Unsere Reporterin lebt in Los Angeles. Sie besuchte die vom Feuer völlig zerstörten Wohnsiedlungen – und erlebte ihre Heimat im wahrsten Sinne in völlig neuem Licht.
Als wir an der frei stehenden Wendeltreppe am Pacific Coast Highway anhalten, halte ich es vor Schönheit fast nicht mehr aus. Sie schraubt sich einsam und elegant in den pinken Abendhimmel, während die Sonne dahinter spektakulär wie immer in den Pazifik rutscht. „Es ist dieses Winterlicht hier. Winter in L.A. ist die schönste Zeit“, sagt der Fotograf, der mit mir unterwegs ist.
Ich steige aus dem Auto und schaue in die sich vor mir ausbreitende verkokelte Strandlandschaft, in der vor einer Woche noch Häuser standen. Dahinter glitzert der Pazifik, als wäre alles wie immer. Wellen schwappen gemächlich an den Strand. Der gewohnte Klang hat eine beruhigende Wirkung, zusammen mit dem Licht der goldenen Stunde.
Außer der Treppe ist von diesem Haus am Strand nichts mehr übrig. Das Palisades Feuer in Los Angeles hat es wie Tausende anderer Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt
© Susanne Hehr
Es stinkt bestialisch, rechts von mir steigt Rauch aus der Tiefe auf. Ich ziehe die N95-Maske über mein Gesicht. Das Material juckt am Kinn. Ich denke an das Haus mit dem blauen Oktopus, der an die Hauswand getöpfert war. War das weiter Richtung Norden? Ich will mich an die Häuser erinnern, die nicht mehr sind und dadurch erst den Blick auf Strand und Horizont freigeben.
Hinter jeder Brandruine von Los Angeles stand mal ein Leben
Da sehe ich sie: die winzigen Vögel mit den schnellen Beinchen, die nach jeder Welle Richtung Wasser spurten, wahrscheinlich, um Fressen zu finden. Sie rennen unermüdlich hin und her, und ich bin seltsam gerührt, sie hier zu sehen.
Vor der Wendeltreppe steht eine einzelne Tür, ein steinerner Bogen umrahmt sie. Hinter ihr begann einmal ein ganzes Leben. Nun gibt sie den Blick frei auf die Sonne, die sich routiniert an ihren Untergang macht.
Die Feuer in L.A. brennen seit knapp einer Woche. Dienstagmorgen sollen die Winde wieder stärker werden.
Fortan wird meine Assoziation mit dieser Stadt eine andere sein. Die, wie mein kleines Auto sich Dienstagabend über den Highway kämpft, als der Wind so stark gegen das Auto drückt, dass ich das Lenkrad extra fest umklammere. Ich werde für immer daran denken, wie ich auf der Couch eines Kumpels einschlafe, während der Wind so sehr an den Fenstern rüttelt, dass ich immer wieder aufwache. Seit Dienstag brennt es – und es hört nicht auf. Es hört nicht auf am Mittwoch, als Brände hinzukommen. Es hört nicht auf am Donnerstag, als die Zahl der Todesopfer steigt. Es hört nicht auf am Freitag, nicht am Samstag und nicht am Sonntag.
Erst am Montag hängt der Himmel in Santa Monica nicht mehr voller Rauch. Kein Ascheregen, als ich in mein Café fahre, für die Routine. Ich treffe einen Kollegen, der aus Washington eingeflogen ist, wir essen Tacos, dann fahren wir mit unserem Fotografen los.
Er ist aus L.A. und war jeden Tag in den Gebieten unterwegs, die von den Palisades Feuer und dem Eaton Feuer gefressen wurden. Am Sonntag habe er Pause gemacht, erzählt er. Er hat uns Snacks eingekauft, die in einer Tüte neben mir auf der Rückbank liegen. Am Zugang zum Pacific Coast Highway (PCH) hält uns die uniformierte National Guard an. Wir zeigen unsere Presseausweise und werden durchgelassen.
Eine Recherche im Land der Apokalypse
Wir schweigen viel, als wir uns durch das Viertel bewegen, das einmal Pacific Palisades war. Die Gegensprechanlage eines Hauses funktioniert noch und knackt. Das dazugehörige Haus ist weg. Wir laufen, es knirscht unter den Sohlen. In einer Einfahrt stehen Pantoffeln, flauschig und ordentlich und fehl am Platz. Als hätte sich der Mensch, der sie an den Füßen hatte, in Luft aufgelöst. Nur Schutt, hinter grünen Büschen und wundersam früchtetragenden Zitronenbäumen.
Die Leute werden wohl nicht mehr zurückkehren, wegen des Traumas, sagt der Fotograf. Selbst die Häuser, die noch stehen, stehen jetzt im Niemandsland. Der Terror, den die fliehenden Anwohner gefühlt haben müssen, hallt nach in ihren ausgebrannten Autos, aus denen sich geschmolzenes Silber schlängelt.
Ausgebrannte Autos säumen die Straßen von Pacific Palisades in Los Angeles
© Susanne Hehr
Wann immer wir aussteigen, lassen wir das Auto laufen, lassen die Türen offen, lassen unser Equipment und unsere Taschen im Auto liegen. Niemand ist hier. Niemand ist mehr hier. Hier ist niemand mehr. Ab und zu läuft ein Feuerwehrmann vorbei, ich winke stumm.
Orientierungslos in der eigenen Heimat
Als wir 20 Minuten später am Pazifik entlangfahren, verliere ich die Orientierung. Normalerweise ist hier Stop-and-Go. Links von uns stehen zig Polizeiautos, Feuerwehrwagen. Unzählige, aufgereiht. Auf ihnen sitzen Feuerwehrleute in der Abendsonne und fotografieren Richtung Ozean. Dann halten wir mitten auf dem Highway, weil wir eine Gruppe Soldaten sehen, die im Sonnenuntergang zusammenkommt. Wahrscheinlich werden sie wegen der aufkommenden Winde gebrieft. Die Schönheit dieser Stadt tut heute sehr weh.
Als uns der Fotograf am Palisades Park in Santa Monica verabschiedet, zeige ich auf den orangefarbenen Streifen Himmel hinter der Ampel und lache kurz laut auf. Es ist die Diskrepanz zwischen dem, was ich sehe, und dem, was ich fühle. Nie war L.A. so sehr L.A.: absolut trotzig und atemberaubend in stiller Traurigkeit. „Bist du okay?“, fragt mein Kollege. „Ich schätze. Ich hoffe“, sage ich.