Jahrzehntelang werden ein Busfahrer und seine Familie in Großbritannien von einem Unbekannten verfolgt. Anhaltspunkte gibt es wenige – bis die Post in den Streik tritt. 

Alles begann auf einer Busfahrt vor 60 Jahren: Als  Kenneth Furnival sein Ticket beim Busfahrer zieht, denkt er, der der Busfahrer, der 50er-Jahre-Musikstar Johnnie Ray ist. Der Beginn eines fatalen Irrtums und einer jahrzehntelangen Obsession, unter der vor allem eine Familie leidet: Busfahrer John Ray, der dem Musiker nicht nur namentlich sondern auch äußerlich ähnelt, seine Frau Jean und die beiden gemeinsamen Söhne.

Schon kurz nach der Busfahrt in der Grafschaft Chesterhshire beginnt die Tortur für die Familie. Ray erhält erste Briefe, in den ihn Furnival mit Johnnie Ray anspricht, ihm Komplimente für seine blonden Haare und den leuchtend blauen Augen macht und nach einem Autogramm fragt. Ray fängt an, die Briefe zu verbrennen, doch Furnival gibt nicht auf, und nimmt heimlich Fotos von Ray und seiner Familie auf. In einem Brief schreibt er seinem vermeidlichen Idol, dass er eifersüchtig gewesen sei, als er Ray mit dessen Frau Jean beim Küssen in einem Restaurant gesehen habe. In der Folge schickt er dem Busfahrer CDs und später auch DVDs.

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Für die Familie Ray entwickelt sich der Stalker immer mehr zur Belastung. Sie wissen nicht, wie der Mann aussieht. Auch die Polizei will nicht ermitteln. In der späteren Gerichtsverhandlung erzählen sie, dass sie mehrfach bei der Polizei versucht hätten, den Fall zu melden und Briefe überreicht hätten. Doch die Beamten unternahmen nichts, weil die Briefe harmlos gewesen seien, berichtet der „Telegraph„. Rechtsanwältin Danielle Reece-Greenhalgh kritisierte gegenüber der britischen Zeitung, dass der Fall von der Polizei nicht ordnungsgemäß untersucht worden sei. „Eine Belästigung, die über 50 Jahre andauert, ist fast unbekannt, und die Untätigkeit der Polizei spiegelt vielleicht wider, wie sich Stalking-Verhaltensweisen manifestieren und wer ‚typische‘ Täter und Opfer von Belästigung und Stalking sind.“

Stalker verfolgt Familie auch nach Namensänderung

Die Familie engagiert 1979 einen Anwalt, um gegen Furnival vorzugehen, der fortan wegen Missachtung eines Gerichtsbeschlusses ins Gefängnis muss. Doch von seiner Mission lässt sich der Stalker nicht abbringen, verfolgt die Familie nach seiner Freilassung weiter. „Es war furchtbar und ich befand mich in ständigen Angstzuständen“, berichtete Jean Ray nun vor Gericht. 

Die Familie Ray zieht viele Register, um ihrem Peiniger zu entkommen. Sie ändern ihren Namen, ziehen in ein anderes Haus – doch Furnival findet die Familie immer wieder, schickt weitere Briefe und CDs. Aus Angst, dass er auch die beiden dem Vater sehr ähnlich sehenden Söhne verfolgen könnte, dürfen diese nie im Garten spielen. „Ich habe diesen Mann nie gesehen und doch wusste er über alles Bescheid, was wir als Familie gemacht haben“, so Jean Ray. Sie hätte einen Tag neben ihm verbringen können ohne zu wissen, wer er ist. „Meine Kinder habe ich nie lange aus den Augen gelassen. Sie durften nie in den Park gehen, außer ich war dabei. Sie hatten praktisch keine Freiheiten, als sie aufgewachsen sind. Es wurde unser Lebensstil.“

Auch der Tod des echten Musikers Johnnie Ray 1990 bringt den Stalker nicht davon ab, die Familie weiter zu verfolgen. Erst 2023 fand das Leid der Familie ein Ende, und das eher durch Zufall. Weil die Post streikte, brachte Furnival seine „Fanpost“ persönlich zum Haus der Rays, wurde dort von Überwachungskameras aufgezeichnet. 

Zuvor hatte er die Familie mit einer Weihnachtskarte in Angst und Schrecken versetzt. „2023 werde ich 100 Pfund verbrennen, 2024 werden es 200 Pfund sein, und 2025 werde ich 300 Pfund verbrennen und in euren Briefkasten stecken, bis es 1000 Pfund sind. Geld hat für mich keine Bedeutung, solange ich keine Bilder von dir kaufen kann“, stand in dem Brief. Unterschrieben war er mit: „Kenneth Furnival, der Mann, der zu viel wusste.“

Erst 2023 wird die Polizei aktiv

Die Polizei fürchtete einen Brandanschlag und durchsuchte die Wohnung des Stalkers. Dabei fand sie ein vor 35 Jahren aufgenommenes und gerahmtes Bild des Busfahrers im Schlafzimmer hängend. Bei seiner Vernehmung schwärmte Furnival von seinem musikalischen Idol. Dieses war zu Beginn der 1950er eine große Nummer in den USA. Mit seiner Musik galt Ray als Vorläufer des Rock’n’Roll. Doch als dieser und ein gewisser Elvis Presley immer größer wurden, versank Ray in der Versenkung. 

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Vor Gericht erklärte Furnivals Anwältin Sarah Badrawy, dass ihr Mandant an einer geistigen und neurologischen Entwicklungsstörung leide und sich leicht manipulieren lasse. 

Doch Richter Michael Leeming hatte mit dem Angeklagten wenig Gnade. „Diese Straftaten erforderten ein hohes Maß an Planung und Beharrlichkeit“, erklärte Leeming. Furnival sei über 50 Jahre von der Familie Ray besessen gewesen und es sich demnach nicht um ein „isoliertes Verhalten“ handeln könne.

Für die nächsten drei Jahre aber wird die Familie Ray Ruhe vor ihrem Stalker haben, Furnival wird diese in einem Gefängnis verbringen. Und auch danach sollte sich der Stalker von seinen Opfern fernhalten. Das Gericht erließ eine unbefristete einstweilige Verfügung, die ihm jegliche Annäherung und Kontakt verbietet.