Frances Glessner Lee setzte ihr Vermögen ein, um die Kriminalistik zu verändern. Mit Mitte 50 schuf sie den ersten Lehrgang für Forensik in den USA. Berühmt wurde sie durch ihre makabren Puppenhäuser, die reale Tatorte rekonstruierten.
Die Untersuchung von Tatorten (CSI – Crime Scene Investigation) wurde von Erfindungen wie der Fotokamera, der Analyse von Fingerabdrücken und wissenschaftlichen Methoden wie den DNA-Untersuchungen vorangebracht. Eine wichtige Rolle spielte auch die exzentrische Millionärin und Hobby-Kommissarin Frances Glessner Lee mit ihren blutigen Puppenhäusern. An der „Harvard Medical School“ rekonstruierte sie die Tatorte von ungelösten Fällen in kleinen Dioramen. Dioramen als Möglichkeit einer lebendigen Rekonstruktion der Vergangenheit waren seit dem 19. Jahrhundert populär, doch meist dienten sie dazu historische Szenen wie das Forum Romanum in Museen zu veranschaulichen.FS Lee Nutshell
Faszination des Morbiden
Lee nannte ihre Modelle „Nutshell Models of Unexplained Death“. Sie verströmen noch heute eine morbide Faszination. Die Reduktion der Größe auf die Dimension eines Puppenhauses, die mörderische Szenerie und bei einigen das Wissen, dass der Fall sich wirklich zugetragen hat und der Mörder entwischt war – solche Momente laden die kleinen Modelle emotional auf. Und auch die Vorstellung befremdet, dass eine freundliche und rundliche Dame der Gesellschaft ganze Wochen damit zubrachte, die Morde möglichst realistisch aussehen zu lassen. Die Puppenstuben sind weit mehr als ein Gruselkabinett in klein. Lee war eine Pionierin der Forensik. Zeitweise galt sie als ausführendes Organ, als exzentrische Puppen-Oma. Doch Lee war der treibende Kopf hinter dem Projekt, das sie komplett finanzierte. Sie selbst hätte wohl gern Medizin studiert, wurde aber von ihren Eltern mit 19 Jahren verheiratet. Ihrem Vater gehörten Teile von International Harvester. Nach dem Tod ihres Bruders und ihrer Eltern erbte sie – inzwischen geschieden – das Vermögen. Damals war sie schon eine fanatische Hobbykriminologin, sie sammelte die Fachliteratur zunächst in einer privaten Bibliothek. WISSEN Vera GDoch als sie über das Familienvermögen verfügte, entschied sie sich, ihrem Leben mit Mitte 50 eine neue Wendung zu geben und 1931 den ersten Forensik-Studiengang in den USA an der Harvard University aufzubauen und zu finanzieren. Eine Hinwendung zu gemeinnützigen Tätigkeiten war für eine Frau ihres Standes und Alters nicht ungewöhnlich. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Morden für eine Charity Lady schon eher.
Dame der Gesellschaft
Als einzige Frau unter 40 Männern leitete sie die Seminare am Institut. Dabei blieb sie immer eine Dame der Gesellschaft. Sie gab Bankette für die teilnehmenden Detektive und Gerichtsmediziner, beaufsichtigte persönlich aufwendige Menüs, Blumenarrangements und Tischdekorationen.Lee beim Bau ihrer Dioramen.
© Wkipedia
Wirklich berühmt wurde sie durch die Puppenstuben, die sie in den 1930er und 40er Jahren anfertigte. Lee war überzeugt, dass der Tatort immer den Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens enthielt. Man musste nur lernen, ihn richtig zu lesen. Die Modelle dienten der Ausbildung. Hier sollten angehende Kriminalbeamte lernen, ordentlich zu ermitteln. Und ordentlich ermitteln hieß für Lee, sich frei von Ahnungen und Vorurteilen zu machen und alle Spuren eines Tatorts genau aufzunehmen. „Viel zu oft hat der Polizist eine Ahnung und sucht – und findet – nur die Beweise, die diese Vermutung untermauern, ungeachtet aller anderen Beweise, die möglicherweise vorhanden sind“, sagte Lee. Sie lehrte ihren Studenten, eine disziplinierte methodische Untersuchung – dazu gehört ein Raster, mit dem ein Tatort in Form einer Spirale untersucht wurde.
Ungeheurer Aufwand
Ihre Modelle im Maßstab von 1 zu 12 stattete sie außerordentlich detailliert aus. Jedes Modell kostete damals zwischen 3000 und 4500 Dollar in der Herstellung und basierte auf realen Tatorten und Autopsien. Sie verbrachte unzählige Stunden damit, ihre Miniaturwelten nachzubilden, einschließlich kompletter Kleidungssätze für jedes Opfer. Türen und Kommoden lassen sich öffnen, Korken können aus Flaschen gezogen werden, selbst Gürtelschnallen funktionieren. Für Blutspritzer verwendete Lee roten Nagellack. Um Leichenflecken oder Auswirkungen von Kohlenmonoxid zu zeigen, bemalte sie die Porzellanhaut der Puppen.
An den Modellen konnten Studenten ihre Beobachtungsgabe üben. Lee baute identische Räume, die sich aber in 30 minimalen Details unterschieden und jeweils einen ganz anderen Verlauf darstellten. Ihr Kursprogamm endete erst 1966, nachdem sie 1962 gestorben war, und die Zuwendungen aus ihrem Erbe versiegten. Doch die Modelle wurden vom Gerichtsmediziner des Staates Baltimore gerettet.
Quelle: 18 Tiny Deaths: The Untold Story of Frances Glessner Lee and the Invention of Modern Forensics
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