Mark Zuckerberg macht bei Facebook und Instagram das Tor auf für Verschwörungserzählungen, Propaganda und Lügen. Eigentlich ein schlechtes Umfeld für Werbung.
Hört man Werbungtreibenden zu, dann klingt es oft danach, als wäre für ihre Marken das Umfeld alles. Wer positive Botschaften vermitteln und Begeisterung für seine Produkte entfachen will, scheut in der Regel Zwietracht, schroffe Kontroverse, Gewalt und krasse Desinformation. Denn wenn man bei der potenziellen Kundschaft Vertrauen aufbauen will, ist dafür ein Klima eher hinderlich, das von Misstrauen und Gegensatz lebt. In der vordigitalen Werbewelt waren Gossenblätter, Klatschpresse und Propagandahefte daher weitgehend anzeigenfrei.
Ist das in der digitalen Werbewelt anders? Auf den ersten Blick nicht: Seit der Multiunternehmer Elon Musk vor gut zwei Jahren den Kurznachrichtendienst Twitter übernahm und unter dem Namen X immer mehr zu einer Plattform für haltlose Behauptungen, Verschwörungsmythen und blühende Unvernunft umbaute, zogen sich einige Marken zurück. Apple, IBM, Warner Bros., Disney, Discovery und Sony gehörten zu den Unternehmen, die erklärten, nicht mehr bei Twitter/X werben zu wollen. Auch Airbnb, Amazon, Coca-Cola und Microsoft hatten keine Werbung mehr dort geschaltet. Und das war nicht nur eine Kurzzeitreaktion, denn der Niedergang von X im Werbemarkt hält an. Im ersten Halbjahr 2024 verlor das Angebot etwa im US-Markt im Vorjahresvergleich fast ein Viertel seiner Werbeumsätze.
Jetzt aber nimmt sich Mark Zuckerberg und der von ihm geführte Social-Media-Konzern Meta ausgerechnet ein Beispiel an X: Ähnlich wie Musks Kurznachrichtenplattform will er keine Faktenchecks von Beiträgen auf den Meta-Plattformen Facebook und Instagram in den USA mehr machen. Stattdessen will Zuckerberg es den Nutzern überlassen, solche Beiträge in sogenannten Community Notes zu kommentieren.
98 Prozent der Meta-Umsätze durch Werbung
Ist es dann zu erwarten, dass Meta – so wie einst X – mit der Maßnahme die Werbekunden vergrätzt? Immerhin ist Zuckerbergs Firma auf diese noch viel stärker angewiesen als die Musk-Plattform. Mehr als 98 Prozent der Umsätze des Unternehmens im vergangenen Jahr kamen aus Werbung, deutlich mehr als bei X, das parallel auch auf Abo-Einnahmen setzt. Analysten prophezeien daher, dass Zuckerberg nichts tun würde, was Werbekunden abschrecken könnte.
„Meta geht bei weitem nicht so radikal vor wie Musk bei Twitter“, argumentiert Jan Nicolas König, Gründer und Geschäftsführer der stark digital ausgerichteten Werbefirma Odaline, der auch viel Erfahrung im Werbeeinkauf hat. „Hier werden sich Unternehmen kaum zurückziehen und ihre Budgets runterfahren“, prophezeit er. Das liege auch an der enormen Marktbedeutung von Meta. Speziell um Instagram als Werbemedium kämen Werbungtreibende kaum noch herum.
Instagram enorm wichtig fürs Geschäft
Tatsächlich hat zuletzt vor allem das enorme Wachstum von Instagram bei der Werbung den Mutterkonzern Meta Quartal für Quartal zu neuen Rekordumsätzen getrieben. 2025 dürfte Meta erstmals deutlich mehr Umsatz mit Instagram als mit Facebook machen. Nach Prognosen der Marktforschungsfirma Emarketer soll Instagram in diesem Jahr um ein Viertel wachsen. Schon im ersten Halbjahr 2024 lagen Facebook und Instagram im US-Werbemarkt gleichauf bei jeweils mehr als einem Viertel des Social-Media-Werbemarkts. „Im klassischen Marketing würde man einfach viel zu viel Reichweite verlieren, wenn man auf Instagram verzichtet“, sagt König.
Bei X war es für die Werbungtreibenden auch deshalb so einfach, auf die Plattform zu verzichten, weil diese reichweitenmäßig ohnehin kaum ins Gewicht fällt. Elon Musks Firma hatte in der ersten Jahreshälfte 2024 weniger als ein Prozent Anteil am Social-Media-Werbemarkt in den USA.
Theoretisch bleibe es zwar für Werbekunden wichtig, ihre Marken in einem passenden Umfeld zu bewerben. Wenn TV-Werbung eingekauft wird, achten die Kunden nach wie vor genau darauf, in welchen Programmen und an welcher Stelle ihre Werbung stattfindet.
Allerdings haben sie bei Social-Media-Plattformen ohnehin keinen Einfluss mehr darauf, welche Postings oder Videos neben ihrer Werbung gezeigt werden. Deshalb, so Werbepraktiker König, werde die Meta-Entscheidung im Werbemarkt kaum etwas verändern. Jedenfalls so lange nicht der Charakter von Facebook oder Instagram durch die Entscheidung von Zuckerberg weitgehend in Richtung Propaganda und Hass abdriftet – so wie es König etwa bei X beobachtet.
Auch bei Tiktok weiter Werbung trotz umstrittener Praktiken
Wie duldsam Werbungtreibende mit faktenaversen Umfeldern sind, lässt sich auch am Erfolg von Tiktok im Werbemarkt ablesen. Das chinesich kontrollierte Social-Media-Angebot war neben Instagram im vergangenen Jahr der zweite große Gewinner im Social-Media-Werbemarkt. In den USA gewann Tiktok etwa nach den Halbjahreszahlen ein Fünftel an Werbeumsatz im Vorjahresvergleich.
Welche Rolle Tiktok in Sachen Propaganda und Desinformation einnimmt, war zuletzt etwa bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen Ende vergangenen Jahres zu beobachten. Da setzte sich in der ersten Runde der hauptsächlich durch Tiktok bekannte Kandidat Calin Georgescu an Platz eins – vor allem durch eine aus Russland gesteuerte Kampagne auf dem Network, wie Geheimdienstinformationen später offenlegten.
STERN C Kommentar Zuckerberg 13.10
Doch solche Beispiele halten Firmen nicht davon ab, bei Tiktok zu werben – zu erfolgreich ist das Netzwerk mit seinem hauptsächlich aus Kurzvideos von Teilnehmern bestehenden Angebot bei der jungen Zielgruppe. „Tiktok ist so etwas wie das Fernsehen der jungen Generation“, sagt König. Daher sei es aus Sicht von Werbetreibenden, die junge Menschen erreichen wollen, fast unverzichtbar.
Auch Meta mit Instagram und Google mit Youtube versuchen das Rezept und den Algorithmus von Tiktok seit einiger Zeit zu kopieren. In den USA ist Tiktok wegen seiner undurchsichtigen Eignerstrukturen von Verkauf oder Abschaltung bedroht. Schon kursieren Spekulationen, dass Zuckerbergs jüngste Kehrtwende auch darin begründet sein könnte, dass sich Meta unter einer Präsidentschaft von Donald Trumps die Assets von Tiktok sichern wolle.
Trotz allem: Im Grundsatz, so sagt es auch Werbemann König, bleibe es aus Sicht der Werbetreibenden wünschenswert, dass es verlässliche, seriöse Medien für ihre Werbung gibt. In der jüngeren Vergangenheit hatten die Vermarkter „klassischer“ Medien wie Fernsehen und Print genauso argumentiert – Kunden sollten aus patriotischen und demokratiepolitischen Erwägungen lieber bei ihnen werben, als bei den internationalen Plattformanbietern. Doch dazu sei deren Angebot oft zu wenig überzeugend, kritisiert König. Und am Ende wollen die Werber dann eben doch hauptsächlich da sein, wo ihr Zielpublikum ist – Demokratie hin oder her.