Wer an Grundschulen oder Kitas wohnt, bekommt morgens eine Menge Besuch – die Elterntaxis rollen an. stern-Redakteur Christian Hensen wirbt um Verständnis.

Für meinen ersten Schulweg stand das Elterntaxi nie zur Debatte. Ich komme vom Land, die Grundschule war exakt eine Straße weiter. Für Autos war die Strecke ohnehin eine oft kontrollierte Tempo-30-Zone, der Gehweg war sehr breit. Für meine berufstätige Mutter war es also recht sorgenfrei, mir den Weg zur Schule zu überlassen – die Anwohner kannte ich, irgendwie passt im Dorf auch ein bisschen jeder auf jeden auf. Meine Mom hatte keine Sorge, dass ich nicht ankomme.

Doch inzwischen sehen viele Eltern das anders. Nach einer Umfrage der ADAC-Stiftung unter mehr als 1000 Eltern fahren im Frühjahr und Sommer 23 Prozent, im Herbst und Winter sogar 28 Prozent ihr Kind mindestens dreimal pro Woche mit dem Auto zur Schule. Die sogenannten Elterntaxis. 

Gründe, diese Praxis zu kritisieren, gibt es viele: Die Autos verstopfen die Straßen – es kommt mitunter zu beachtlichen Staus. Nicht wenige Schulen haben deshalb ein Verbot erlassen, welches Eltern die Anlieferung der Kinder in bestimmten Bereichen rund um die Schule untersagt. Dort, wo es erlaubt ist, schimpfen die Anwohner über die Ansammlung der Autos. Denn oft haben Elterntaxis keine andere Wahl als Einfahrten zu blockieren oder auf Radwegen zu halten – besonders in Städten gibt die Infrastruktur eben nichts anderes her. „Ich bin gleich weg“, heißt es dann nur.

Elterntaxis ja, aber bitte kein Butler

Ich beobachte dabei auch mindestens ein vermeidbares Problem: Wenn man die Kinder schon bis zur Tür der Schule oder Kita bringt, dann muss man die Kleinen nicht auch noch in die Gebäude begleiten. Vollkommen unmündig sind sie ja nun nicht. Man muss es schon halten, wie beim Drop-off am Flughafen: Anhalten, Tür auf, Kind raus, Tür zu, abfahren. 

Der Rest ist aber völlig in Ordnung. Grundsätzlich kann ich jedes Elternteil verstehen, das nicht die Nerven hat, das Kind ab der Haustür sich selbst zu überlassen. Als ich vom Dorf in die Großstadt gezogen bin, war ich trotz meiner damals 23 Jahre mit dem Verkehr in Hamburg ziemlich überfordert. Es passiert unglaublich viel in sehr kurzer Zeit. Ein Kind hierbei nicht zu begleiten, erscheint mir fahrlässig. Und wenn die Schule nicht zu Fuß erreichbar ist, nimmt man eben das Auto.

Was ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mag man an dieser Stelle einwenden: Stimmt, natürlich könnte das Kind auch den Bus oder die Bahn nehmen. Aber auch dort müssen die Kids irgendwie ankommen. Aus meiner Wohnung wären das zwei Ampeln und eine vierspurige Straße mit LKW-Verkehr – und ich wohne schon nah an einer Haltestelle. Auch das also: ein beträchtliches Risiko. Außerdem: Zeigen Sie mir einen Schulbus, der nicht vollkommen überfüllt ist. Ein guter Start in den Tag sieht anders aus.

Lastenrad 13.50

Aber zurück zum Schulweg, denn die Unfallzahlen stützen meine Einstellung. Demnach wurden im vergangenen Jahr in Deutschland rund 27.000 Kinder im Straßenverkehr verletzt. Dem Statistischen Bundesamt zufolge verunglücken 6- bis 14-Jährige am häufigsten auf ihrem Fahrrad und meist morgens an Werktagen. Das dürfte also der Schulweg sein, wenn ich mich nicht irre.

Verkehrserziehung muss trotzdem sein 

Die Crux: Das ist ein Henne-Ei-Problem. Davor warnt auch die Vorstandschefin der ADAC-Stiftung, Christina Tillmann. Sie sagt: „Gespür für den Straßenverkehr und seine Gefahren entwickeln Kinder als aktive Teilnehmer, nicht auf der Rückbank eines Autos. Der Fußweg oder die Fahrt mit dem Rad zur Schule sind ein wichtiges tägliches Training, um sich sicher und eigenständig im Straßenverkehr zu bewegen.“

In dieser Aussage stecken allerdings einige Idealvorstellungen: Der Schulweg muss es erst einmal hergeben, dass man ihn zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen kann. Auch bedarf es eines recht großen Zeitaufwands, das Kind auf diesem Weg zu begleiten. Als Autodidakt lernt man das Verhalten im Straßenverkehr eher nicht – erst recht nicht in der Stadt, wo eine rote Fußgängerampel von vielen Erwachsenen als Empfehlung wahrgenommen wird und Kinder dann munter mitlaufen.

Dann doch lieber diesen meist hektischen Teil des Tages bequem im Auto verbringen, wo man, abgeschirmt vom lauten Verkehr, noch ein bisschen Zeit mit dem Nachwuchs hat, ehe man in den Tag startet. Mit einer Regel zur Güte: Nur aussteigen lassen, aber bitte nicht, wie im Bild, den Butler mimen. Das strapaziert die Geduld der anderen Verkehrsteilnehmer in den verstopften Straßen dann doch zu sehr.

Was die Verkehrserziehung betrifft, hat die ADAC-Stiftung natürlich Recht. Die muss man aber nicht im hektischen Alltagsmorgen erledigen, sondern kann sich dafür Zeit nehmen und Kindern erklären, was da draußen alles los ist. Wenn dann irgendwann der Eindruck entsteht, dass das Kind in der Lage ist, Gefahren richtig einzuschätzen, kann man das Taxi immer noch stehenlassen.