In kaum einer anderen Band flogen dermaßen die Fetzen wie bei Oasis. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Split nun die große Reunion. stern-Autor Ingo Scheel wird emotional.

Meistens passiert es so gegen Mitternacht, wenn ich von einer Bandprobe nach Hause komme. Ich klapp‘ den Rechner nochmal auf, um vorm Einschlafen ein paar Lieblingsvideos zu gucken. Die Musik im Kopf leiser drehen, indem man mehr Musik hört, so widersprüchlich wie effektiv. Grundsätzlich vorn dabei: „Falling Down“ von Oasis, zuweilen ist es sogar der einzige Song, der dann läuft, der jedoch immer nochmal. Diverse Liveaufnahmen kursieren im Netz. Keine toppt die Version vom Oktober 2008 aus dem Wembley-Stadion. Wie die Musiker sich im Halbdunkel der Bühne positionieren, Noels Gitarre leichtes Feedback verströmt, Schlagzeuger Chris Sharrock diese epische Drum-Figur anstimmt, Noel mit dem Lead-Riff kontert, die ersten Zeilen singt, bevor Andy Bell und Gem Archer dazukommen, beide in ihren zeitlos coolen Blousons, ein Kaugummi in der Backe, Bass und Gitarre mit ihnen verwachsen wie einst der Tennisschläger mit Boris Becker, der Song schließlich episch riesig wird wie ein Ozean zwischen den Wellen – das ist dermaßen umwerfend, auf dem Grat zwischen Arroganz und Coolness, in genau dieser Band würde man nur allzu gern spielen. Oder, wenn das schon nicht geht, dann sie zumindest noch einmal live sehen. Dass Liam bei „Falling Down“ keine Rolle spielt? Sei es drum, hier geht es ums große Ganze, do you know what I mean?

In dem Moment, da ich diese Zeilen schreibe, funkt mein Kieler Kumpel Matze ins Facebook-Chatfenster. „Fährst du zu Oasis?“, fragt er. Allein dieser Satz, an diesem Tag, völlig ernstgemeint und vor absolut realistischem Hintergrund, ist ein kleines Wunder. Oasis sind zurück. Reunion, Baby, jetzt aber wirklich. Nix von wegen maybe, sondern definitely, aber sowas von. Gestern mit einem verheißungsvoll reduzierten Reel angekündigt, „27. August 2024“ stand da, und „8 am“, heute morgen die Bestätigung dessen, was mehr als nur zu erahnen war. Noel und Liam haben sich vertragen, oder zumindest zusammengerauft. 14 Jahre nach ihrer Trennung, unmittelbar vor einer Show in Paris, heißt es nun also: Oasis are back.

Das Thema Oasis war für die Gallagher-Brüder lange tabu

Gerüchte gab es immer mal wieder über die Jahre. Mal schien es absolut unmöglich, dann wieder fühlte es sich an, als könnte es jeden Moment passieren. Die Reunion jedoch fand nicht statt, man fiel wieder zurück in seine ganz persönlichen Erinnerungen. Bei meinem Kumpel Svenner zum ersten Mal „Supersonic“ hören und dann gleich nochmal und nochmal und nochmal. Wie „(What’s the Story) Morning Glory?“, das zweite Album, unmittelbar vor einem Trip nach Sri Lanka erscheint, ich kurz vor Abflug das Doppelalbum noch auf eine TDK-Cassette ziehe und es am Strand von Koggala buchstäblich in Dauerschleife höre. Das Konzert in der Großen Freiheit, von dem ich zu viele Biere und ein schmuckes T-Shirt erinnere, Monate zuvor das Oasis-Konzert auf dem Roskilde-Festival, das ich in weiten Teilen verpenne. stern-Autor Ingo Scheel und Noel Gallagher von Oasis
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Viele Jahre später ein Treffen mit Noel Gallagher in Berlin, backstage vor seinem Konzert mit den High Flying Birds. Auf dem Gang hängt eine Flagge von Manchester City, Noel ist guter Dinge, ebenso wie sein Bruder Liam im vorletzten Jahr, mit dem ich fürs Visions-Magazin über Fußball und die Pandemie und ein kleines Bisschen auch über Oasis spreche. „Don’t mention the war“, hieß es früher vor diesen Treffen, das Thema Oasis sei tabu. Irgendwann schien es egal zu sein. Liam hatte Oasis-Klassiker in den Setlists seiner Solokonzerte, Noel sowieso, warum sollte man also nicht drüber sprechen?

See you in Wembley

Ab heute hat sich der Wind ohnehin gedreht. „Fährst du zu Oasis?“ – das ist keine Frage aus einem Land vor unserer Zeit, das ist so aktuell wie Abba Voyage, Slayer und, ähm, die Sex Pistols. Ein fast schon historisches Timing, nicht nur, weil Pistols-Bassist Glen Matlock heute Geburtstag hat. Gaben die Gallaghers doch einst diese Maxime aus: Oasis sollten klingen wie ein Mix aus den Beatles und eben jenen Sex Pistols. Gerade erst haben sich drei der vier Originalmitglieder der berühmt-berüchtigten Punk-Formation wieder zusammengetan, um eine Handvoll Benefizgigs für die Bush Hall zu spielen, eine von Schließung bedrohte, legendäre Konzertvenue im Londoner Stadtteil Shepherds Bush. Oasis geht auf Tour 09.13

Und nun haben sich die Gallagher-Brüder wieder zusammengerauft. Zu gern würde ich meiner Oasis-Bilanz – endlich – die längst überfällige dritte Show hinzufügen. Ergo heißt es: Den Timer stellen für Samstagvormittag, 10 Uhr hiesige Zeit, und dann: Daumen drücken. Hat da jemand Sell-out oder Abzocke gerufen? Klar, kann man so sehen, ich für meinen Teil habe ich mich für  enthusiastische Vorfreude entschieden. Nicht maybe, sondern definitely. Um den Kopf wieder ein wenig frei zu bekommen, gehe ich jetzt runter in unserem Drum-Room und spiel‘ einen Song oder zwei. Ich weiß auch schon, mit welchem ich anfange. See you in Wembley, Noel und Liam. Und Chris Sharrock.