Im Wahlkampf 2021 sprachen alle Parteien über die hohen Mieten und die Wohnungsnot – in diesem Jahr hört man kaum etwas dazu. Ist das Problem etwa gelöst? 

Seit dem Dezember 2021 werden wir vom „Kanzler für bezahlbares Wohnen“ regiert. Was, Sie haben das noch nicht bemerkt? Doch, doch, im Sommer 2021 plakatierte die SPD fleißig, dass sie das Problem mit dem Wohnen in den Griff kriegen würden. Olaf Scholz präsentierte stolz seine Bilanz aus der Zeit als Bürgermeister in Hamburg. Mit dem Neubau sollte es klappen und 400.000 Wohnungen jedes Jahr neu entstehen. 

Im Jahr 2023 waren es nur 294.400. Ziel verfehlt.

Klar, die Schuld daran trägt nicht der Kanzler allein, oder die Bauministerin Klara Geywitz von der SPD. Wie bei vielen anderen Vorhaben der Regierung kam ziemlich viel dazwischen, was die früheren Ampel-Koalitionäre im damaligen Wahlkampf noch nicht absehen konnten. Die Baubranche strauchelt und das liegt nicht nur an politischen Rahmenbedingungen, sondern auch an Lieferkettenproblemen, an den Energiepreisen und dem Fachkräftemangel.

Wirtschaftskrise_Mietentwicklung 6.36

Nur ist es dem einzelnen Mieter ziemlich egal, wer Schuld daran trägt, dass ein zu großer Teil seines Gehalts für die Wohnung draufgeht. Dass er sich den Umzug in eine größere Wohnung nicht leisten kann, obwohl er ein Kind bekommen hat. Dass er sich keine eigene Wohnung mehr kaufen kann, wie seine Eltern das noch konnten.

Sind Mieten nicht immer noch die wichtigste soziale Frage?

2021 sprachen viele Politikerinnen und Politiker davon, dass Wohnen die soziale Frage dieser Zeit sei. Und jetzt? Schweigen. Dabei hat sich das Problem für die meisten Menschen in Deutschland nicht gelöst, es hat sich nicht verkleinert, im Gegenteil: Es ist größer geworden. 

Fast schon verständlich, dass Olaf Scholz mit dieser Bilanz schwer in den Wahlkampf ziehen kann. Wer würde ihm das jetzt noch glauben mit dem „Kanzler für bezahlbares Wohnen“? Aber so zu tun, als gäbe es das Problem nicht mehr?

STERN PAID C+ Mieten steigen 20.05

Auch den anderen Parteien scheint das Thema zu heikel. Lieber direkt die Hände davon lassen, bevor man am Ende noch an seinen Versprechen gemessen wird. Na klar, sie alle machen irgendwo in ihren Wahlprogrammen den einen oder anderen Vorschlag. Aber niemand außer der Linken, die nun mal nicht wahlkampfbestimmend sind, stellt das Thema ins Zentrum der eigenen Kampagne. Dabei steht das Problem weiterhin im Zentrum des Lebens ihrer Wählerinnen und Wähler.

Parteien könnten Profil schärfen

Ja klar, der Wohnungsmarkt ist extrem kompliziert. Es ist eben nicht damit getan, eine hohe Zahl an neuen Wohnungen zu fordern und ein Bauministerium zu gründen. Gleichzeitig erlaubt das Thema den Parteien aber unterschiedliche Ansätze zu entwickeln, ihr Profil zu schärfen. Genau das also, was man sich im Wahlkampf der Mitte-Parteien wünscht. Die CDU kann sich für Förderungen stark machen, sodass sich Familien ein eigenes Haus leisten können, die SPD kann für den Genossenschaftsansatz kämpfen, Grüne für ökologischen Neubau und Sanierung, die FDP für die Deregulierung des Mietmarktes und die Linke für das Gegenteil. 

Die Parteien müssten ihre Ansätze nur auch laut vertreten, plakatieren, dafür einstehen – und darüber streiten. Wahlkämpfen eben. Denn wie sollen Menschen einer Politik vertrauen, die über die großen Probleme lieber schweigt, statt sie anzugehen?