Regisseur Kevin Macdonald zeichnet in „Klitschko – Der härteste Kampf“ ein intimes Porträt des Ex-Boxweltmeisters und Bürgermeisters von Kiew bei der Verteidigung seines Landes.
„Das erste Prinzip im Leben ist der Kampf“, sagt Vitali Klitschko mit ruhiger Stimme. Seine Mutter hatte einst ihre eigene Auffassung, was den Kampf angeht. Boxen ja, aber niemals gegeneinander. Vitali und sein jüngerer Brüder Wladimir, sie sollten mit ihren Fäusten die Welt erobern, sie aber niemals gegeneinander erheben.
STERN PAID 36_2022 IV Klitschko-Brüder Wladimir und Vitali Klitschko 13.13
Heute fechten die beiden Seite an Seite einen ungleich härteren Kampf aus – die Verteidigung gegen Russland, das vor mittlerweile mehr als zweieinhalb Jahren ihr Land überfiel. Die Tragik, die Schwere dieses Kampfes hat sich auch ins Gesicht von Nadeschda Uljanowa Klitschko gegraben, wie Oskar-Preisträger Kevin Macdonald in „Klitschko – Der härteste Kampf“ zeigt. Ebenso jedoch der Stolz auf den Kampfeswillen ihrer Söhne. „Wladimir isst nichts Süßes“, sagt Nadeschda, „nur meinen Osterkuchen“. Sie lächelt und schneidet ihm ein Stück davon ab.
Wladimir kommt nur eine kleine Rolle zu
In Macdonalds Dokumentarfilm kommt Wladimir, dem Jüngeren, eine vergleichsweise kleine Rolle zu. Im Mittelpunkt steht Vitali, der Ältere. Der Politiker. Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Wenige Szenen zeigen die beiden zusammen, mal in zerbombten Städten, dann nebeneinander im Interview über ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr Verhältnis zueinander, ihre Rivalität und ihre Liebe. „Wladimir erreichte im Handumdrehen, wofür ich jahrelang vergeblich trainiert hatte“, sagt Vitali und wischt den Anflug von Bitterkeit mit einem breiten Lächeln weg. Man nimmt ihm beides ab, die unterschwellige Eifersucht. Und die Bewunderung für den jüngeren Bruder.
Krisengespräch: Vitali und Wladimir Klitschko auf Besuch in Washington
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Regisseur Macdonald („Ein Tag im September“) erzählt, was ihn zu seinem Film trieb: „Wie so viele Menschen auf der ganzen Welt war auch ich schockiert und empört über die Aggression, das Morden und die mutwillige Zerstörung, die die russische Invasion der Ukraine verursacht hat“, so der Schotte. „Ich wollte auf irgendeine Weise helfen – und ein Dokumentarfilm ist die einzige Möglichkeit, die ich habe.“
In den Boxring und in den Bunker
Die Klitschko-Brüder willigten ein – und gewährten Macdonald und seinem Team Zutritt ins Innerste, in die Büros und die Soldatenstützpunkte, zu ihren Familien, den Söhnen, der Mutter. Auch Vitali Klitschkos Ex-Frau Natalia Yegorowa kommt ausführlich zu Wort, erzählt davon, wie die Politik ihren Mann einst veränderte, sie ihn schließlich verlor – und wie traurig sie das alles machte.
Über anderthalb Stunden lang porträtiert Macdonald seinen Protagonisten, es ist ein herausforderndes Stück Geschichte geworden, das auch dem Zuschauer einiges abverlangt. Der Filmemacher verknüpft Biografisches mit Landeshistorie, Szenen aus legendären Boxkämpfen, wie etwa der blutigen Niederlage gegen Lennox Lewis, mit Besuchen an der Front. Es geht in den Boxring und in die Bunker, an den Verhandlungstisch und in die provisorische Kantine eines aufgeriebenen Soldatentrupps.
Vitali Klitschko: Aufgeben ist keine Option
Macdonald schönt hier nichts, hält sich mit einer wie auch immer gearteten Message zurück, dokumentiert, statt zu kommentieren. Darin liegt die Stärke dieses Films. Die Szenen jenes riesigen Cuts in der Augenbraue, den Lennox Lewis dem taumelnden Klitschko 2003 im „Kampf der Titanen“ verpasste, mögen hart sein. Sie sind nichts im Vergleich zum Bombenhagel in den Städten, dem Anblick zerstörter Häuser und den anklagenden Tränen einer Frau, die bei einem Angriff ihre Verwandten verlor – weil die Bunkertür sich nicht öffnen ließ.
Bürgermeister Klitschko tröstet eine Frau, die bei einem russischen Angriff ihre Verwandten verloren hat
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Was in der Flut von Nachrichten zu einer Art Tinnitus werden kann, den man womöglich zu verdrängen versucht, gerät hier zu einer persönlichen Geschichte, deren bedeutsamer Schwere man sich kaum entziehen kann. „Klitschko – Der härteste Kampf“, lautet der deutsche Titel, der englische Originaltitel trifft es fast noch besser: „More than a Fight“, denn das ist es offenkundig: Mehr als ein Kampf. Einer, den Klitschko ausficht, wie einst seine Boxduelle: Aufgeben ist keine Option.
Ab 13. September bei Sky und Wow