Kanzlerkandidat Friedrich Merz reist nach Bochum, zum Arbeiterflügel der CDU. Es ist nicht wirklich sein Ding – mit einem Bekenntnis sorgt er bei den Gewerkschaftern für Irritationen.
Man muss ein bisschen suchen, bis man Friedrich Merz findet. Er soll heute in der legendären Bochumer Jahrhunderthalle reden, so ist es angekündigt. Der Auftritt findet aber hinter dem pompösen Bau im kleinen Dampfgebläsehaus statt. Damen und Herren in schwarzen Kleidern, die ihn hören wollen, irren umher und suchen den Zugang.
Merz kommt durch den Hintereingang. Er wirkt braungebrannt, trägt seine Uniform, grauer Anzug, hellblaues, offenes Hemd. Der Veranstaltungsraum ist schmal und hoch, die Backsteinwände unverputzt und rau, sie sollen an die goldenen Arbeiterzeiten erinnern. Gut beheizter Industriecharme für Anzugträger. Merz schaut zunächst etwas irritiert, als denke er: „Wo bin ich denn hier hingeraten?“
Die CDA sind die Linken der CDU
Eingeladen hat die CDA, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands, zur Betriebsrätekonferenz. Merz könnte sagen: Die CDA, das sind die Linken in eigenen Haus. Kein leichter Termin also für ihn, der nicht plant, den Wahlkampf im Namen des Herrn zu führen, sondern im Namen des Wirtschaftsaufschwungs.
Jahrhunderthalle Bochum: Zuhörwillige suchen den Zugang zu Merz.
© stern/Rolf-Herbert Peters
Er wird vom CDA-Bundesvorsitzenden Dennis Radtke in Empfang genommen. Der 45-Jährige ist ein Bochumer Junge. Er stammt aus dem Ortsteil Wattenscheid. Seit über 25 Jahren Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Bis 2002 war er Sozialdemokrat. Auch der schwergewichtige NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann ist gekommen. Die Mischung verspricht Merz: Hier brauche ich Fingerspitzengefühl.
Die CDA sieht sich als Garant für christliche Gesellschaftsethik. Zu der hat Merz erst einmal wenig beizusteuern. Sicher, er ist praktizierender Katholik, seine Frau eine engagierte Protestantin, die Kinder wurden evangelisch sozialisiert. Auf dem Evangelischen Kirchentag 2023 konstatierte Merz noch, das „C“ im Parteinamen der CDU bleibe „selbstverständlich“. Söders Hass auf die Grünen 18:57
Dennoch folgt er keineswegs den ökonomischen Richtlinien des Caritasverbands oder des Hildesheimer Sozialbischofs Heiner Wilmer. Merz‘ Fantasien sind wirtschaftsliberal geprägt. Hier geht es nicht um Brot teilen, hier geht es um Kapital, das es zu vermehren gilt. Diese Botschaft sendet er öfters an diesem Abend.
Er soll um jeden Industriearbeitsplatz kämpfen
Die CDA will viel, was Merz nicht will. Keine neue große Koalition. Einen schnellen Mindestlohn von rund 14 Euro. Keine Karenztage, um den hohen Krankenstand einzudämmen und so weiter. Sie fordert, wenn man es auf den Punkt bringen will, dass alles im Arbeitsmarkt wieder so erfolgreich wird wie dereinst. Der CDA-Chef verlangt gleich zum Auftakt: „Ich will, dass Sie um jeden Industriearbeitsplatz kämpfen.“
Das Ruhrgebiet soll kein Museum werden, verspricht Friedrich Merz
Merz nimmt es erst mal zur Kenntnis. Dann sagt er: „Europa muss ein Platz für industrielle Arbeitsplätze bleiben.“ Und: „Ich möchte nicht, dass das ganze Ruhrgebiet eines Tages ein Museum ist.“ Beifall, spielerisch eingeheimst.
