Zu seinen Zeiten als Spieler war Günter Netzer Popstar und Rebell. Als Rentner dagegen genießt er ein „langweiliges Leben“, wie er sagt. Am Samstag nun wird er einstige Fußball-Ästhet 80 Jahre alt.
Der Anruf erreicht Günter Netzer zu einem ungünstigen Zeitpunkt. „Ach herrje“, sagt der 79-Jährige ins Telefon. „Sie erwischen mich in einem für mein Leben wirklich ganz seltenen Moment.“ Im Hintergrund sind Stimmen zu hören, auch eine Art Durchsage dringt durch den Hörer.
Netzer befindet sich an einem Bahnhof, er will seinen Zug erwischen. Er müsse deswegen jetzt auch direkt wieder auflegen, sagt er höflich. „Sonst finde ich meine Bahn nämlich nicht.“ Er werde sich am Nachmittag melden, schiebt er noch hinterher. Und natürlich wird er das genauso tun. Zur exakt vereinbarten Zeit.
Er ist auch im gehobenen Alter ein Feingeist, Sprachartist und Gentleman geblieben. Nicht nur, weil er zur vereinbarten Zeit zurückruft. Sondern vor allem durch die Form seines Ausdrucks. Auch jetzt noch finden Netzers Sätze so einzigartig wie einst seine Pässe ihr Ziel. Netzer jongliert mit Worten, so wie er es mit Gerhard Delling schon zu seiner Zeit als TV-Experte getan hat.
Turmspringen und Turnen begeistert ihn
Er spielt mit Sätzen mit einer Leichtigkeit, mit der seine Füße früher den Ball behandelt haben. Netzer benutzt etwa Wörter wie „hochbeglückt“, wenn er über sein aktuelles Leben spricht. Man nimmt es ihm ab. Nicht nur wegen der Art und Weise, wie er darüber spricht.
An diesem Samstag also wird Günter Netzer 80 Jahre alt. Und natürlich geht es in diesem Gespräch auch um die Frage, wie denn sein Leben aktuell so aussieht. Es ist ja schon länger so, dass man nicht mehr viel vom einstigen Weltklasse-Fußballer mitbekommt. Im Fernsehen tritt Netzer praktisch nicht mehr auf, wenn überhaupt sitzt er nur noch davor. Er erzählt von den Olympischen Spielen in Paris, die er aufmerksam verfolgt hat.
„Ich habe noch nie im Leben Turmspringer verfolgt. Das ist ja unfassbar, was diese Menschen leisten“, sagt er etwa. Oder die Turnerinnen und Turner: „Diese wunderschöne Eleganz! Da hätte ich mir nie vorstellen können, da mal mehr als zehn Sekunden zuschauen zu können. Jetzt habe ich stundenlang zugeschaut – weil ich ja ein ästhetischer Mensch bin und hochbeglückt war.“
„Mein Leben ist sowas von langweilig“
Es sind genau diese Sätze, die einen im Gespräch mit ihm immer wieder schmunzeln lassen. Weil man tatsächlich eine Begeisterung aus ihnen heraushört, ohne dass Netzer ihnen eine besondere Betonung gibt. Er redet halt, wie nur Günter Netzer redet. Die Tonlage ist meistens gleich. Die Wortwahl dagegen immer kreativ.
„Ich bin hochzufrieden“, sagt er über sein Leben. „Zufriedenheit ist das, was ich immer erreichen wollte.“ Das ist ihm offenbar geglückt. Er genieße es besonders, „keine Termine mehr zu haben“, sagt er. „Mein Leben ist sowas von langweilig, so wie es einem 80-Jährigen gebührt.“ Man kann dabei das leichte Grinsen auf seinen Lippen heraushören.
Langeweile ist jedenfalls das Letzte, was den meisten zu Netzers Leben einfällt. Zur Erinnerung eine altbekannte Anekdote: Düsseldorfer Rheinstadion, 23. Juni 1973, lange her, aber immer noch wahr. Gladbach-Star Netzer sitzt nur auf der Bank, sein Wechsel zu Real Madrid steht bevor.
Der Rebell, der sich selbst einwechselte
Beim Stand von 1:1 kurz vor Schluss hat er genug. „Ich spiel‘ dann jetzt“, ruft er seinem Trainer Hennes Weisweiler zu. Dann wechselt er sich in der 91. Minute selbst ein, drei Minuten später erzielt er den Siegtreffer. Es war sein letztes Spiel für die Borussia.
Ein Rebell sei Netzer, ein Aufsässiger, schrieben die Medien nicht erst danach. Er trug lange Haare und schräge Klamotten, fuhr Ferrari und Jaguar, schon früh besaß er sogar eine eigene Diskothek, und dann waren da auch noch seine ständigen Reibereien mit Weisweiler. Alles vorbei. Heute lebt er in Zürich und genießt vor allem das Leben mit seiner Familie. Der Fußball spielt dagegen nur noch eine untergeordnete Rolle, wie er sagt.
Wird er dann vermutlich auch an seinem Geburtstag am Samstag tun. Wie genau und wo er feiert, will Netzer nicht verraten. Nur so viel: „Ich mache es ganz ruhig in einem bescheidenen kleinen Kreis.“ Eine „runde Sache“ werde der Tag hoffentlich, sagt er noch. Das würde dann ja auch zu seinem Leben passen.