Die Landtagswahlen haben auch Olaf Scholz und seiner SPD zugesetzt – und das nächste Debakel könnte bald bevorstehen. Doch der Kanzler gibt sich unbeirrt.  

Olaf Scholz möchte mit einer Gegenfrage antworten: „Welches Patentrezept haben Sie?“ Er frage für einen Freund, scherzt der Kanzler, erntet dafür herzhaftes Lachen aus dem Publikum. Nochmal durchgeschmeichelt. 

Doch die Frage bleibt, sie ist zentral für den Fortbestand der Ampel und Scholz‘ Kanzlerschaft: Wie will er das katastrophale Bild, das die Regierung abgibt, korrigieren? Dem fatalen Eindruck entgegenwirken, da seien streitende Kinder am Werk?

Olaf Scholz hat darauf offenbar keine Antwort, obwohl er sie dringend braucht. Lieber gestern als heute. „Sie haben Recht“, sagt Scholz, leicht verzweifelt. Jetzt lacht niemand mehr. 

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Mittwochabend, Bürgerdialog mit dem Kanzler. Scholz muss sich manchmal mit der Hand über das Haupt wischen, was an den vielen und facettenreichen Fragen der ausgelosten Gäste liegen mag oder an den schwitzigen 30 Grad Außentemperatur. Diesmal ist er in Berlin – wie passend. Die Hauptstadt ist zumindest in politischer Hinsicht längst Quell für große Politikverdrossenheit geworden. Das hat der vergangene Wahlsonntag eindrücklich gezeigt. 

Seitdem stellen sich viele Fragen. Wie kann ein Kanzler weiterregieren, dessen Koalitionspartner in Thüringen wie auch in Sachsen nur mit Ach und Krach über zehn Prozent gekommen sind? Alle drei zusammen, wohlgemerkt. Und wie lang sieht seine SPD, auf mickrige einstellige Werte geschrumpft, dabei noch zu – bis sie die Reißleine zieht? 

Die Schonfrist für Scholz könnte bald vorbei sein, das nächste Debakel kurz bevorstehen. Für den Kanzler geht es in diesen Tagen um alles. 

War da was?

Also? Schweigen, erstmal sortieren. Nach dem Desaster ging Scholz auf Tauchstation, ging in die SPD-Gremien, äußerte sich aber vor keiner Kamera zu den Ergebnissen. Als ob er die Niederlage(n) auf Distanz halten könnte, wenn er nur weit genug auf Abstand zu ihnen geht. 

Schließlich ließ er am Montag ein paar Sätze verbreiten, erst über eine Nachrichtenagentur, dann über Instagram: Die Ergebnisse seien „bitter – auch für uns“, sagte Scholz, doch die „düsteren Prognosen“ in Bezug auf die SPD seien nicht eingetreten. Gemeint: das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Beschwichtigungsformeln, die bei den Genossen gar nicht gut ankamen.  

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Beim Bürgerdialog in Berlin wird Scholz nach den Folgen der Wahl gefragt. Als sozialdemokratischer Kanzler erlaube er sich die Bemerkung, dass er den Spitzenkandidaten in Sachsen und Thüringen „noch bessere“ Ergebnisse „gegönnt“ hätte. Da wäre mehr drin gewesen, meint Scholz, sie hätten einen guten Wahlkampf gemacht. Das Wahlergebnis für die AfD nennt er bedrückend, die wachsende Zustimmung für Populismus nicht gut. 

War da was?

Nun ist das „KanzlerGESPRÄCH“, wie die Formatreihe offiziell heißt, nicht für die Exegese der SPD-Ergebnisse gedacht. Doch zeigt Scholz‘ Antwort einmal mehr, dass Selbstkritik nicht seine größte Stärke ist – und vielleicht Teil des Problems.