Dann tritt der Kanzlerkandidat ans Rednerpult und spult seine Wahlkampfrede ab. Wer ihn ab und zu hört, wird ganz zappelig vor Déjà-vus. Was er so rauslässt im Dampfgebläsehaus, ist viel Ampel-Bashing, viel Lippenbekenntnis und viel heiße Luft. Alles schon zu oft gehört. Man fragt sich, ob er sich nicht manchmal bei den eigenen Worten langweilt.
STERN C Wahlversprechen Merz & Co. 8.55
Er merkt wohl, dass er hier mit einigen seiner wichtigsten Ziele nicht punkten wird. Bei der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands am Wochenende in den Design Offices Hamburg Hammerbrook hatte er eingeräumt, dass unter einem Kanzler Merz die Renten „möglicherweise langsamer ansteigen“. „Die Bäume wachsen, aber sie wachsen nicht in den Himmel“, hatte er prophezeit. Zuvor hatte ihm Kanzler Olaf Scholz beim SPD-Parteitag vorgeworfen, Merz wolle seine Pläne für milliardenschwere Steuerentlastungen auf den Rücken der „normalen Leute“ finanzieren. „Bittere Einschnitte“ bei Pflege, Gesundheit und Rente seien geplant. Alles, was er verspreche, sei zu finanzieren, sagt Merz, aber vorsichtig. Wie genau? Die Fragezeichen werden in den Gesichtern der Zuhörer bleiben.
„Rrrradikal „will er alles ändern
Es folgt ein Ritt durch die „Agenda 2030“. „Rrrradikal“ will er vorgehen, sagt er öfters. Berichtspflichten, Lieferkettengesetz, alles weg. „Lasten die wir uns ohne Not auferlegt haben.“ Steuern: runter, „eine grrroße Unternehmenssteuerreform“ werde er liefern.
Es geht auch um die Rente. 2023 hatte Merz vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, per se schlimm für Gewerkschafter. Das war eine alte Idee seines Parteifreund Jens Spahn: „Für jedes Jahr länger leben, einen Monat später in Rente.“ Nun konstatiert Merz, es bleibe beim Renteneintritt mit 67. Wer aber länger arbeiten wolle, könnte das und werde mit hohen Steuerfreibeträgen belohnt. Kinder sollen den guten alten Weltspartag wiederentdecken. Jeden Monat zehn Euro auf die hohe Kante per App statt Spardose. Schon, um eine kapitalbasierte Altersvorsorge aufzubauen. Kein Jubelthema in Bochum.
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Danach: Fragerunde. Ausgewählte Anwesende dürfen sich neben Merz setzen und ihn löchern. Einer ist Tekin Nasikkol, Betriebsratschef des von Chaos und Planlosigkeit gebeutelten Konzerns Thyssenkrupp Steel Europe. Er wolle einen „Hilfeschrei“ loswerden, sagt er, man sei kurz davor, die Öfen runterzufahren. „Wir brauchen sofort eine konkrete Hilfe!“ Merz sagt brav: „Danke für offene Worte.“ Das Thema Industriesicherung werde er gleich in den ersten Amtstagen angehen. Das klingt ein wenig trumpig.
Merz glaubt nicht an grünen Stahl
Und dann haut er einen raus. „Ich glaube nicht an grünen Stahl.“ Nasikkol schaut entsetzt. Seit Jahren sehen die Thyssenkrupp-Beschäftigten in der nachhaltigen Herstellung des Werkstoffs die einzige Chance, auf dem Weltmarkt, den Billigstahl aus Fernost dominiert, zu überleben. Merz ballert: „Wo soll der Wasserstoff denn herkommen? Und der Stahl ist anschließend immer noch teurer. Wo soll das Geld dafür herkommen?“ Nasikkol schaut bedröppelt. „Ich kümmere mich um das Thema, sage ich Ihnen zu“, moderiert Merz das Thema ab.
Nach knapp zwei Stunden ist die Plauderei im Dampfgebläsehaus beendet. Merz reist ab. Der Saal lehrt sich. Wer den Zugang nicht gefunden hat, sei getröstet: Er hat im Großen und Ganzen nichts verpasst.