14 Millionen wollten zu Oasis, aber nur eine Million Fans bekamen Tickets für die Comeback-Konzerte. Auch ich verehre Oasis. Aber nur in meiner Erinnerung. 

Ich habe das beste Konzert meines Lebens verpasst. Und das ist leider nur die halbe Wahrheit. Ich habe mich sogar geweigert, dort hinzugehen. Mein Freund Schröder – wir nannten uns damals oft nur beim Nachnamen – hatte gefragt: „Willst du die beste Band der Welt sehen?“ Dann wedelte er mit zwei Eintrittskarten vor meiner Nase herum, auf denen Oasis stand, von denen ich noch nie gehört hatte. Doch diese Blöße konnte ich mir nicht geben. Nicht vor Schröder, Checker-Schröder, dem Hipster meines Abiturjahrgangs, der immer schon heute wusste, was wir morgen gut finden. Mit größtmöglicher Gleichgültigkeit antwortete ich also: „Nee, lass mal. Oasis ist nicht mein Ding.“

Oasis vor 400 Auserwählten 

Seitdem habe ich immer wieder Menschen getroffen, meist Männer in meinem Alter, die mir mit viel Stolz und noch mehr Rührung ihre Erinnerungen an jenes Oasis-Konzert am 8. September 1994 in Hamburg erzählen. Es sind nostalgische Sehnsuchtsgeschichten über eine einzigartige Nacht, in der Noel und Liam Gallagher im winzigen Hamburger Musikclub Logo ein letztes Mal vor nur 400 Auserwählten spielten, bevor der Ruhm explodierte und bei manchen Konzerten 250.000 Menschen vor ihrer Bühne standen. 

Ich höre dann immer sehr neugierig zu und verschweige, dass ich es verpasst habe, dabei zu sein. Wie der 22-jährige Liam Gallagher, in einem viel zu heißen grünen Strickpullover, mit einem Schellenkranz in der linken Hand, singt „We’re gonna live forever“, den ersten großen Hit von Oasis, ein Jahr zuvor war er noch Hilfsarbeiter ohne Schulabschluss in einem Gartencenter in Manchester. 

Die Zerstörung der Nostalgie

Manchmal habe ich das komische Gefühl, ich habe inzwischen mehr Leute von jener legendären Nacht in Hamburg erzählen hören, als damals tatsächlich ins Logo passten. Aber so ist das mit der Nostalgie. Man muss sie pflegen und ausschmücken, gewissenhaft verklären, bis man das perfekte Märchenbild im Kopf hat. 

Auch ich habe mir über die letzten zwanzig Jahre ein wunderbar verklärtes Bild von Oasis im Kopf zusammengebastelt. Da rangieren sie mittlerweile, so wie es Noel Gallagher nach häufiger Selbstauskunft schon immer glaubte, mindestens auf Beatles-Niveau. 

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Deshalb werde ich auch ganz sicher nicht eines ihrer Comeback-Konzerte im nächsten Sommer besuchen. Man darf sich seine Nostalgie nicht von solchen Wiedervereinigungs-Spektakeln ruinieren lassen. Abgesehen davon: Meine Frau würde es unter Umständen nicht gutheißen, wenn ich meine private Altersvorsorge opfere, um irgendwie noch auf eines dieser 19 Comeback-Konzerte zu kommen. 14 Millionen Fans wollten Tickets dafür, aber es gab nur eine Million. Die Schwarzmarktpreise liegen inzwischen bei 6000 Euro, Tendenz steigend.

Aber ich glaube wirklich: Jeder, der leer ausgeht, sollte dankbar sein. Don’t look back in anger. Im Ernst. Diese Konzerte sind wie ein Ausflug zu einer Fata Morgana. Denn Oasis funktioniert am besten als Versprechen. Weit weg und aufgelöst. Als ewig zerstrittenes Brüderpaar, das nie wieder gemeinsam auf einer Bühne stehen wird. Als unantasbare Halbgötter, die in den ersten zwei, drei Jahren ihrer Karriere so viele unsterbliche Hymnen, Popsongs für die Ewigkeit, ablieferten, dass es für sieben weitere Britpop-Bands gereicht hätte. Diese verklärte Erinnerung ist wie eine alte Jugendliebe. Man sollte auf keinen Fall versuchen, sie nach 20 Jahren auf Instagram aufzuspüren und wieder zu treffen.

Guns N‘ Roses als Karaoke-Show

Der Besuch von Reunion-Konzerten sollte mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Trigger-Warnung versehen werden, da er zu schweren traumatischen Erlebnissen führen kann. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war dabei, als Axl Rose und Slash 2017 wieder gemeinsam auf der Bühne standen. Nach 20 Jahren hatten sich Guns N‘ Roses wiedervereinigt und gaben das von mir sehnsüchtig erwartete Comeback-Konzert in Deutschland. Dass ich dafür nach Hannover fahren musste, war mir egal. Es störte mich auch nicht, dass sie auf dem Messegelände spielten und ein heftiges Gewitter vom Himmel prasselte. Ich wollte einfach nur sehen, wie meine alten Rock-Idole Axl Rose und Slash, das Yin und Yang von Guns N‘ Roses, ohne die es Guns N‘ Roses gar nicht geben könnte, wiedervereint auf der Bühne stehen und „Welcome To The Jungle“ spielen.

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Doch was ich sah, war eine Karaoke-Show, aufgeführt von verkleideten Doppelgängern. Die beiden Männer auf der Bühne konnten unmöglich meine Helden sein, auch wenn sie ihnen entfernt ähnelten. Es war wirklich „Welcome To The Jungle“, nur ganz anders, als ich dachte. Seitdem sind Guns N‘ Roses dazu verdammt, auf einer endlosen Tournee ihre alten Hits immer und immer wieder zu spielen. Sie sind eine Band ohne Zukunft, die nur noch in der Vergangenheit lebt.

Ich hoffe, Oasis bleibt dieses Schicksal erspart. Es heißt, es werde nur diese 19 Konzerte geben, danach soll alles wieder so sein wie zuvor: Oasis als Erinnerung, als Versprechen. So wunderbar wie es damals war – weißt du noch, wie wir im „Logo“ schwitzend herumgehüpft sind, als Liam „Where Were You While We Were Getting High“ sang? Ab jetzt behaupte ich einfach, ich wäre auch dabei gewesen.