Es hagelt seltener als es regnet. Aber wenn die Körner vom Himmel prasseln, dann richtig, zeigt eine Studie.

Ein Donnerschlag, etwas Hagel, ganz viel Regen und das EM-Achtelfinalspiel Deutschland gegen Dänemark am 29. Juni war beendet – zumindest vorerst. Nach einer knappen halben Stunde ging die Fußballpartie weiter. Deutschland gewann, doch im Gedächtnis bleiben dürfte das Spiel besonders wegen der unwetterbedingten Zwangspause. Davon könnte es künftig mehr geben, denn starke Unwetter nehmen zu, zeigt eine Untersuchung des Europäischen Unwetterforschungszentrums in Wien im Fachjournal American Meteorological Society.

Den Wissenschaftlern ging es nicht nur um extreme Stürme im Allgemeinen, sondern um Gewitter und Hagel im Besonderen. Denn verglichen mit allen möglichen Extremereignissen verursachen die silberfarbenen Eiskörnchen den größten wirtschaftlichen Schaden. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungsgesellschaft (GDV) meldete etwa für das Jahr 2023 einen Schaden von 5,7 Milliarden Euro durch extremes Wetter. Am teuersten waren dabei die Hagelschäden an Fahrzeugen.PAID Warum mehr Gewitter 12.44

Das Forscherteam in Wien hat nicht nur ein Modell entwickelt, Hagelgewitter genauer vorhersagen zu können sondern auch noch die Entwicklung solcher Extremwetterereignisse rekonstruiert. Daten dazu gibt es seit den 1950er Jahren, allerdings sind sie für den gesamteuropäischen Raum nicht flächendeckend verfügbar, sondern konzentrieren sich auf Mitteleuropa. Für ihre Berechnungen bezogen die Forscher online gemeldete Gewitterberichte von Bürgern sowie bisherige atmosphärische Bedingungen für Unwetter ein und berechneten die Hagelwahrscheinlichkeit für Europa mithilfe einer Analysemethode des europäischen Klimawandeldienstes Copernicus

Norditalien besonders von Hagel betroffen

Demnach ist das Risiko für Hagelgewitter zwischen 1950 und 2021 deutlich gestiegen. Gewitter finden vor allem in gebirgigen Regionen häufiger satt – in den Alpen, dem Kaukasus, den Karpaten und Pyrenäen. Am häufigsten und längsten blitzt es am südlichen Alpenrand in Norditalien.

Ende Mai schaufelten die Bewohner in Turin massenweise Hagelkörner von den Straßen
© Matteo Secci / LaPresse via ZUMA Press

Dort hagelt es laut der Analyse auch häufiger als anderswo auf dem Kontinent. Die Wahrscheinlichkeit für Eiskörner mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern und mehr ist seit 1950 um 300 Prozent gestiegen. Auch im südöstlichen Österreich und dem Süden Polens wächst das Hagelrisiko. Für Deutschland, die Benelux-Staaten, die Schweiz, den nordwestlichen Balkan, Frankreich oder Spanien verzeichnen die Forscher nur einen marginalen Anstieg. Die Studienautoren räumen allerdings ein, dass dieses Wetterereignis in Europa nicht flächendeckend überwacht wird.

Hagelkornrekorde in den USA und in Italien

In ihrem Modell gingen die Forscher zudem von den physikalischen Gegebenheiten für Hagel aus, die sich grundsätzlich nicht unterscheiden. Hagel ist meist eine Begleiterscheinung von Gewittern. Kondensiert die feuchte Luft, bilden sich in der unteren Atmosphäre kleine Eiskörnchen, die weiter wachsen können. Ab einem gewissen Gewicht fallen sie zur Erde. In den meisten Fällen sind die Körnchen so klein, dass sie auf dem Weg zur Erde schmelzen und dort nur noch als Regentropfen ankommen. Die physikalischen Bedingungen für Hagelkörner sind weltweit gleich. Allerdings hängt der Niederschlag auch von den geographischen Gegebenheiten vor Ort ab, schreiben die Wissenschaftler.

Mai 2024: Ein Kind hält ein fast 2 Zentimeter großes Hagelkorn in der Hand
© Rolf Vennenbernd

Warum es gerade im Süden Europas häufiger und stärker hagelt, liegt demnach unter anderem ab den wärmeren Temperaturen des Mittelmeeres. Durch den Klimawandel verdunstet zusätzlich Wasser und sammelt sich als Feuchtigkeit in der Atmosphäre.

Das größte je gemessene Hagelkorn wurde übrigens 2010 im US-Bundesstaat South Dakota gefunden. Durchmesser: 20,3 Zentimeter. Auch in Texas gab es zuletzt wieder rekordverdächtig große Eiskörner. In Europa war das bislang größte Hagelkorn ebenfalls mindestens so groß wie eine Bowlingkugel, wurde in Norditalien entdeckt, schrappte aber mit ungefähr 19 Zentimetern knapp am Weltrekord vorbei.

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Versicherer: Anpassung an den Klimawandel dringend nötig

Laut Studie könnten die Hagelkörner künftig weiter wachsen; schon jetzt sind sie in bestimmten Regionen meist mindestens zwei, manchmal sogar mehr als fünf Zentimeter groß. Dass extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel befeuert werden, ist politisch und wissenschaftlich längst Konsens. Angesichts dessen und der hohen Kosten, die durch Hagelkörner entstehen können, forderte der Geschäftsführer des GDV zuletzt, sich darauf einzustellen. „Wir benötigen eine Verankerung der Anpassung an den Klimawandel im Bauordnungsrecht, weniger Flächenversiegelungen und Bauverbote in Überschwemmungsgebieten.“Klimawandel in Deutschland: Betroffenheit und Anpassung 11:12

Dem Verband zufolge sind im Bundesdurchschnitt 54 Prozent aller Wohnhäuser gegen alle Naturgefahren versichert – nicht nur gegen einzelne Wetterphänomene wie Sturm und Hagel. Den höchsten finanziellen Schaden in Deutschland registrierte der Verband mit knapp zwei Milliarden Euro im vergangenen Jahr im Bayern – genau dort, wo zuletzt heftige Unwetter und Überschwemmungen wüteten – und auch der ein oder andere Hagelschauer vom Himmel prasselte.