Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an. Der Kontakt mit ihnen ist für Behörden oft schwierig. Handlungsempfehlungen sollen Verwaltungsmitarbeitern den Umgang erleichtern.
Kiel (dpa/lno)- Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter halten die Verwaltungen in Schleswig-Holstein weiterhin auf Trab. Einige Städte und Kreise verzeichnen einen Anstieg von Kontakten zu Menschen, die der Szene zugerechnet werden, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Kreisverwaltungen und kreisfreien Städten ergab. Bei anderen stagniert die Zahl.
Sogenannte Reichsbürger negieren die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und gehen davon aus, dass das Grundgesetz und die bestehende Rechtsordnung keinen Bestand haben. Manche Gruppierungen geben Dokumente wie Reichspässe und Reichsführerscheine heraus, die die Mitglieder kaufen können.
Die Landeshauptstadt Kiel bemerkt seit Anfang des Jahres einen Anstieg von Kontakten zu Reichsbürgern, wie ein Stadtsprecher der Deutschen Presse-Agentur dpa sagte. Dies gehe mit einem entsprechendem Aufwand einher, da die oft langen Schreiben auf formale Elemente wie Widerspruch oder Einspruch gesichtet und dann auch so behandelt werden müssen.
Auch im Kreis Stormarn ist nach Angaben des Kreises eine leichte Zunahme zu beobachten. Der Kreis Dithmarschen ist ebenfalls mit einer zunehmenden Anzahl von Schreiben und Anrufen von Personen konfrontiert, die der Reichsbürgerbewegung zugerechnet werden können, wie eine Kreissprecherin sagte. In anderen Kreisen wie etwa Ostholstein oder Plön gehen vereinzelt Schreiben von sogenannten Reichsbürgern ein. Eine signifikante Zunahme ist hier den jeweiligen Kreisen zufolge jedoch nicht auffällig.
Ein Sprecher des Kreises Ostholstein wies allerdings darauf hin, dass möglicherweise nicht alle Personen im Kreis erfasst seien, da einige vielleicht weniger auffällig agierten. Im Kreis Rendsburg-Eckernförde ist die Zahl der Kontakte zur Szene seit Jahren in etwa gleich.
Der Kreis Herzogtum Lauenburg führt keine Statistik über die Kontakte, aktuell scheine die „Reichsbürgerwelle“ eher abzunehmen, sagte ein Sprecher. Auch in Flensburg gibt es einem Stadtsprecher zufolge derzeit wenig Aktivitäten der Szene gegenüber den Behörden.
Im Kreis Nordfriesland berichtet der Fachbereich Sicherheit, Gesundheit und Veterinärwesen, dass die Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ in den vergangenen zwei Wochen mehrere Faxe geschickt hat, teils mehrfach am Tag.
Reichsbürgerinnen und Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an
Die Zahl der Menschen in Schleswig-Holstein, die der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene angehören, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. 2021 wurden rund 480 Menschen der Szene zugerechnet, 2022 etwa 640 und im vergangenen Jahr rund 700, wie das Innenministerium mitteilte. Das unstrukturierte Personenpotential stagnierte 2023 im Vergleich zum Vorjahr bei rund 400. Das Personenpotenzial in Gruppierungen stieg um dreißig Prozent auf 300 Personen (2022: 230). Dieser Anstieg hängt nach Ministeriumsangaben hauptsächlich damit zusammen, dass das „Königreich“ und das „Indigene Volk Germaniten“ mehr Zulauf erhielten.
Reichsbürgerinnen und Reichsbürger beziehen sich auf den Fortbestand des historischen Deutschen Reiches, wobei das Datum, auf das sie sich fokussieren, variiert. Sie sehen sich als „Bürger und Staatsangehörige des Deutschen Reiches“, „Preußens“ oder des „Königreich Preußen“, wie das Innenministerium weiter mitteilte.
Überschneidungen mit Ideologieelementen des Rechtsextremismus
„Mit ihren Bezügen auf das historische Deutsche Reich weist die Ideologie der sogenannten (Staats-)Bürger des Deutschen Reichs Überschneidungen zu revisionistischen und teils völkischen Ideologieelementen des Rechtsextremismus auf“, teilte eine Sprecherin des Innenministeriums mit. Dies spiegele sich auch in personellen Überschneidungen zwischen der Reichsbürgerbewegung und dem Rechtsextremismus wider. Den Einschätzungen zufolge bleibt die Szene – auch wegen einer großen Affinität zu Waffen – „eine gleichbleibend hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die freiheitliche demokratische Grundordnung“.
Zurückweisung staatlicher Forderungen mit pseudo-juristischen Argumenten
„Aufgrund der Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung versuchen Reichsbürger und Selbstverwalter ihre eigenen Interessen durchzusetzen und den Behördenbetrieb der Verwaltungen, so auch den der Hansestadt Lübeck, zu lähmen“, teilte die Stadt Lübeck mit. Dieses erfolgt unter anderem durch „Vielschreiberei“ von pseudo-juristischen Schreiben sowie persönlichen und telefonischen Konfrontationen.
Mitarbeiter bekommen Handlungsempfehlungen
Den Beschäftigten in den Verwaltungen wird unter anderem geraten, sich nicht auf Diskussionen mit Reichsbürgern einzulassen und nicht auf „Erlasse“, „Bescheide“, „Anordnungen“ oder „Verfügungen“ von Reichsbürgern zu reagieren. Echte Anliegen werden natürlich entsprechend bearbeitet, wie eine Sprecherin des Kreises Nordfriesland betonte. Auf sonstige Schreiben wie Proklamationen oder Erklärungen wird nicht reagiert.
Einige Kreise haben eigene Handlungsempfehlungen und Richtlinien sowie Seminare für den Umgang mit Menschen, die der Reichsbürger- oder Selbstverwalterszene zugerechnet werden, erstellt. Zudem gibt es entsprechende Handlungsempfehlungen des Landes.
Sofern bei den Verwaltungen Erkenntnisse eingehen, dass eine Person der Szene angehört, wird sie in der Regel waffenrechtlich überprüft. Sofern ein begründeter Verdacht besteht, wird der Verfassungsschutz sowie die Polizei über diese Personen in Kenntnis gesetzt.