Mit einer Mischung aus unermüdlichem Wahlkampf, Grünen-Bashing und Volksnähe hat Sachsens Ministerpräsident Kretschmer erneut gewonnen. Jetzt steht er vor einer schwierigen Entscheidung.

Die Luft ist zum Schneiden, als Michael Kretschmer am Sonntagabend um 18:28 Uhr den Raum A600 im Landtag von Dresden betritt. Rund 200 Menschen drängeln sich im Fraktionssaal der CDU. Mit bangen Mienen haben sie hier die ersten Hochrechnungen erwartet, sind dann in Jubel ausgebrochen. 

Kretschmer hat es geschafft. Die CDU ist auf Platz 1 gelandet, knapp vor der AfD. Der Freistaat ist nicht in die Hände der Rechten gefallen, wie die Umfragen einige Zeit lang zu prognostizieren schienen.

Kretschmer wird Ministerpräsident bleiben. So viel steht an diesem Abend fest. Nur mit wem er weiterregieren wird, nicht.Stimmen zu den Landtagswahlen 20:44

Die Anstrengung der letzten Wahlkampf-Wochen hat Augenringe ins Gesicht des 49-Jährigen gegraben. Doch jetzt auf der Bühne strahlt er vor Erleichterung. „Wir haben allen Grund zum Feiern“, ruft er: „Die Leute hier in Sachsen haben uns vertraut, sie haben uns dieses starke Ergebnis gegeben.“

Geschafft hat Kretschmer das mit einer Methode, die er bereits vor fünf Jahren 2019 anwandte. Mit einem völlig auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf. Und indem er unermüdlich quer durchs Land gereist ist, zu Bürgergesprächen, Sommerfesten, zu Kundgebungen mit Politprominenz aus Berlin und Bayern oder mit den örtlichen Kandidaten. Für nichts war er sich zu schade. Am Samstag hat er noch eine Puppentheatersammlung in der Landeshauptstadt eröffnet. 

Grünen-Bashing und Sicherheit

Auch inhaltlich hat Kretschmer alles gegeben, bis zur Schmerzgrenze. Als gehöre er nicht selbst zum Establishment, schimpfte er bei seinen Auftritten viel über die Ampel und „die in Berlin“. Wohlwissend, dass in diesem Landtagswahlkampf die Bundespolitik ein Reizthema war. Für Sachsen hat er stärkere Grenzkontrollen und mehr Polizisten versprochen. 

Die Kontrolle seiner persönlichen Grenze zum Populismus fand er dabei erkennbar weniger wichtig: Etwa, wenn er gegen den Koalitionspartner pöbelte („Ich will die Grünen loswerden“). Das ist auch in Sachsen nicht die feine englische Art, aber es kommt bei vielen Anhängern an, insbesondere im ländlichen Raum.

Am Sonntagabend ist die Freude noch ungetrübt. Aber ab Montag dürften erste dunkle Wolken am Himmel über der Staatskanzlei in Dresden aufziehen. Denn wie Kretschmer weiter regieren will, ist noch offen. Er hat die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Zerrüttetete Kenia-Koalition

Das Problem: Eine Fortsetzung der so genannten Kenia-Koalition aus CDU, Grünen und SPD wird nicht klappen. Das sächsische Bündnis war in den vergangenen Monaten ohnehin vor allem durch Streit aufgefallen. Jetzt fehlt eine Mehrheit, weil die Linke es ins Parlament schafft, obwohl sie unter der 5-Prozent-Hürde landet. Sie gewinnt zwei Wahlkreise – in Sachsen die Garantie, ins Parlament einzuziehen.

Blitzanalyse Thüringen Sachsen 1940

Bleibt ein Bündnis mit Sahra Wagenknecht, ergänzt durch SPD oder Grüne. Große Teile der sächsischen CDU-Basis und Fraktion wollen kein Bündnis mit den Grünen mehr. Und Wagenknecht ist ebenfalls eine Zumutung. Die erst im Januar gegründete Partei ist in Sachsen, wie auch in Thüringen, aus dem Stand auf ein zweistelliges Ergebnis gekommen.

Zwar steht an der Spitze des BSW in Sachsen mit Sabine Zimmermann eine politisch erfahrene frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, die sich als Gewerkschafterin und Arbeitsmarktexpertin einen soliden Ruf erarbeitet hat. Aber die Verhandlungen würden von Sahra Wagenknecht geführt, das hat sie bereits klargemacht. 

Für die Parteigründerin ist eine Regierungsbeteiligung auf Landesebene, die mit Kompromissen verbunden wäre, eine ambivalente Angelegenheit. Schließlich will Wagenknecht das BSW erfolgreich im Herbst in den Bundestag führen. Das könnte leichter gelingen, wenn das BSW als Oppositionskraft maximale Projektionsfläche bleiben kann.

Inhaltlich gibt es Schnittmengen

Inhaltlich wären die Hürden vermutlich nicht so groß. Kretschmer teilt mit Wagenknecht die Skepsis gegenüber Waffenlieferungen an die Ukraine. Vor der Wahl hatte die BSW-Chefin bereits verkündet, dass eine schriftlich im Koalitionsvertrag festgehaltene Ablehnung solcher Waffenlieferungen für sie Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung wäre. 

Bei der zweiten von Wagenknecht formulierten „roten Linie“, einem Verbot der Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden, ist der sächsische Ministerpräsident zwar anderer Meinung. Aber auch er hat schon gefordert, dass man darüber in einer Volksabstimmung entscheiden sollte. Ohnehin könnte eine sächsische Landesregierung nur eine Willensbekundung abgeben. Entschieden werden beide Fragen auf Bundesebene.

Es gibt noch eine dritte Option in Sachsen

Heikler wären für Kretschmer zwei andere Aspekte einer Koalition mit dem BSW. Seine Bundespartei würde dies für die schlechtere Variante als Kenia halten, weil Grüne und SPD berechenbarer und damit leichtere Gegner zu sein scheinen, wenn es darum geht, die Macht im Bund zurückzuerobern. 

Auch wenn die Haltung der Bundespartei für Kretschmer nicht entscheidend ist, so hat er doch in der eigenen Landespartei genügend Leute, die sich beim Gedanken an ein Bündnis mit der Truppe der früheren Kommunistin Wagenknecht sehr schwer tun. Sie sehen darin auch einen Verrat am Erbe von Helmut Kohl.

Kommentar Medick 2040

Als Kretschmer am Wahlabend von der ARD-Moderatorin im Landtag darauf angesprochen wird, reagiert er leicht gereizt: „Die schlechteste Variante wäre, überhaupt keine Regierung zu haben.“ Die CDU werde jetzt „ergebnisoffene Gespräche“ führen und dann entscheiden.

Nicht wahrscheinlich, aber auch nicht gänzlich undenkbar wäre eine dritte Variante: eine Koalition nur mit der SPD. Allerdings hätte diese keine Mehrheit und wäre folglich beim Regieren auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen. 

„Das wird alles nicht einfach“, sagt Kretschmer am Sonntagabend im Fraktionssaal der CDU. Der gebürtige Görlitzer kann darauf vertrauen, dass Partei und Fraktion am Ende seine Entscheidung mittragen. Dafür hat ihn der erneute Wahlsieg mächtig genug gemacht. 

Klar ist aber auch: Egal, welche Option er wählt, er wird eine sehr überzeugende Erzählung dafür brauchen, wenn er nicht nur regieren, sondern auch erfolgreich weiterregieren will.