Kurz vor Donald Trumps Amtseinführung warnt Andreas Michaelis in einem vertraulichen Schreiben vor den Gefahren für die Demokratie. Wie reagiert die neue Regierung in Washington?

Andreas Michaelis hat lange in England gelebt und ist ein erklärter Rugby-Fan. In diesem Sport gehört es dazu, auch dahinzugehen, wo es weh tun könnte. Nach dieser Devise hat sich der deutsche Botschafter in Washington nun auch auf diplomatischem Parkett verhalten. Ein von ihm verfasstes vertrauliches Schreiben an die Bundesregierung wurde an die Öffentlichkeit durchgestochen – und Michaelis befindet sich plötzlich mitten in der Auseinandersetzung um das schwierige Verhältnis Deutschlands zum neuen Präsidenten Donald Trump

Der neue Präsident ziele auf eine „maximale Disruption“ der politischen Verhältnisse in den USA, heißt es in dem von Michaelis unterzeichneten Schreiben, das am Wochenende bekannt geworden ist. Demokratie und Rechtsstaat gerieten massiv unter Druck, so der Botschafter. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine vertrauliche Analyse, datiert auf den 14. Januar, gerichtet an Michaelis‘ Chefin, Außenministerin Annalena Baerbock.

Donald Trumps Präsidentschaft – eine offenherzige Analyse

Tatsächlich steht in dem Papier kaum etwas, wovor nicht andere Experten auch schon gewarnt hätten. Aber natürlich bekommt es ein besonderes Gewicht, wenn es von offizieller deutscher Seite als Einschätzung an die eigene Regierung abgegeben wird. Und in Berlin muss man fürchten, dass der Neustart der Beziehungen, von denen der eigene Schutz genauso abhängt wie die Zukunft der Ukraine, durch die ziemlich offenherzige Analyse nicht gerade erleichtert wird.

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Wenn der Botschafter an diesem Montag als offizieller Vertreter Berlins an der Amtseinführung von Donald Trump teilnimmt, kann es gut sein, dass in der Rotunde des Kapitols der eine oder Trump-Ergebene von ihm wissen will, was Michaelis denn da eigentlich aufgeschrieben hat. 

Der Botschafter wird es überstehen, seine Physiognomie ist robust, und den Umgang mit harten Jungs ist er gewöhnt, seit er während des Studiums in Oxford einen Kommilitonen namens Boris Johnson hatte, der ihn Jahre später beim Antrittsbesuch als neuer britischer Premierminister in Berlin auch wiedererkannte.

Michaelis ist 65 Jahre alt, Washington seine letzte Station als Diplomat vor dem Ruhestand. Er hat es nicht nötig, wichtig zu tun, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Die meisten davon hatte der gebürtige Hannoveraner und Vater dreier Kinder sowieso schon in den mittlerweile 36 Jahren seiner Karriere. Michaelis, von Haus aus Nahost-Experte, war der erste Pressesprecher des grünen Außenministers Joschka Fischer, später Botschafter in Singapur, Israel und Großbritannien, sowie zweimal Staatssekretär im Auswärtigen Amt. 

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Seine Analyse über die künftige Regierung in den USA liest sich nun eher so, als wolle sich der Diplomat kurz vor dem Ruhestand nicht noch den Vorwurf einhandeln, er habe seine Vorgesetzten nicht hinlänglich gewarnt.

Seit August 2023 arbeitet Michaelis in Washington. Mit der Regierung von Joe Biden verband ihn ein enges Arbeitsverhältnis. An den Verhandlungen zum Austausch von westlichen Gefangenen sowie russischen Menschenrechtlern gegen verurteilte russische Staatsbürger im Westen war Michaelis intensiv beteiligt, wie Eingeweihte später zu berichten wussten.

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Jetzt, unter der neuen Regierung, fürchtet der Botschafter offenkundig um den Erhalt des etablierten amerikanischen Systems der Gewaltenteilung, auch als Checks and Balances bekannt (Kontrolle und Ausgleich). Trumps Agenda bedeute eine „maximale Machtkonzentration beim Präsidenten zulasten von Kongress und Bundesstaaten“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Memo. Legislative, Gesetzesvollzug, aber auch die Medien würden ihrer Unabhängigkeit beraubt und politisch missbraucht, warnt der Botschafter. Große Technologieunternehmen erhielten „Mitregierungsgewalt“. Damit meint Michaelis unter anderem Elon Musk, den Eigentümer der Nachrichtenplattform X, vormals Twitter, der für Trump die Bürokratie durchforsten soll.

