Weniger Ermahnungen, mehr Deals: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik.
Gut 35 Minuten braucht Friedrich Merz an diesem Donnerstag, um zu erklären, wie er sich Deutschlands künftige Beziehungen zum Rest der Welt vorstellt. Unter seiner Führung. Der Name Donald Trump fällt das erste Mal schon nach wenigen Sekunden. Und es wirkt danach, als sei er, einmal ausgesprochen, unter dem Glasdach im Innenhof des Berliner „Hotel de Rome“ hängen geblieben, auf das der Januarregen fällt.
Wie eine dunkle Wolke? Der Kanzlerkandidat der Union würde wohl eher sagen: Wie ein Lichtstrahl, der durch dunkle Wolken bricht. „Die Öffnung unseres Blicks“, formuliert Friedrich Merz im Lauf dieses bemerkenswerten Auftritts auf Einladung der Körber Stiftung, „ist sein erstes Verdienst.“ Gemeint ist, tatsächlich: Donald Trump. Die vorhergehende Frage betraf die imperialen Avancen des neuen Manns im Weißen Haus gegenüber Grönland. Wo Merz schon zweimal selbst als Pilot gelandet ist, auf dem Hin- und Rückweg nach und von Amerika.
Trump als Auserwählter Gottes 6:17
Friedrich Merz: „Auf Belehrungen verzichten“
Blicke öffnen. Das hat sich der fliegende Sauerländer auch selbst vorgenommen mit dieser Rede. Die immer wieder nach Abrechnung klingt. Nicht nur mit der gescheiterten Ampel-Regierung und deren grün geführtem Außenamt. Sondern auch mit der Groko-CDU unter Führung seiner Vorgänger und Vorgängerinnen an der Parteispitze. Schlüsselsatz: „Außenpolitik kann nicht darin bestehen, die Welt nach unseren Maßstäben formen zu wollen.“
Europa ist für Merz zwar „ein Raum gemeinsamer Werte … tief verankert in demokratischer Tradition und im Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit“. Doch für Deutschlands Umgang mit der Welt außerhalb Europas hat das aus seiner Sicht nur eingeschränkte Relevanz. Da müsse man Unterschiede überbrücken, Widersprüche aushalten und vor allem: auf gegenseitige Belehrungen verzichten. Erst vor zwei Tagen habe er in Davos einen Abend mit Geschäftsleuten aus den USA und den Golfstaaten verbracht. Vom Lieferkettengesetz oder den neuen EU-Regeln für Unternehmen zu Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung hielten die wenig. „Wenn ihr die beibehaltet, werden wir nicht kommen, um bei euch zu investieren“, hätten ihm die Gesprächspartner in der Schweiz gesagt. Merz‘ Folgerung: „Wir werden in Europa ein paar Dinge ändern müssen.“ Auch wenn es schmerzhaft sei. „Ich bin entschlossen, alles zu tun, dass diese Regeln nicht in Kraft treten.“
Keine Beschränkung mehr beim Waffenexport nach Israel
Auch andere Regeln des internationalen Miteinanders sollen, wenn es nach Merz geht, nicht so bleiben, wie sie sind. So habe der Internationale Strafgerichtshof beim Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zwar „formal völkerrechtlich zutreffend entschieden“. Nur seien die Römischen Statuten, die Deutschland nun eigentlich dazu verpflichten, Netanjahu festzunehmen, beträte er deutschen Boden, doch nie zur Anwendung gegenüber gewählten Anführern demokratischer Staaten gedacht gewesen. In diesem Geist wolle er im Fall Netanjahu als Kanzler „alles tun, eine Vollstreckung in Deutschland abzuwenden“.
Auch der Begriff „Staatsräson“ unter einem Kanzler Merz werde sich „wieder an Taten und nicht nur an Worten“ messen lassen. Bestehende Einschränkungen beim Waffenexport an Israel will er umgehend beenden, die „Abraham Accords“ zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten, die in Trumps erster Amtszeit geschlossen wurden, ausweiten helfen. Auch im Sinne einer neuen Annäherung Deutschlands und Europas an den Nahen Osten und die Golfregion. Für die Türkei möchte Merz eine neue Form „institutioneller Bindung“ an die EU, ganz abseits der Frage einer EU-Mitgliedschaft, die sich auf absehbare Zeit nicht stelle.
Und, auch das wohl eine Geste in Richtung Donald Trump: Merz regt eine dauerhafte deutsche Marine-Basis im Indo-Pazifik an, als Signal an Partner wie Indien, Australien und Japan.
Und Europa? Merz betont die Wichtigkeit der Beziehungen zu Polen, ein Freundschaftsvertrag soll die Beziehungen auf eine neue Stufe stellen und die „Sprachlosigkeit zwischen Berlin und Warschau“ beenden. Gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will er „die Vision eines souveränen Europas“ verwirklichen. Eine eigenständige Verteidigungsindustrie in Europa schwebt ihm vor. Doch gemeinsame Schulden in der EU zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sieht er skeptisch. Merz weiß, schon um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen, fehlen in Deutschland spätestens ab 2027 noch 30 bis 40 Milliarden pro Jahr.
Merz‘ Rede: ein Brückenschlag Richtung Trump
So wirkt sein Programm wie der maximal mögliche Brückenschlag in Richtung Donald Trump. In der Hoffnung, den noch irgendwie erreichen zu können. „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen, Russland muss den Krieg verlieren“, sagt Merz zu Beginn seiner Rede. Und kurz vor Schluss: „Unser Bündnis zu Amerika war, ist und bleibt von überragender Bedeutung für die Sicherheit, die Freiheit und den Wohlstand in Europa.“
Am Ende stehen diese beiden Sätze wie zwei Leitplanken der Hoffnung. Darauf, dass die Zugeständnisse dazwischen reichen werden, Europas Platz an Amerikas Seite irgendwie hinüber zu retten in diese neue Zeit.