Robert Habecks Idee, künftig Sozialbeiträge auf Kapitalerträge zu erheben, wird zum kommunikativen Desaster. Schnell werden Erinnerungen wach an „Habecks Heizungshammer“.

Zynisch könnte man sagen, dass Robert Habeck mit seinem jüngsten Vorstoß klassische Grünen-Wähler kaum behelligen dürfte. Die Klientel der Öko-Partei zählt laut vielen Studien nämlich zu den Besserverdienenden im Land, oft ausgestattet mit einem Hochschulabschluss und in einem sicheren Arbeitsverhältnis angestellt, nicht selten sogar als Beamte. Da können einem neue Beiträge auf Kapitalerträge für die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, wie sie Habeck am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ ins Gespräch gebracht hat, erstmal egal sein. 

Denn entweder liegen viele Grünen-Wähler mit ihrem Bruttoverdienst ohnehin über jener Einkommensgrenze, bis zu der Sozialbeiträge fällig werden. Oder sie sind, wie Beamte zum Beispiel, eben gar nicht gesetzlich versichert. Habeck gesteht Rechtschreibschwäche 7.47

Allerdings, und das spricht gegen die zynische Interpretation von Habecks Idee, tritt der Kanzlerkandidat der Grünen ja gerade an, um bei der anstehenden Bundestagswahl mehr Stimmen zu gewinnen als die der Stammkundschaft, die die Partei eh sicher hat. Mit den 13 bis 15 Prozent, auf die die Partei aktuell in allen Umfragen kommt, wird es jedenfalls nichts werden mit einem Bundeskanzler Robert Habeck. Was also treibt Robert Habeck und die Grünen, eine Beitragspflicht für Kapitalerträge zu fordern?

Robert Habeck scheint Idee nicht durchdacht zu haben

Wohlwollend könnte man zunächst Habecks eigenem Argument folgen: Kapitalerträge werden heute mit 25 Prozent deutlich niedriger besteuert als Arbeitseinkommen, zudem werden auf Kapitalerträge anders als auf Arbeitseinkommen keine Sozialbeiträge fällig. Dies zu ändern wäre nach der Logik des grünen Kanzlerkandidaten also ein Beitrag zur Gerechtigkeit. Und könnte, zumindest in der Theorie, dazu führen, dass die allgemeinen Sozialbeiträge sinken. Aktuell zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die gesetzliche Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung mehr als 42 Prozent der Bruttoeinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Das ist tatsächlich der höchste Wert seit mehr als 20 Jahren – allein der jüngste Anstieg der Kranken- und Pflegebeiträge sorgt bei vielen gesetzlich Versicherten in diesen Wochen für deutliche Einbußen in der Gehaltsabrechnung und für viel Frust.

So weit, wie gesagt, die Theorie. In der Praxis jedoch ist die Wirkung von Habecks Idee weitaus komplizierter. Zum einen haben höhere Einnahmen in der Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung in den letzten Jahren nie zu sinkenden Beiträgen geführt. Sondern immer nur zu noch höheren Ausgaben. Das ist bereits der Logik von staatlichen Sozialsystemen geschuldet, deren Leistungen eben nie perfekt sind, sondern die sich immer noch verbessern lassen. Wenn also mehr Geld reinkommt ins System, findet sich immer ein Bereich, in dem es noch seinen Segen entfalten kann. Habeck Beiträge auf Kapitalerträge FAQ 16:14

Um also den Anstieg der Beiträge zu bremsen oder die Beiträge sogar zu senken, müsste die künftige Regierung umgekehrt vorgehen und zuallererst bei den Ausgaben ansetzen, also sparen. Das jedoch ist ein Thema, über das Spitzenkandidaten vor einer Wahl notorisch ungern sprechen. Dann doch lieber einfach steigende Beitragseinnahmen herbeizaubern – am besten noch einzutreiben bei einer Bevölkerungsgruppe, der man leicht nachsagen kann, sie fröne doch nur einem anstrengungslosen Wohlstand und lebe von ihren üppigen Dividenden- und Zinseinkünften.

