46 Sekunden. Solange dauerte der letzte Boxkampf von Imane Khelif. Dafür steht die Boxerin nun in der Kritik. Wir verraten, was wirklich dahintersteckt. 

Die algerische Boxerin Imane Khelif hat ihr Achtelfinale bei den Sommerspielen nach nur 46 Sekunden gewonnen. Ihre italienische Gegnerin Angela Carini klagte nach wenigen Schlägen über Schmerzen in der Nase und gab auf. Den im Boxen üblichen Handschlag gab es nach dem Duell nicht. 

„Für mich ist das keine Niederlage“, sagte die Italienerin später. „Ich bin eine reife Frau. Der Ring ist mein Leben. Ich habe immer sehr instinktiv gehandelt. Und wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht richtig ist, heißt das nicht, dass ich aufgebe. Es geht darum, die Reife zu haben, aufzuhören. Es geht darum, die Reife zu haben, zu sagen: ‚Okay, das reicht‘.“

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Der Vorfall mündete in einer großen Debatte um die Teilnahme der algerischen Boxerin an den Olympischen Spielen. Worum geht es dabei genau? Wer ist die umstrittene Boxerin? Und was ist dran an den Gerüchten, dass sie Transgender sei? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Fall im Überblick. 

Woher kommt die Kritik an der Boxerin?

Die Teilnahme von Imane Khelif an den Olympischen Spielen sorgt vor allem deshalb für Kritik, weil sie erst im vergangenen Jahr nachträglich von der Weltmeisterschaft in Neu-Delhi disqualifiziert wurde. Der Grund: Menschen mit XY-Chromosom dürften aufgrund der körperlichen Vorteile nicht bei den Frauen antreten. Außerdem wurden damals zu hohe Werte des männlichen Sexualhormons Testosteron bei ihr festgestellt. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) beruft sich allerdings auf ein anderes Regelwerk und hat die Boxerin für die Frauen zugelassen und die Entscheidung bei der WM als Willkür kritisiert. 

Grund genug für zahlreiche Kritiker, den Sieg der Algerierin infrage zu stellen. Der Vorwurf, den unter anderem Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni äußerten: Hier schlägt ein Mann auf eine Frau ein. „Es ist natürlich grotesk, zu behaupten, ein als Mann geborener Mensch könne durch Hormone und Operationen einen Körper wie eine Frau haben. Was auch mit diesem tragischen Boxkampf bewiesen wurde“, sagte Feministin Alice Schwarzer im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

IOC-Sprecher Mark Adams verteidigte die Entscheidung wie folgt: „Sie sind in Frauenwettbewerben angetreten, sie haben über die Jahre gegen Frauen gewonnen und sie haben gegen Frauen verloren.“ Jede Teilnehmerin erfülle die Zulassungsvoraussetzungen sowie die medizinischen Grundlagen. 

Wer ist die Boxerin Imane Khelif?

Imane Khelif ist 25 Jahre alt und als Frau in Algerien aufgewachsen. Inspiriert von den Olympischen Spielen im Jahr 2016 hat sie sich im Alter von 17 Jahren für eine Karriere im Boxen entschieden. Seitdem hat sie bereits an zahlreichen Wettbewerben teilgenommen und wird von ihrem Heimatland in ihrer Sportkarriere unterstützt. 

Zur Kritik an der Sportlerin äußerte sich das algerische Olympische Komitee bereits: „Diese auf Lügen basierenden Diffamierungsversuche sind völlig unfair, insbesondere in einem entscheidenden Moment, in dem sie sich auf die Olympischen Spiele, den Höhepunkt ihrer Karriere, vorbereitet.“ In der Stellungnahme hieß es weiter: „Wir stehen alle hinter dir, Imane. Die ganze Nation steht hinter dir und ist stolz auf deine Leistungen.“ Ihr bisher größter Erfolg war eine Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft im Jahr 2022. 

Was ist dran an den Transgerüchten?

Imane Khelif ist nicht transsexuell. Sie ist als Mädchen aufgewachsen und sozialisiert worden und Zeit ihres Lebens in Frauenwettbewerben angetreten. Die Tatsache, dass sie XY-Chromosomen und erhöhte Testosteronwerte hat, hat eine andere Ursache: Intersexualität. Das bedeutet, dass ein Mensch Merkmale beider Geschlechter hat, auch wenn eines von beiden im Zweifel überwiegt. Khelif ist also eine Frau mit männlichen Geschlechtsmerkmalen. Eine Transition wäre übrigens allein rechtlich schwierig für die Sportlerin. Denn nach algerischem Recht ist das nicht möglich. In dem Land wird Transsexualität nicht respektiert. 

Gibt es ähnliche Fälle bei Olympia?

Die algerische Boxerin ist nicht die einzige Teilnehmerin, die durch genetische Besonderheiten in diesem Jahr für Kritik bei den Olympischen Spielen sorgt. Auch die taiwanesische Boxerin Lin Yu-Ting wurde bei der WM 2023 in Neu Delhi disqualifiziert, tritt nun aber bei Olympia an. Sie boxt im Federgewicht gegen die Usbekin Sitori Turdibekowa. Auch bei Sambias Fußball-Kapitänin Barbra Banda wurde bei einer Überprüfung im Jahr 2022 ein zu hoher Testosteronwert festgestellt, bei den Olympischen Spielen steht sie mit ihrem Team nun aber in den Startlöchern. 

Olympia Boxerin 17:26

Die Toleranz gegenüber genetischen Besonderheiten hat bei Olympia Geschichte. Weitere Beispiele findet man etwa bei Südafrikas 800-m-Läuferin Caster Semenya. Sie hat nach eigenen Angaben keine Gebärmutter und keine Eileiter und entsprechend hohe Testosteronwerte, die sie jahrelang medikamentös einstellte, um am Ende zwei mal Weltmeisterin und drei mal Olympiasiegerin zu werden. Erik Schinegger wurde im Jahr 1996 als Erika Weltmeisterin in der alpinen Abfahrt, entschied sich aber zur Geschlechtsumwandlung, nachdem bei ihm das XY-Chromosom festgestellt wurde. 

Wie geht es jetzt weiter?

Am Samstag trifft Khelif im Viertelfinale auf die Ungarin Anna Luca Hamori. Die hat sich bereits zu dem bevorstehenden Kampf geäußert – und zeigt sich diplomatisch: „Ich habe keine Angst. Wenn sie oder er ein Mann ist, wird mein Sieg nur noch größer sein“, sagte die Ungarin.