Die irreguläre Migration, der Ukraine-Krieg und soziale Unsicherheiten hätten die Wahlen bestimmt, sagt Scholz. Nachwahlbefragungen bestätigen das. Scholz nennt das „Sicherheitspaket“, das seine Regierung geschnürt habe, die ersten Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan. Auch seinen, wie er meint, „sehr besonnenen“ Kurs bei der Ukraine-Unterstützung wolle er fortsetzen. Allerdings haben die Befragungen auch gezeigt: In Sachsen und Thüringen wurden auch der Kanzler und seine Regierung abgestraft. Klammer auf: Eigentlich schon bei mehreren Landtagswahlen davor.  

Druck auf Olaf Scholz wächst 

Insofern schwebt eine grundsätzliche Frage über allem: Ist das Bild von Scholz, dem Kanzler, dem die Wähler offenkundig nicht mehr viel zutrauen, schon unrettbar eingerastet? Oder lässt es sich bis zur nächsten Bundestagswahl noch geraderücken? 

Bis dorthin muss man auch kommen. In 13 Monaten kann viel passieren, natürlich auch vieles, das Scholz als zuverlässigen Politprofi, der was vom Regierungshandwerk versteht, reüssieren lassen könnte. Schließlich hat das 2021 schon einmal funktioniert. 

Die Genossen verlieren jedoch allmählich die Geduld, wollen sich in der von Rauflust geprägten Ampel-Koalition „nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen“, wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schon am Wahlabend mopperte. Scholz sei der „Kopf der Regierung“, sagte er, und die Menschen spürbar „unzufrieden“ mit der Regierung. 

Es war ein Wink mit der Dachlatte, dass sich aus Sicht der SPD-Führung dringend etwas ändern muss – inklusive Kanzler, von dem nun mehr Konfrontation statt Moderation erwartet wird. Mehr SPD pur und weniger Rücksicht auf die Koalitionspartner.

Das mag nachvollziehbar sein, viele Genossen sind seit Langem maximal entnervt von der FDP, die nach jeder verlorenen Wahl die reine liberale Lehre noch vehementer zu vertreten scheint. Doch hat ihnen der Konfrontationskurs bisher eher wenig genützt. Warum sollte es bei der SPD anders sein?

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„Ich habe mit mehreren geredet und bin danach frustriert nach Hause gegangen – weil wir aneinander vorbeigeredet haben“, sagt Scholz beim Bürgerdialog – nicht über Politiker der FDP, sondern über Klimakleber. Andere von der eigenen Meinung zu überzeugen sei „mühselig“, so Scholz, aber notwendig. Sonst könne keine gemeinsame Vorstellung für die Lösung von Problemen entstehen. 

Er hätte diesen Satz auch über seine Regierung sagen können, die schon um wachsweiche Kompromisse wochenlang ringen muss. 

Das macht es für Scholz freilich nicht einfacher. Schon in knapp drei Wochen, wenn auch in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt wird, könnte die Schonfrist für ihn vorbei sein. Gelingt es dem Sozialdemokraten Dietmar Woidke nicht, die Staatskanzlei zu verteidigen – seit 1991 eine rote Hochburg –, dürfte der Druck auf den Kanzler massiv steigen. Könnte sich eine Dynamik entwickeln, die sich nicht mehr einfangen lässt: Ist Scholz noch der Richtige? 

Ministerpräsident Woidke geht im Wahlkampf auf Abstand zu Scholz, verzichtet weitestgehend auf seine Unterstützung. Mit Berlin wollen Woidke und die Brandenburger SPD möglichst wenig in Verbindung gebracht werden. Dass die Ampel bis zur Wahl nicht mit Streitigkeiten auffällt, ist jedoch unwahrscheinlich: Kommende Woche kommen die Parlamentarier aus der Sommerpause zurück. Zur Haushaltswoche, purer Konfliktstoff.

Kann das gutgehen?

Kurz vor Schluss, nach rund 90 Minuten, wird Scholz gefragt, was von ihm bleiben soll. Was einmal in den Geschichtsbüchern über ihn stehen könnte. Der Kanzler antwortet: „Leute, die das vor oder nach ihrer Amtszeit wissen, sind Leute, vor denen man sich fürchten sollte.“