Doch hier beginnt das zweite, viel gravierendere Missverständnis bei Habecks Idee. Im heutigen System von Kranken- und Rentenversicherung gilt eben eine Grenze, bis zu der überhaupt nur Beiträge fällig werden, die Beitragsbemessungsgrenze: Für die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen liegt sie seit dem Jahreswechsel bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 5512,50 Euro, in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bei 8050 Euro. Wer mehr verdient, zahlt auf dieses Mehr zwar noch Steuern, aber keine Sozialbeiträge. 

Hohe Erträge aus Aktiengeschäften erzielen jedoch eher jene Arbeitnehmer, die auch sonst viel verdienen – und damit auch ohne Kapitalerträge über der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Ohne eine drastische Erhöhung oder gar Abschaffung dieser Einkommensgrenze müssten also gerade die Gutverdiener mit den hohen Kapitalerträgen gar nicht mehr zahlen als heute. Betroffen wären hingegen Haushalte, in denen das normale Arbeitseinkommen deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt, dafür aber Kapitalerträge den Lebensunterhalt sichern. 

Wer viel verdient, sichert sich ohnehin privat ab

Nur, unter klassischen Arbeitnehmern wird man solche Fälle nicht sehr oft finden. Und erst recht nicht in den gesetzlichen Sozialsystemen. Denn wer hohe Einkünfte aus Vermögen erzielt, wird in der Regel nicht gesetzlich kranken- oder rentenversichert sein – sondern sich privat absichern. Man kann es sich schließlich leisten. Gut möglich, dass Habeck genau diese kleine, aber wohlhabende Klientel im Sinn hatte, als er in der ARD seinen Vorschlag skizzierte: die Vermögenden, die gar nicht arbeiten müssen, weil Dividenden und Zinseinnahmen für ein gutes Leben völlig reichen. 

Allerdings, gesagt hat er das nicht – und das war für einen Wahlkämpfer, der auch noch Kanzler werden will, nicht besonders klug. Stattdessen verunsichert er gerade Millionen Arbeitnehmer und Kleinsparer, denen diverse Bundesregierungen 25 Jahren eingetrichtert haben, sie sollten endlich privat mehr fürs Alter vorsorgen. Um so die absehbaren Einbußen bei der gesetzlichen Rente auszugleichen. Diese Gruppe nämlich würde Habeck ohne weitere Kniffe und Eingriffe in die Sozialsysteme wirklich effektiv treffen: Ruheständler, die mit ihren gesetzlichen Renten stets unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen, dafür aber kleine Zusatzrenten aus ihrem Aktiendepot oder einer alten Lebensversicherung kassieren.

Dass Habeck ausgerechnet hier abkassieren will, ist aber wiederum unwahrscheinlich. So entwickeln sich einige wenige Sätze, ziemlich locker dahingesagt an einem Sonntagabend zur besten Sendezeit, zu einem kommunikativen Desaster. Es weckt Erinnerungen an Habecks Arbeit an einem Heizungsgesetz, bekannt geworden als „Habecks Heizungshammer“. Viel zu harsch und undurchdacht wurde der erste Gesetzentwurf zum Mega-Gau für Habeck und seine Partei, er hängt bis heute nach. 

Man kann Habeck zugutehalten, dass er sich offenkundig nicht am Wettkampf der Drückeberger beteiligen will. Den sollen die Spitzenkandidaten von Union und SPD, Friedrich Merz und Olaf Scholz, unter sich austragen. Ihre Wahlprogramme laufen bisher tatsächlich darauf hinaus, alle unbequemen Wahrheiten und Zumutungen auszublenden. Sich davon absetzen zu wollen, ist ehrenwert. Aber mal eben so eine Beitragspflicht auf Kapitalerträge ins Spiel zu bringen, ohne genau zu sagen, wer genau wie viel zusätzlich bezahlen soll, ist ziemlich verheerend. Und nicht gerade ein Ausweis von Kanzlerqualitäten.