Schnell, brutal, beklemmend: Der „Tatort“ aus Stuttgart überzeugt mit einem politischen Geiselnahme-Thriller. Spannend bis zum Schluss.
Worum geht’s in diesem „Tatort“?
Filmpremiere in Stuttgart, es geht um die Anfänge der Demokratie und Politik-Prominenz ist geladen. Auch Kommissar Bootz (Felix Klare) ist unter den Kinogästen, als plötzlich das Licht ausgeht. Geiselnahme, Schüsse fallen, Panik bricht aus. Bootz verletzt den männlichen der beiden Geiselnehmer mit einem Schuss in den Bauch schwer. Die zweite Geiselnehmerin (Anna Schimrigk) agiert eiskalt alleine weiter, fordert die Freilassung eines Häftlings, der angeblich in Todesgefahr schwebe. Und ein Geständnis des Innenministers von Baden-Württemberg, dass dieser politisch motiviert Häftlinge ermorden ließ. Bootz stellt den Kontakt zu seinem Kollegen Thorsten Lannert (Richy Müller) her. Ein packender Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Denn eines ist klar: Die Täterin glaubt mit voller Überzeugung an ihre krude Theorie und ist zu allem entschlossen.
PAID Warum ich seit 50 Jahren „Tatort“ gucke – und es auch weiter tun werde_15.30
Warum lohnt sich der Fall „Verblendung“?
Dieser „Tatort“ aus Stuttgart hält Tempo und Spannung bis zum Schluss, auch dank einiger stilistischer Mittel, wie etwa einem Splitscreen, der zwei Handlungen parallel zeigt. Der Krimi steigt mitten im Geschehen mit einer kleinen Vorschau ein: Wir sehen Bootz, wie er mit einer Waffe bedroht wird, hören einen Schuss – dann erst startet der Rückblick. Die Optik sorgt zusätzlich für ein beklemmendes Gefühl: Hier wird nichts und niemand hübsch ausgelichtet, die Menschen schwitzen, ächzen, bluten. So entsteht beim Zuschauen das Gefühl, ganz nah dran zu sein.
Was stört?
Die Dialoge zwischen Einsatzleiterin Farah Nazari (Leila Abdullah) und Lannert wirken gelegentlich seltsam hölzern. Und dass das SEK trotz weiterer Todesopfer so lange nicht zugreift, scheint etwas unplausibel, trägt aber zur Spannung bei.
Die Kommissare?
Eigentlich sollte Kommissar Lannert im Kinosaal sitzen, er hatte seinem Kollegen den Networking-Abend inmitten von Polizei– und Politprominenz aufgeschwatzt. Nun ist es Bootz, der unter Lebensgefahr versucht, möglichst viele Geiseln zu retten. Dabei stößt er schnell an seine Grenzen: Die Geiselnehmerin wiegelt die Opfer geschickt gegeneinander auf. Bootz agiert als moralische Instanz, versucht, die Leute auf seine Seite zu ziehen. Doch schnell tun sich menschliche Abgründe auf: Bereitwillig wird darüber abgestimmt, wer als nächstes erschossen werden soll. „Mensch, was ist denn los mit euch?“, verzweifelt Bootz irgendwann. Es sind diese „Jeder ist sich selbst der nächste“-Momente, die beim Zuschauen besonders nahe gehen. Die Tatsache, dass die Verbreitung absurder Verschwörungstheorien wie die der Geiselnehmer erschreckend realistisch wirkt, sorgt zusätzlich für Unbehagen. Lannert ermittelt derweil zu den Hintergründen der Tat – und muss Bootz gegen das Misstrauen der SEK-Kolleg*innen verteidigen. Denn dass die Terroristen einen Maulwurf auf Polizei-Seite hatten, ist schnell klar.
Ein- oder ausschalten?
Unbedingt einschalten, aber Vorsicht: Dieser „Tatort“ ist nichts für schwache Nerven.