Robert Habeck und seine Grünen wollen die gesetzliche Krankenversicherung besser aufstellen. Doch die Idee, Kapitalerträge stärker einzubeziehen, kommt mit vielen Problemen. 

Zu Beginn des Jahres sind die Beiträge zur Krankenversicherung für viele Menschen stark gestiegen, im Schnitt liegen sie nun bei 16,3 Prozent. In Zukunft könnten die Beiträge sogar noch weiter steigen – wenn die Politik nichts dagegen unternimmt. Der Chef der Techniker Krankenkasse warnte kürzlich vor einem Anstieg der Krankenkassenbeiträge von bis zu 20 Prozent. Nun sorgt ein Vorschlag von Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, für Diskussionen. 

Worum geht’s bei Habecks Vorstoß?

In der ARD hat Habeck am Sonntagabend gefordert, dass künftig Krankenkassenbeiträge auch auf Kapitalgewinne bezahlt werden sollen. Um den Krankenkassen zu einer besseren Finanzierung zu verhelfen, würde er „gerne die Beitragsgrundlage erhöhen“, sagte Habeck. Alle gesetzlich Versicherten zahlten „Abgaben auf die Arbeitslöhne, aber zum Beispiel Kapitalerträge sind davon freigestellt“. Er fragte: „Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?“ Das leuchte ihm nicht ein. 

Diese Forderung findet sich auch im vorläufigen Wahlprogramm, das die Grünen Mitte Dezember vorgestellt haben. „Die Beitragsbemessung werden wir reformieren und beispielsweise auch Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems heranziehen“, heißt es. „Damit schützen wir auch Löhne und Gehälter vor höheren Beitragsabgaben.“ Am Sonntag fügte Habeck hinzu, das sei auch ein „Schritt zu etwas mehr Solidarität innerhalb des Systems“.

Bringt das was? 

In der Theorie könnte Habecks Vorschlag die Gesamteinnahmen der Krankenkassen erhöhen. Denn die Beitragsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung würde sich verbreitern: Die Kassen dürften bei Pflichtversicherten dann Einkünfte aus Kapitalvermögen in die Berechnung ihrer Beiträge mit einbeziehen und könnten ihren Beitragssatz auf weiteres Einkommen anwenden. Zu den beitragspflichtigen Einnahmen zählen bislang Arbeitsentgelt, gesetzliche Renten, Versorgungsbezüge wie Betriebsrenten sowie Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit. Ist die Last breiter verteilt, könnte das die Beitragssätze in Zukunft stabilisieren oder gar sinken lassen.

TK-Chef Krankenkassenbeitrag

In der Praxis wäre die Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage allerdings mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Von Zinsen, Dividenden und Gewinnen aus Aktien- sowie Fondsverkäufen behalten die Banken und depotführenden Stellen bislang die Abgeltungssteuer in Höhe von 25 Prozent für Anlegerinnen und Anleger ein und führen sie anonym an das Finanzamt ab. Damit die Finanzinstitute ebenso Sozialversicherungsbeiträge automatisiert einbehalten und abführen, bräuchte es umfangreiche gesetzliche Änderungen; bestehende Meldesysteme müssten angepasst werden. Habecks Vorstoß ließe sich also zumindest nicht kurzfristig umsetzen.

Ohne Automatisierung bedeutet eine verbreiterte Bemessungsgrundlage, dass Pflichtversicherte künftig ihre Einkünfte nicht nur dem Finanzamt, sondern auch der Krankenkasse erklären müssten. Die Versicherer wären auf die Ehrlichkeit der Versicherten angewiesen. So wie bei denjenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert sind: Bei ihnen zählen Kapitalerträge bereits zum beitragspflichtigen Einkommen. Deshalb müssen sie ihrer Krankenkasse bereits regelmäßig ihren Einkommensteuerbescheid und gegebenenfalls Zinsbescheide oder Erträgnisaufstellungen der Bank einreichen. Das betrifft bislang rund 6,2 Millionen der 74,3 Millionen Versicherten in der gesetzlichen Krankenkasse.

Wer wäre besonders betroffen? 

Habecks Vorschlag träfe nicht alle, die an der Börse aktiv sind, sondern nur diejenigen, die gesetzlich versichert sind. Privatversicherte wären außen vor. Würde Habecks Vorschlag umgesetzt, wären ihre Kapitalerträge voraussichtlich bessergestellt. Oder sie müssten Beiträge zahlen, ohne Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten. Ob solche Ungleichbehandlungen vor Gericht Bestand hätten, ist fraglich.

Hinzu kommt: Würde die Beitragsbemessungsgrenze nicht stark verändert oder gar ganz abgeschafft, würde dieser Vorstoß voraussichtlich vor allem kleinere und mittlere Einkommen belasten, die sich etwa mit ihrem Depot ihre private Altersvorsorge aufbauen. Die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze markiert das maximale Bruttoeinkommen, bis zu dem Beiträge in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erhoben werden. Geht der Verdienst über diese Einkommensgrenze hinaus, ist er beitragsfrei. In der gesetzlichen Krankenversicherung liegt diese Grenze seit Anfang des Jahres bei jährlich 66.150 Euro beziehungsweise 5.512,50 Euro im Monat. 

Viele Besserverdiener schöpfen diese Beitragsbemessungsgrenze mit ihrem Verdienst sowieso schon aus, und dürften deshalb auf ihre Kapitalerträge keine Sozialabgaben mehr zahlen müssen. Es hinge also besonders davon ab, ob die Grünen ihren Vorschlag damit verknüpften, die Beitragsbemessungsgrenzen stark anzuheben oder gar ganz abzuschaffen. Im Wahlprogramm ist nur unkonkret davon die Rede, dass man die Beitragsbemessung allgemein „reformieren“ wolle.

Wie reagiert die politische Konkurrenz? 

Vertreter von Union und FDP zeigen sich entsetzt angesichts des Vorschlags. Wissenschaftler und Experten seien sich einig, dass es für die Altersvorsorge in Deutschland dringend eine stärkere Aktienkultur brauche, sagte der CDU-Politiker Christoph Ploß dem stern. „Wer die grüne Partei wählt, bekommt mehr Belastungen und Abgaben für die fleißigen Bürger“, so Ploß, „dabei braucht unsere schwächelnde Volkswirtschaft das genaue Gegenteil, nämlich steuerliche Entlastungen.“ 

Ähnlich sieht es der Generalsekretär der FDP: „Was Habeck vorschlägt, ist ein Schlag besonders ins Gesicht der jungen Generation“, schrieb Marco Buschmann auf „X“. Die habe dann kaum noch eine Chance, durch Aktiensparen eine private Altersvorsorge aufzubauen. „Es gilt halt: Fällt den Grünen sonst nichts ein, müssen‘s neue Steuern und Abgaben sein!“