Eine Himmelstreppe, rätselnde B-Prominenz und ein trainierter Nun-doch-wieder-Entertainer – Stefan Raab hat sich als Erlöser des deutschen Fernsehens inszeniert. Szenen seiner Rückkehr in Düsseldorf.
Die Sonne senkt sich langsam über Düsseldorf, als sich im Eingangsbereich einer schmucken Multifunktionshalle das alte und das neue Fernsehen treffen. Allerlei Promis sind gekommen, um einem Ereignis beizuwohnen, das es seit fast zehn Jahren nicht mehr gegeben hat: Stefan Raab in einer Fernsehshow. Es sind Moderatoren dabei, die in die Halle drängen, Komikerinnen – und, das ist nun das neue Fernsehen, Stars aus dem Reality-TV.
Einer davon ist RTL-„Dschungelkönig“ Filip Pavlovic, der einst im Dating-Format „Die Bachelorette“ bekannt wurde und später die Urwald-Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ gewann. Was verbindet er mit Raab? Pavlovic bekommt fast glühende Augen. „Meine Kindheit!“, sagt er. „TV total“, die berühmten Clips, all das. „Ich glaube, Stefan Raab hat vier, fünf Generationen geprägt.“
Dragqueen Olivia Jones ist etwas zurückhaltender in der Formulierungen. „Ich weiß nicht, ob ich ihm das geraten hätte. Weil der Druck ist doch schon sehr, sehr groß“, sagt sie zu Raabs Rückkehr. Die Fernsehlandschaft habe sich verändert. Viele junge Leute – die wüssten doch gar nicht mehr, wer der Mann sei. Und die Erwartung sei so riesig. „Das ist ja, als wäre jemand wieder auferstanden“, sagt Jones. „Der Heiland betritt den Boxring.“
Was kann Raab noch?
Die Gespräche im VIP-Bereich beschreiben ganz gut die diffuse Gefühlslage an diesem Abend im Düsseldorfer PSD Bank Dome. Was kann Raab noch? Und vor allem: Wo will er hin? Euphorie trifft auf Skepsis, Nostalgie auf Aufbruch. Klar ist, dass der „Raabinator“ nun neues und altes Fernsehen zugleich ist. Er nimmt seinen Legenden-Status, wirft in ihn die Waagschale und präsentiert schon am kommenden Mittwoch (18. September) nach jahrelanger Pause eine neue Show – nicht im klassischen TV, sondern auf der Streamingplattform RTL+, wie er spät am Abend verkünden wird. Raab wird ein RTL-Gesicht – so wie in gewisser Weise Filip Pavlovic. Ob er weiß, wer Filip Pavlovic ist, bleibt offen.
Angekündigt ist zunächst aber ein Boxkampf gegen Regina Halmich, so wie schon 2001 und 2007. Seit Monaten hat es ein großes Rätselraten darum gegeben, entsprechend Spannung ist beim Publikum zu spüren. Keiner weiß, wie der Mann, den viele noch aus ihrem Teenager-Zimmer kennen, heute aussieht. 2015 hatte er sich von all seinen TV-Shows verabschiedet. Rund um Ostern kündigten plötzlich mysteriöse Internet-Clips – gewohnt großmäulig – einen weiteren Halmich-Kampf an.
Viel Rückblick – bis sich der Himmel öffnet
Schon früh füllt sich die Halle, am Ende werden es mehr als 13.000 Menschen sein. Ein großer Teil der Zuschauerschaft ist geschätzt zwischen 30 und 50 – Menschen, die mit einem Fernsehen groß geworden sind, in dem Raab als Super-Anarcho galt. Sie werden von den Show-Machern entsprechend versorgt: In langen Rückblick-Zusammenschnitten werden alte Raab-Shows gezeigt und der Moderator für seine Leistungen besungen. Nichts daran ist wirklich neu.
Einzig Sänger Herbert Grönemeyer sticht hervor, indem er Raab mit dem Kölschen Musiker und Komiker Hans Süper vergleicht, einer Größe des rheinischen Karnevals. Eine ebenso seltsam spezifische wie neue Lesart des Lebenswerks des einstigen Metzger-Lehrlings aus Köln-Sülz.
Ein großer Lacher ist immerhin, als ein alter „TV total“-Clip gezeigt wird, in dem ein Diskutant in der einstigen Talkshow von Hans Meiser gänzlich unverständlich vor sich hin erzählt. Die alten Reflexe funktionieren noch. Der Clip ist etliche Jahre alt, aber alle kennen ihn. In der Werbepause läuft in der Halle Raabs alter Hit „Maschen-Draht-Zaun“. Die Nostalgie-Decke wird weit ausgebreitet.
Dann endlich erscheint Raab – und inszeniert sich als fast gottgleiche Gestalt. Auf einer langen Treppe, die vom Hallendach herab gelassen wird, steigt der Ex-Jesuitenschüler zu seinem Publikum – man ist geneigt zu sagen: seinen Jüngern – herab. Aus dem Himmel in die Niederungen der heutigen Fernsehlandschaft, so könnte man es deuten. Fitness-Influencerin Pamela Reif schwebt dazu als Engel an Seilen durch die Halle. Während sich Raab feiern lässt, übt Halmich Schläge und Schritte im Ring. Sie nimmt die Sache erkennbar ernst.
Wer ist der Mann?
Schließlich ist Raab frontal zu sehen, oberkörperfrei, es ist der Moment, auf den alle gewartet haben. Raab sieht überraschend durchtrainiert aus – und weißhaarig. „Meine Schwester schrieb mir schon: Sie dachte, da kommt Nino de Angelo runter“, sagt ein Zuschauer.
„König Lustig“ ist fit. Aber da man ihn so lange nicht gesehen hat, ist der Kontrast besonders grell. Ein Symbol, dass die Zeit einfach nicht stehen bleibt. Was dem Abend, diesem ganzen mit Inbrunst inszenierten Quatsch, plötzlich eine neue Note verleiht. Raab muss ordentlich Schläge einstecken. Aber das Publikum bejubelt ihn. Er ist das Ereignis – nicht der Kampf.
Am Ende ruft Raab – noch immer leicht angeschlagen und rotgesichtig – kurzfristig die Presse zusammen, um in den Katakomben der Halle über seine zukünftigen Pläne zu reden. Die neuen Shows, der er machen will. Er und RTL haben nämlich einen Fünf-Jahres-Vertrag geschlossen und Raab sogar ein Lied auf seinen neuen Sender gedichtet. Nachdem Raab jahrelang das ProSieben-Gesicht schlechthin war, muss man sich daran erst noch gewöhnen..
Raab ist bester Laune, scherzt, singt und erzählt. Er witzelt über all die Spekulationen, die ins Kraut geschossen sind. Was man freilich nicht erfährt ist, was er in den vergangenen Jahren so im Großen und Ganzen mit seiner Zeit gemacht hat.
In der Show sagt die „Let’s Dance“-Tänzerin Ekaterina Leonova den Satz: „Vielleicht hat er auch ein Tanztalent!“. Raab bei „Let’s Dance“? Nach diesem Abend scheint fast nichts mehr unmöglich. Der „Raabinator“ weilt wieder unter den Sterblichen.