Alleine steht der Botschafter mit dieser Warnung nicht. Auch der scheidende Präsident Joe Biden warnte in einer Abschiedsbotschaft vor wenigen Tagen vor einer „Oligarchie“, in der wenige Superreiche die Politik bestimmten. Wo nur wenige die Kontrolle hätten, „wankt die Demokratie“, so Biden. 

Drei Tage nachdem der Bericht nach Deutschland gesendet worden war, äußerte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich ungewöhnlich kritisch über die Aktivitäten von Elon Musk, insbesondere dessen Unterstützung extremer rechter Parteien in Europa.

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In Michaelis Schreiben heißt es weiter, Strafverfolgung könne zum Instrument der Politik werden. Trump hatte vor allem im Wahlkampf wiederholt Widersachern angekündigt, sich zu revanchieren. So richtete er zum Beispiel krude Drohungen gegen die frühere republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney.

Zentral für die Umsetzung von Trumps Zielen wie Massenabschiebungen, Vergeltungsmaßnahmen sowie die Sicherung seiner rechtlichen Unantastbarkeit seien die Kontrollen über das Justizministerium und die Bundespolizei FBI, schreibt Michaelis. In Konflikten mit Bundesstaaten, die in den USA große Machtbefugnisse besitzen und sich von Washington ungern reinreden lassen, habe Trump weitreichende Möglichkeiten, etwa durch Notstandsregelungen. Auch ein Militäreinsatz im Inland für Polizeiaufgaben sei möglich.

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Offenkundig saugt sich der Botschafter seine Analysen nicht aus den Fingern. Schon im Oktober 2023 hatte Trump für den Fall seiner Wiederwahl Massendeportationen angekündigt, weil „Abermillionen Menschen“ mit „kranken Gedanken“ in den USA lebten, ebenso wie „Dschihadisten, Faschisten und Kommunisten“. Die „New York Times“ berichtete vor wenigen Tagen, dass eine erste Großrazzia gegen Migranten schon am Tag nach der Inauguration des neuen Präsidenten in Chicago stattfinden solle – als Signal, dass Trump seine Ankündigungen ernst meine. Trumps künftiger Grenzschutzbeauftragter Tom Homan bestätigte entsprechende Überlegungen, die nach ihrem Bekanntwerden nun aber überarbeitet würden, um die Beamten nicht zu gefährden.

Allerdings sieht Michaelis auch einen Hoffnungsschimmer im obersten Gericht der USA. Auch wenn der Supreme Court zuletzt präsidiale Macht ausgeweitet habe, rechneten selbst größte Kritiker damit, dass dieser das Schlimmste verhindern werde. Tatsächlich hatte das Gericht, das mehrheitlich republikanisch besetzt ist, zuletzt wider Erwarten auch gegen Trump entschieden, als es einen Eilantrag seiner Anwälte ablehnte, die eine Urteilsverkündung im New Yorker Prozess um von Trump bezahltes Schweigegeld verhindern wollten.

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Das Auswärtige Amt wollte das Schreiben von Michaelis nicht kommentieren, weil man sich zu Interna grundsätzlich nicht äußere. „Natürlich werden wir auch mit der neuen US-Administration im Interesse Deutschlands und Europas eng zusammenarbeiten“, hieß es in der Stellungnahme. Das Auswärtige Amt hatte allerdings schon während des Wahlkampfes in den USA Kritik auf sich gezogen, als es sich über eine Aussage Trumps lustig machte, Einwanderer würden Hunde und Katzen essen.

Das Trump-Lager reagierte zunächst nicht auf die Berichte über das Schreiben. Trotzdem dürfte Michaelis ein unruhiges Wochenende erleben. Der Botschafter ist großer Fan von Union Berlin, die am Sonntag einen neuen Versuch unternehmen wollten, ihre Niederlagenserie in der Fußball-Bundesliga zu beenden.