Die vorgezogene Bundestagswahl treibt die Parteien zum Stimmenfang an. Politik, Kommunen und Druckereien stehen wegen kurzer Fristen unter Strom. Was bedeutet das im Detail?

Der Turbowahlkampf mitten im Winter läuft auch in Hessen an. Wahlplakate säumen bereits Straßen, Wahlwerbung flutet soziale Medien. Fragen und Antworten zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar in Hessen nach dem Aus der Ampelregierung im November:

Wer darf wählen?

Rund 4,3 Millionen Hessinnen und Hessen sind wahlberechtigt. Ihre Kreuzchen dürfen alle Deutschen machen, die mindestens 18 sind. Das Mindestalter für die Wählbarkeit als Bundestagsabgeordneter beträgt ebenfalls 18 Jahre. Jeder Wähler und jede Wählerin hat eine Erststimme für einen Kandidaten im jeweiligen Wahlkreis sowie eine Zweitstimme für die Landesliste einer Partei. 

Welche Folgen hat die verkürzte Vorbereitungszeit?

Die Kommunen müssen rascher genügend Wahlhelfer und Wahllokale organisieren. Laut dem Präsidenten des Hessischen Städtetages, Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), ist das „wirklich eine sportliche und logistische Herausforderung“. In der Landeshauptstadt hätten sich aber „sehr viele Bürgerinnen und Bürger“ als freiwillige Helfer gemeldet. Auch Fuldas OB Heiko Wingenfeld (CDU) spricht von einer „positiven Resonanz“.

Die Marburger Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki weist auf die „logistischen Herausforderungen“ auch für Parteien und Kandidaten beim verkürzten winterlichen Stimmenfang hin. „Traditionelle Wahlkampfmethoden wie Straßenkampagnen könnten durch Wetterbedingungen beeinträchtigt werden, was eine verstärkte Nutzung digitaler Medien und alternativer Kommunikationswege erforderlich macht“, erläutert die Professorin.

Können Druckereien rasch Millionen Wahlzettel drucken?

„Der Druck der Wahlzettel wird von den Kommunen angeschoben“, erklärt Silke Leicht-Sobbe, Sprecherin des Bundesverbands Druck + Medien. In Hessen seien rund 40 Druckereien in der Lage, solche Großaufträge zu übernehmen – aber natürlich auch Betriebe außerhalb des Bundeslandes. Druckereien arbeiten laut Leicht-Sobbe in diesen Fällen oft rund um die Uhr in drei Schichten. Zu Jahresbeginn hätten sie etwas mehr Luft als am Jahresende mit zum Beispiel mehr Verkaufsprospekten und Weihnachtskarten.

Was bedeutet die vorgezogene Wahl für Briefwähler?

Sie haben außergewöhnlich wenig Zeit – die Fristen sind kürzer als sonst. Wiesbadens OB Mende appelliert daher an seine Bürgerinnen und Bürger, möglichst „die unmittelbare Wahl zu bevorzugen.“ 

Nicht jeder hält sich allerdings am Wahlsonntag an seinem Wohnort auf. Ohnehin ist für die Briefwahl seit 2008 keine Erklärung besonderer Gründe wie etwa Krankheit oder Geschäftsreise mehr nötig – ihr Anteil ist daher gestiegen.

Welche Briefwahlquote?

Dazu ist laut Hessens stellvertretendem Landeswahlleiter Jonas Fischer „keine belastbare Schätzung“ möglich. Bei der Bundestagswahl 2021 mitten in der Corona-Zeit war die Briefwahlquote in Hessen auf 51 Prozent hochgeschnellt. Bei der Landtagswahl 2023 und der Europawahl 2024 betrug sie in Hessen jeweils rund 37 Prozent. Damit lag sie nach Angaben von Fischer „immer noch etwa 10 Prozentpunkte über dem Niveau vor der Corona-Pandemie“.

Zur Bundestagswahl am 23. Februar sagt die Politologin Borucki: „Angesichts des kurzen Wahlkampfs und der winterlichen Bedingungen ist davon auszugehen, dass noch mehr Wähler die Briefwahl nutzen werden, um witterungsbedingte Unannehmlichkeiten am Wahltag zu vermeiden.“

Vor- und Nachteile der Briefwahl?

Einer kürzlich vorgelegten Studie der Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge istder Versand der Wahlunterlagen bei Briefwahl fehleranfällig. Untersuchungen zeigten, „dass etwa jeder fünfte Wahlbrief verspätet eingeht und folglich zurückgewiesen wird“. Die beiliegenden Informationen seien „sprachlich schwer verständlich sowie grafisch unzureichend gestaltet“.

Doch Briefwahl ist bequem. Laut de Nève bleibt in Hessen offen, ob die Wahlbeteiligung ohne die Aufhebungspflicht der Briefwahlbegründung 2008 „in den vergangenen Jahren möglicherweise noch stärker als ohnehin gesunken wäre“. Auch der stellvertretende Landeswahlleiter Fischer sagt zur freien Wahl der Briefwahl: „Das dient einer möglichst hohen Wahlbeteiligung und dem dahinterstehenden Verfassungsgrundsatz der Allgemeinheit der Wahl.“

Folgen der Verkleinerung des Bundestags?

Der Bundestag ist mit 736 Abgeordneten das größte frei gewählte Parlament der Welt. 51 kommen aus Hessen: 15 Sozialdemokraten, 12 Christdemokraten, 9 Grüne, 7 Freidemokraten, 5 AfD-Politiker und 3 Linke. Das neue Wahlrecht deckelt die künftige Sitzzahl jedoch bei 630 Parlamentariern – unter Verzicht auf Überhang- und Ausgleichsmandate. Überhangmandate fielen bislang an, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Diese Mandate durfte sie dann behalten, die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate. 

Fischer vermutet wegen der Reform, dass „etwas weniger als 50 Abgeordnete aus Hessen in den Bundestag einziehen. Außerdem kann es dazu kommen, dass einzelne Wahlkreiskandidaten, auch wenn sie in einem der 22 hessischen Bundestagswahlkreise die meisten Erststimmen erhalten, nicht in den Bundestag einziehen. Dies ist der Fall, wenn eine Partei mehr Wahlkreisgewinner stellt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil an Sitzen zusteht.“ Nach dem Wegfall von Übergang- und Ausgleichsmandaten erhalten laut Fischer die „Wahlkreisgewinner mit den vergleichsweise geringsten Erststimmenanteilen keinen Sitz“. Die Marburger Politikwissenschaftlerin Borucki berichtet: „Hessische Abgeordnete haben bereits Kritik an der Reform geäußert, da sie Nachteile für bestimmte Parteien befürchten.“

Künftig zweimal Schwarz-Rot?

Eine von vielen erwartete künftige Koalition von Union und SPD in Berlin würde nach Einschätzung von Borucki „hessischen Verhältnissen entsprechen und insbesondere die Position des Ministerpräsidenten stärken. Denn Boris Rhein (CDU) möchte sich bundespolitisch profilieren, insofern wäre ihm mit einer solchen Koalition gedient.“