.
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Dabei wollte die Regierung ja durchaus etwas für die Wirtschaft tun, es gab Wachstumspakete, einen Deutschlandtakt und ähnliches.
Ja, aber gerade beim Bundeskanzler habe ich den Eindruck, dass das im Wesentlichen eine Ankündigungspolitik ist: Zeitenwende hier, Zeitenwende da – und dann wird doch eher eine Maus geboren. An den Margen wird etwas verbessert, aber eine Zeitenwende ist das sicher nicht. Die drei Parteien verfangen sich in ihren divergierenden Zielen und in der existierenden Komplexität, die wir inzwischen haben. Ich kann wenig wirklich Positives finden an dem, was in den letzten Jahren gemacht wurde.
Wirklich gar nichts?
Okay, die schnelle Reaktion auf die Energiekrise durch Russlands Angriff auf die Ukraine war gelungen. Aber ohne eine akute Krise ist es für die Bundesregierung wahnsinnig schwer bis unmöglich, tatsächlich ernsthafte Veränderungen durchzusetzen.
Wie viel Hoffnung haben Sie, dass sich im letzten Regierungsjahr etwas bessern wird?
Ich wünschte mir ja, dass die Wahlergebnisse aus Thüringen und Sachsen als Signal dienen, nämlich dass diese Uneinigkeit, dieses Stückwerk, diese Inkohärenz wahrgenommen werden. Da war es den Leuten im Prinzip egal, was sie wählen, nur keine der Ampel-Parteien. Die haben sogar eine Partei gewählt, die es erst seit Januar gibt und die ein Wahlprogramm von vier Seiten hat! Es wäre also gut, das Jahr zu nutzen und sich zusammenzuraufen und es besser zu machen.
Reint E. Gropp ist seit 2014 Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle und Inhaber eines Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg