Thüringen gilt als schwer regierbar. Mit der Wagenknecht-Partei gibt es erstmals seit Jahren eine Chance auf eine Mehrheitsregierung. Doch das BSW stellt noch vor der Wahl Bedingungen.
Die Not ist groß und die Auswahl an Partnern begrenzt: In Thüringen wird seit Wochen über eine mögliche Koalition mit der Wagenknecht-Partei BSW diskutiert. Was geht mit wem und geht am Ende überhaupt irgendetwas? Eine ungewöhnliche Liaison aus CDU, BSW und SPD scheint nach Umfragen derzeit Thüringens einzige Hoffnung auf eine Mehrheitsregierung zu sein. Nach fast fünf Jahren Minderheitsregierung ist politische Stabilität in dem Bundesland zum Wahlkampfthema geworden. Schon knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl am 1. September sondieren die möglichen Partner indirekt, was mit wem geht – und pendeln im Wahlkampf zwischen Angriff und Zuneigung, Gelassenheit und Panik.
Das Problem ist: Rechnerisch ist nach Umfragen eine Mehrheit ohne Einbindung von AfD oder BSW in Thüringen nicht möglich. Da mit der vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften AfD niemand koalieren will, richten sich nun alle Blicke auf die Wagenknecht-Partei.
BSW schlägt erste Pflöcke ein
Das Pendeln zwischen Attackieren und Umwerben war vergangene Woche gut in einer TV-Runde zu beobachten, an der auch BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf teilnahm. „Ich kenne Frau Wolf schon lange, und da waren auch pragmatische Dinge heute dabei“, sagte ein sichtlich aufgebrachter Georg Maier in der Runde, Spitzenkandidat der Thüringer SPD. Aber wenn das BSW meine, Bedingungen zu stellen, die man in Thüringen gar nicht regeln könne, mache man „doch was kaputt für die Menschen“. „Lasst uns doch das, was geht, zusammen ausloten, mit den Demokraten!“
Wagenknecht hatte ihre Position zu Krieg und Frieden zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der Partei gemacht. Maier sprach von Erpressung, und CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt verbittet sich seitdem Einmischungen von außen. Das Thema gilt als mögliche Sollbruchstelle, wenn es zu Koalitionsverhandlungen der drei Parteien kommen sollte. Trotzdem lassen die Bundesparteien von CDU und SPD ihren Landesverbänden in Sachsen und Thüringen freie Hand. Zuletzt bekräftigte SPD-Chefin Saskia Esken, die Landesverbände brauchten den Rat der Bundesebene in der Frage nicht.
Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sieht in den vom BSW gestellten Bedingungen eher Signale der Partei an die eigene Wählerschaft und an noch Unentschlossene. „Ich glaube, das sind Bedingungen, die den Wählerinnen und Wählern noch einmal versichern sollen, dass die Partei hier fest ist in ihren Grundsätzen“, sagt er. Bei Koalitionsverhandlungen sei es auf Landesebene sicher möglich, Lösungen zu finden. „Es ist ein Pflock, den man einrammt, aber es ist keine Brandmauer.“
Abstimmungen mit der AfD
Gerade für die CDU könnte ein solches Bündnis ein waghalsiges Konstrukt sein – schließlich war Wagenknecht einst die Ikone der Kommunistischen Plattform der Linkspartei, in ihren frühen Jahren sogar mit teils stalinistischen Ansichten. Und sie war SED-Mitglied. Das betont Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gern. Für ihn ist es ein Widerspruch, dass die CDU eine Koalition mit seiner Linken ausschließt, aber mit der Partei von Wagenknecht auf Landesebene nicht. Auch im Bund dürfte ein Bündnis mit dem BSW nicht bei jedem Christdemokraten Jubel auslösen.
Zuletzt sorgten Aussagen von BSW-Vertretern zum Umgang mit der AfD für Aufregung. In der TV-Runde hatte Wolf nicht ausgeschlossen, für AfD-Gesetzesvorschläge zu stimmen, wenn diese vernünftig seien. Das öffne nach Einschätzung des Experten Brodocz aber nicht die Tür für eine Zusammenarbeit zwischen BSW und AfD. „Da hat das BSW die Grenzen deutlich markiert, dass das damit nicht gemeint ist.“ Zudem beinhalteten Koalitionsverträge üblicherweise Regeln, wonach nicht mit anderen Parteien gestimmt werde.
Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei
„Interessanter“ seien die Aussagen für den Fall einer formlosen Tolerierung einer Minderheitsregierung, sagt Brodocz. Das Szenario wäre dann dies: Setzt etwa CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt auf eine Minderheitsregierung unter seiner Führung und lässt das BSW außen vor, könnte die Wagenknecht-Partei im Parlament zusammen mit der AfD Gesetze beschließen – an der Regierung vorbei. Das gleiche Prinzip musste Ramelows rot-rot-grüne Koalition in den letzten Jahren erleben – als die CDU mehrfach mit AfD-Stimmen eigene Gesetze durch den Landtag boxte und sogar eine Steuer senkte. Laut Brodocz könnten die BSW-Aussagen zur AfD also ein Signal an die CDU sein, dass es „schon auf eine verbindliche Form der Zusammenarbeit dringt“. Die Botschaft wäre: Regiert lieber mit uns, sonst überstimmen wir euch im Parlament.
In Umfragen liegt die CDU mit Werten zwischen 21 und 23 Prozent auf Platz zwei hinter der AfD. Das BSW kommt auf 19 bis 21 Prozent. Brodocz würde nicht ausschließen, dass Katja Wolf am Ende vor Mario Voigt ins Ziel einläuft. Ein Abstand von zwei Prozentpunkten liege innerhalb der Fehlertoleranz solcher Umfragen. „Das heißt: In der Realität könnte es bereits jetzt so sein.“