Hass-Parolen, Bedrohungen, Brandanschläge. Eine Serie rechtsextremer Straftaten beschäftigt seit Jahren neben Polizei und Justiz die Politik in Berlin. Nun kommt es erneut zum Prozess.
Selber Gerichtssaal, wieder verdecken die Angeklagten für Fotos ihr Gesicht mit Jacken oder Poster, erneut schweigen sie im Prozess. Gut zwei Jahre nach dem ersten Prozess zu einer Serie von rechtsextremen Anschlägen in Berlin-Neukölln hat vor dem Landgericht Berlin der Berufungsprozess gegen die beiden Hauptbeschuldigten im Alter von 38 und 41 Jahren begonnen.
„Mein Mandat wird sich schweigend verteidigen“, sagte Verteidiger Mirko Röder für den älteren Mandanten. Der Mitangeklagte hält es ebenso. Bereits im ersten Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten hatten die Männer zu den Vorwürfen geschwiegen.
Menschen betroffen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren
Die Anklage wirft ihnen unter anderem Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu sowie Sachbeschädigung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor. Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft wollte das Duo Menschen einschüchtern, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.
In der Nacht zum 1. Februar 2018 sollen sie die Autos von einem Buchhändler und dem Linke-Politiker Ferat Koçak angezündet haben. Zudem sollen die Angeklagten bei verschiedenen Gelegenheiten vor allem im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen geklebt sowie Schmierereien gesprüht haben, um Andersdenkende einzuschüchtern.
In erster Instanz Freispruch vom zentralen Vorwurf der Anklage
In erster Instanz wurden die beiden Männer jedoch aus Mangel an Beweisen 2022 und 2023 vom zentralen Punkt der Anklage freigesprochen, allerdings wegen Sachbeschädigung in mehreren Fällen verurteilt. Der Ältere wurde zudem wegen Betruges schuldig gesprochen, weil er laut Urteil zu Unrecht Geld vom Jobcenter und Corona-Hilfen bezogen hatte.
An einer rechten Gesinnung der beiden – einer war früher in der NPD, der andere im AfD-Vorstand – hatte das Amtsgericht damals keine Zweifel. Im Fall des heute 38-Jährigen sahen die Richter keine günstige Sozialprognose. Er wurde zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung wegen Sachbeschädigung und Betruges verurteilt.
Gegen die Urteile haben sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Berufung eingelegt. Darum kommt es erneut zum Prozess. Die Vorsitzende Richterin Susann Wettley hat bislang 14 Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte am 28. November gesprochen werden.
Zunächst beschäftigt sich das Gericht mit den Betrugsvorwürfen gegen den jüngeren Angeklagten. Etwa ab Oktober soll es dann um die Schmierereien und Bedrohungen gehen und zuletzt um die Brandstiftungen. Nächster Prozesstag ist am 16. September.
Linke-Politiker Nebenkläger im Prozess
Koçak ist Nebenkläger in dem Verfahren. „Eigentlich wollen wir abschließen und wieder versuchen, ein normales Leben zu führen“, sagte er am Rande des Prozesses. „Aber mit diesem Berufungsprozess fangen die Ängste wieder an, die schlaflosen Nächte. Wir beschäftigen uns seit Wochen mit der Tatnacht wieder.“ Der Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus hofft, dass das Gericht im Berufungsprozess die Vorfälle nicht als Einzeltaten wertet, sondern als das Agieren einer organisierten Gruppe.
Die rechtsextremen Anschläge – vor allem zwischen 2016 und 2019 – beschäftigen Polizei und Justiz in Berlin seit Jahren. Mehr als 70 rechtsextreme Straftaten hatten die Ermittlungsbehörden seit 2013 in Neukölln gezählt. Erst im Sommer 2021 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage. Diese erfasste nur einen Bruchteil der Vorfälle, zentraler Vorwurf war die Brandstiftung bei den beiden Autos.
U-Ausschuss fordert Akteneinsicht
Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Dessen Vorsitzender Vasili Franco hat die Vorsitzende der Staatsschutzkammer angeschrieben und um die Akten zum Fall der angeklagten Brandanschläge gebeten, Richterin Wettley lehnte das ab mit Blick auf das Strafverfahren. Der Ausschuss klagt deshalb vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof gegen das Landgericht auf Herausgabe aller Akten zum Prozess und zu den Ermittlungen.
Bislang ist offen, wann Berlins höchste Richter darüber entscheiden. Der Vorsitzende Franco rechnet im Herbst damit. Die Akten seien wichtig für den Ausschuss, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Sonst sind wir nicht in der Lage unseren Auftrag zu erfüllen.“ Parallel werde das Berufungsverfahren „sehr aufmerksam“ beobachtet.
„Ich wünsche mir, dass die Akten freigegeben werden für den Untersuchungsausschuss“, sagte auch Koçak. Insbesondere in seinem Fall seien von Ermittlern zahlreiche Fehler eingeräumt worden.