Das Wiedersehen bei der verkorksten „Love is Blind Germany“-Staffel geriet zum frauenfeindlichen Desaster. Das lag vor allem am Umgang mit Kandidatin Hanni.
Als der Netflix-Hit „Love is Blind“ vor fünf Jahren zum ersten Mal lief, konnten die US-Produzenten ihr Glück selbst kaum fassen: Viel mehr Verbindungen als gedacht seien bei der Reality-TV-Show entstanden, in der sich Singles nur mit Gesprächen kennenlernen und verloben. Erst danach bekommen sie sich zu Gesicht, um kurz darauf zu heiraten – oder auch nicht. Jetzt lief der erste deutsche Ableger des Datingformats, und die Bilanz ist niederschmetternd: Mit Ilias und Alina hat es nur ein einziges Paar bis zur Ehe geschafft.
Love is Blind. 21.00Und das auch nicht besonders überzeugend oder mitreißend, denn Ilias schien die meiste Zeit mehr an Mit-Kandidatin Hanni interessiert als an seiner Verlobten. Gleich drei Paare brachen das Experiment vorzeitig ab, eines kam halbherzig zurück. Kurz: Die Deutschen, so scheint es, sind nicht für große Gefühle gemacht. Auch international kommentierten Fans des Formats die deutsche Ausgabe im Netz ungläubig. Tenor: Dreht bitte überall auf der Welt „Love is Blind“-Staffeln, aber kommt bloß nie wieder nach Germany!
Hanni war ein Glücksgriff für „Love is Blind Germany“
Einziger Lichtblick in dieser Staffel war die Kandidatin Hanni, die mit flotten Sprüchen und Flirtlaune für Unterhaltung sorgte. Und gleichzeitig auf ihre Art immer wieder in die Tiefe ging. Ihren Verlobten Daniel fragte sie etwa, ob er ihr Kleidervorschriften machen würde. Und hakte auf dessen Beteuerung, sie dürfe anziehen, was sie wolle, nach: „Auch, wenn du nicht dabei bist?“. Prompt kam dieser ins Straucheln. Hanni wusste, dass sie beim Dating auf sexistische Frauenbilder treffen würde. Und sie wusste genau, was sie in einer Beziehung braucht, sprach etwa über ihr Bedürfnis nach Freiraum und Zeit für sich. Das kam beim Publikum gut an, auf Instagram folgen ihr mittlerweile über 200.000 Menschen – weit mehr als allen anderen Teilnehmenden.
Ein Glücksgriff in einer ansonsten denkbar schlecht gecasteten Produktion. Doch in der Schlussfolge am Sonntag, dem großen Wiedersehen, wurde ausgerechnet die 28-Jährige als Bösewicht ausgemacht. Stellenweise kritisierten gleich drei Kandidaten gleichzeitig Hannis Verhalten, darunter zwei ihrer angeblichen Freundinnen aus der Show. Besonders enttäuschend: Moderatorin Steffi Brungs las unkommentiert vor Misogynie triefende Posts aus dem Netz vor, die sich allesamt um Hannis Äußeres und ihren Kleidungsstil drehten. Hanni verdrehte irgendwann nur noch genervt die Augen, angesichts der Absurdität der Vorwürfe („Wieso sitzt sie da eigentlich halbnackt, wenn man sie doch nicht sieht?“). Love is blind – beste Staffel13.51
Kritik an Netflix: Warum kamen die Männer so gut weg?
Interessanterweise scheint das Publikum mittlerweile auch mehr von Reality-TV-Produktionen zu erwarten. Denn seit der Wiedersehens-Folge häuft sich die Kritik am Format in den sozialen Netzwerken. Vor allem die Tatsache, dass die Männer, allen voran Ilias, fast ohne kritische Nachfragen davonkamen, während bei Hanni das Haar in der Suppe gesucht wurde, sorgt für Ärger. Die männlichen Kandidaten waren zudem schnell dabei, füreinander Partei zu ergreifen. Das Zitat des Abends lieferte deshalb Kandidatin Shila, die Daniel unterbrach, als dieser seinen Kumpel Tolga verteidigte. „Seine Bros zu fragen, ob er ein guter Mann ist, ist noch mal etwas ganz anderes, als Frauen zu fragen. Er ist ein guter Bro für euch, aber er war schlecht zu mir“, stellte sie klar. Wenn das nur mehr Männer verstehen würden.
Netflix klammerte sich verzweifelt an altbekannte, verstaubte Narrative und setzte beim Finale offenbar mit aller Macht auf die Inszenierung ihres einzigen verbliebenen Paars – welches dann für einen bitteren Schlussmoment sorgte. Ilias („Ich mag es, wenn ein Mann noch ein Mann sein darf“) wollte, dass Alina seinen Nachnamen annimmt, weil, – Überraschung! – „das hat bei uns in der Familie Tradition“. Und Alina, die sich eigentlich für einen Doppelnamen entschieden hatte, verriet ihm am Ende freudig, dass sie nun doch seinen Familiennamen trägt. Es war die ultimative Anpassung, verkauft als emotionaler Höhepunkt.
Wie großartig wäre es gewesen, hätte Ilias Alina mit ihrem Nachnamen überrascht. Hätten die Frauen sich ähnlich wie „die Bros“ miteinander verbündet, anstatt sich anzugehen. Hätten zumindest die Moderatoren – absurd, dass man das 2025 noch schreiben muss – klargemacht, dass Frauen anziehen dürfen, was sie wollen. Das „Love is Blind Germany“-Experiment ist deshalb gleich auf mehreren Ebenen gescheitert.
Netflix, ihr wart doch schon mal weiter!