Der BDI fordert von Berlin zusätzliche Investitionen von fast einer halben Billion Euro. Doch das würde die Wirtschaftskrise nicht beenden, denn viele Probleme sind hausgemacht.

Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt’s an der Badehose. Dieser alte Spruch soll aufzeigen, wie grotesk manche Menschen ihr eigenes Unvermögen wegargumentieren. Wirtschaftsvertreter bedienen sich gern einer ähnlichen Rhetorik, wenn sie konstatieren wollen, der Staat sei eigentlich grundsätzlich schuld, dass es in ihren Büroräumen und Fabrikhallen nicht rundläuft. Motto: Hau druff auf Berlin, es trifft stets die Richtigen! 

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), hat dieses Prinzip gerade in eine Zahl gefasst: Er verlangt von der Bundesregierung, bis 2030 zusätzliche Investitionen in Höhe von fast einer halben Billion Euro, um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Viel Staatsknete hilft viel? Oder muss doch noch mehr, noch anderes geschehen?

Sicher, Regierungen machen Fehler. Auch in der Wirtschaftspolitik. Offensichtliche Probleme werden auf die lange Bank geschoben, Chancen nicht genutzt. So beharrt die Ampel (oder Teile davon) auf der Schuldenbremse, während manches den Bach hinuntergeht, von Bildung bis Infrastruktur. Sie fasst das VW-Gesetz nicht an, das Volkswagen politisch fesselt und so unflexibel macht. Sie teilverstaatlicht dafür die Meyer-Werft, deren Produkte schon lange nicht mehr konkurrenzfähig sind, wie nicht nur Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt.

Ohne Mut und Weitsicht im die Wirtschaftskrise

Viele Probleme, unter denen die Privatwirtschaft gerade leidet, sind aber auch hausgemacht. Da wird zu oft manisch gespart, anstatt in der Krise zu investieren. Da wird teuer weiter exportiert, statt weitere Standorte weltweit aufzubauen. Da fehlt es an unternehmerischem Mut, an Weitblick und an einer klugen Produktstrategie. Und hier und da stehen auch bockige Betriebsräte und Gewerkschaften im Wege und rauben Unternehmen das Reaktionsvermögen.

BDI-Präsident kritisiert Kanzler Scholz scharf

Ein Beispiel für Hausgemachtes: Thyssenkrupp Steel. Mit herkömmlichem Stahl kann der Konzern nicht überleben, den produzieren die Chinesen viel billiger. Also legte Ex-Vorstandschefin Martina Merz 2020 dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Milliardenplan für eine CO₂-freie Stahlproduktion vor. Das mache den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig. Altmaier hob den Daumen und sagte Unterstützung zu. 

Thyssenkrupp steuerte sich ins Chaos  

Die Strategie klingt auch heute noch plausibel, zumal Wettbewerber in der westlichen Welt einen ähnlichen Weg einschlagen. Thyssenkrupp wurde in internationalen Medien sogar als vorbildlich beschrieben. Bis heute stellt kein Experte ernsthaft infrage, dass klimaneutraler Stahl auf dem Weltmarkt zunehmend nachgefragt wird, weil Klimaunfreundlichkeit durch teure CO₂-Zertifikate immer stärker bestraft wird und außerdem die Börsen Nachhaltigkeit verlangen. 

Vor diesem Hintergrund gewährten Bund und Land NRW Thyssenkrupp Steel zwei Milliarden Euro für neue Hochofentechnik. Es folgte: Chaos im ohnehin unruhigen Konzern. Milliardenverluste. Managementfehler. Merz ging, der neue Konzernchef Miguel López und sein Konzernaufsichtsratschef Russwurm – der Billion-Forderer – griffen ungeduldig in das Stahlgeschäft ein. Teile der Sparte gehen nun an einen tschechischen Milliardär. Tausende Arbeitsplätze sind plötzlich gefährdet, Betriebsrat und Gewerkschaft sind im Kampfmodus. Sigmar Gabriel, SPD, Ex-Wirtschaftsminister und Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, warf das Handtuch: Es herrschten „Zustände wie in einem Gulag“, zitierte er Mitarbeiter des Unternehmens. Die Zukunft verbaut sich gerade der Konzern selbst – nicht die Regierung.

Intel setzte auf die falschen Chips

Beispiel Intel. Der Osten fühlt sich chronisch abgehängt, das zeigen nicht nur die AfD-Wahlerfolge. Da kam der US-Chipkonzern Intel gerade recht. CEO Pat Gelsinger versprach Kanzler Olaf Scholz im März 2022, zwei Halbleiterfabriken bei Magdeburg zu bauen und mindestens 3000 Arbeitsplätze schaffen. Ein 33-Milliarden-Invest, das die Bundesregierung mit 9,9 Milliarden Euro zu unterstützen bereit war. Teuer – aber auch unklug? Es wäre das höchste Investment eines ausländischen Konzerns in der Geschichte der Bundesrepublik. Und ein wichtiges Zeichen: Ostdeutschland ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort. Kalkül: Das lockt weitere Unternehmer an und zahlt sich deshalb aus.

Intel legt Werk auf Eis 22.45

Doch dann stürzte Intel ab. Milliardenverluste, Investoren flohen, der Aktienkurs rutschte in den Keller, 15.000 Jobs sollen gestrichen werden. Der ehemalige Marktriese hatte wichtige Markttrends verschlafen. Wettbewerber wie Nvidia überholten links wie rechts, und Apple fertigt seine Chips inzwischen selbst. Jetzt entschied Intel, das Projekt „Werk in Magdeburg“ aus Kostengründen auf Eis zu legen. Intels Weg könnte am Ende „America first“ heißen, denn dort locken durch Präsident Joe Bidens „Chip Act“ sogar 20 Milliarden Dollar Staatshilfe für Intel-Großprojekte. Auch hier also ist die Krise bei Intel hausgemacht und kein Staatsversagen.

ZF Friedrichshafen verharrte in Behäbigkeit

Beispiel ZF Friedrichshafen. Kürzlich kam die Schocknachricht, dass der drittgrößte Automobilzulieferer der Welt, groß geworden als Spezialist für Getriebe, 14.000 Stellen streichen muss. Eine Folge von Managementfehlern. Schon als sich abzeichnete, dass sich die nahezu getriebelosen E-Autos durchsetzen würden, hätten die Verantwortlichen umsteuern müssen. Man hätte neue, zukunftsträchtige Geschäftsfelder erschließen und dazukaufen müssen. Doch der Konzern ist im Besitz einer behäbigen Stiftung. Und solange die alten Geschäfte gut liefen, drückte sich das Management vor unangenehmen Entscheidungen. Lieber tüftelten sie an Produkten, die niemals eine Chance haben, Gewinne abzuwerfen, etwa an autonomen Shuttles. Inzwischen lasten auf dem Unternehmen 10,5 Milliarden Euro Schulden. Nun zu jammern, der Staat sei schuld, weil die Grünen auf E-Autos drängten, klingt vor diesem Hintergrund wie ein schlechter Witz. Die E-Mobilität muss und wird kommen. Der Klimawandel offenbart längst seine hässliche Fratze, siehe die aktuellen dramatischen Überschwemmungen im Süden. 

Viele Unternehmen, die mit einem Finger auf den Staat zeigen, zeigen also mit drei Fingern auf sich selbst. Das sollte sich ändern. Die klugen alten Griechen wussten schon: Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung.